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Kußmanns Richter

Am 11. November wird sich vor dem Großen Schöffengericht Berlin-Mitte Herr Assessor Kußmann wegen indirekter Mitarbeit an der Hugenberg-Presse zu verantworten haben. Juristisch ausgedrückt: Herr Kußmann wird bezichtigt, ihm amtlich anvertraute oder zugängliche Urkunden vorsätzlich beiseite geschafft zu haben (§ 348 Abs. 2 StGB.). Über den Stand des Verfahrens macht im letzten Heft des »Tage-Buches« der Richter, der dort seit einigen Monaten die Justiz-Chronik führt und dessen Informationen und kritische Streiflichter immer stärkere Beachtung finden, bemerkenswerte Angaben. Die Anklage wird der Generalstaatsanwalt selbst vertreten. Wer aber ist der Vorsitzende?

Es leuchtet ein, daß bei einem so delikaten Casus, der die ganzen Korruptionsaffären nochmals aufwühlt, und der geeignet ist, politische Leidenschaften zu entfesseln, ein Vorsitzender amtieren muß, der nicht nur die edelste Auslese juridischen Wissens darstellt, nein, er muß auch ein Meister der Form sein, konziliant und tatkräftig zugleich. Niemand darf mit dem Gefühl abtreten, ihm sei der Mund gestopft, er muß sie alle freiweg sprechen lassen, ohne daß deshalb das Tribunal zum politischen Meeting wird. Versteht sich von selbst, daß er objektiv sein muß wie Brutus, der das eigene Fleisch und Blut dem Henker überlieferte. Kurz: verbindlich und dabei der verkörperte kategorische Imperativ.

Nun aber sucht das Justizministerium nach diesem Mann. Die Personalakten sämtlicher Richter werden hervorgeholt, ihre Entscheidungen wieder und wieder durchprüft, ihre Lebensläufe bis in die finstersten Referendarwinkel durchleuchtet. Man konsultierte als Sachverständige Charakterologen, Psychoanalytiker, die sich auf Justizpersonen verstehen. Zwei sonst in allen Stücken würdig befundene Herren vorgerückten Alters sollen abgelehnt worden sein wegen noch schwach nachweislichen Ödipuskomplexen; ja, man spricht sogar, es seien Graphologen herangezogen worden.

Neulich kam Ihr Korrespondent ins Ministerium und fand dort alles auf den Kopf gestellt. Er sah übernächtige Geheimräte mit fieberglänzenden Augen und hohlen Wangen durch die Korridore fegen. Der Arbeitsbazillus nistet in allen Hirnen und Händen. Einer der wichtigsten Referenten, heißt es, wurde infolge Übermüdung mitten im Vortrag plötzlich von Schlafkrankheit befallen. Sein Befinden gibt, versicherte mir der Portier, zu Besorgnissen Anlaß. Jedoch, fügte er stolz hinzu, erleidet seine gewohnte Amtstätigkeit keine Unterbrechung.

PS. Hurra, der Mann ist gefunden. Es ist Herr Amtsgerichtsrat Ahlsdorf, der seinerzeit den Landgerichtsdirektor Kroner wegen Beleidigung des Herrn Beversdorff zu 3000 Mark Geldstrafe verdonnerte. So waren doch die Mühen der höchsten Instanz nicht umsonst ...

Montag Morgen, 2. November 1925


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