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Fünf Minuten vor ...

Durch die Presse geht ein kleines Photo, so eines jener Bildchen, die den Alltag in seinen traurigen, komischen und gleichgültigen Nuancen widerspiegeln, von den Filmsternen in Hollywood angefangen bis zum Schreinermeister X. in Merseburg, dessen Frau zum zweitenmal Drillinge gekriegt hat, ein Bildchen von vielen, aber unerhört in seinem Gegenstand.

Da sieht man die drei Bombenattentäter von Sofia, fünf Minuten vor der Hinrichtung: – Koeff, Friedmann und Zadgorski. Sie haben, kettenbeladen, auf einer ganz schmalen Bank Platz genommen und suchen nun mit ihren Blicken die kleine schwarze Öffnung.

Zur Rechten Koeff, der Oberst, in hellem Regenmantel, mit weichem Filzhut; deutliche Bemühungen der letzten Toilette. In der Mitte Friedmann, der Advokat, scharfes, schmales Gesicht des Intellektuellen, die Verwahrlosung der Kleidung etwas gesucht, so, als wollte er zum Abschied noch einmal dem Bourgeois das Gruseln in die Haarwurzeln treiben. Und, ein wenig abseits von den beiden verirrten Bürgern, der einzige Proletar, Zadgorski, der Kirchendiener, groß und knochig, ein Barbar.

So verschieden sie untereinander sind, die drei Höllenmaschinisten, jeder verfolgt nach seiner Art den Vorgang mit Interesse. Koeff hat sich mit leicht gefalteten Händen zurückgelehnt, blinzelt ein wenig, so wie man auf ein »Bitte, recht freundlich!« reagiert. Friedmann späht scharf, als suche er einen Feind hinter dem Apparat; er hat noch jetzt ganz die Miene des stets sprungbereiten Berufspolitikers, jeden Augenblick kann er aufspringen und rufen: »Ich bitte ums Wort!« Aber die eine auf dem Bild sichtbare Hand dementiert die professionelle Larve, – sie ballt sich, sie krampft sich, die Finger flechten sich so fanatisch ineinander, als hätte sich alles Leben dieses grauen, blutlosen Menschen in die eine Hand geflüchtet. Zadgorski, der Bauer, nur sitzt steif und aufrecht, in fast sakraler Haltung. Denn photographiert werden, das ist ein großes Ereignis, das kommt nicht alle Tage vor ...

Tod, wo ist dein Stachel? Es gibt so viele alte Bilder von Verurteilten auf dem Gang zur Richtstätte. Auf zahllosen Kupfern und Holzschnitten sind Missetäter und Märtyrer festgehalten. Bald ruhig ergeben, bald zusammengesunken unter der Last der Schuld, bald schlotternd vor Angst, bald mit brüllendem Hohn einen schmutzigen Geist wie einen Kotkübel entleerend. Den Blick nach oben, gereinigte Büßerin, so tritt Maria von Schottland an den Block; jeder Zoll ein Kavalier steht Karl I. auf dem Blutgerüst von Whitehall; mit gerümpfter Nase über die tobende Menge blickend fährt Marie Antoinette im Karren, und Danton hat das Promethidenhaupt trotzig in den Nacken geworfen.

So muß man früher gestorben sein, so umständlich theatralisch, als man noch mehr Zeit hatte und es noch keine Momentaufnahmen gab. Damals war das Tempo der Welt noch so behäbig, und auch die Todeskandidaten wußten das und überlieferten in ihrer letzten Stunde mit breiter Geste Feder und Griffel ihre besondere Art zur Verewigung. Aber diese drei Verurteilten halten sich so unsentimental, als säßen sie in der Straßenbahn. Die photographische Platte ist so furchtbar sachlich, sie kann zwar schmeicheln oder ärgern, aber sie nimmt dem Leben die weichen, schwebenden Konturen, sie entpathetisiert selbst den Tod. Vielleicht möchte dieser Oberst jetzt aufspringen und in kurzem, knatterndem Pelotonfeuer alle in seiner militärischen Karriere gesammelten Flüche auf seine Henker niederprasseln lassen, Friedmann mit aufgeworfenen Armen Deklamationen schreien, Zadgorski zitternd auf die Knie sinken und Gebete seiner Kindheit lallen. Aber dieser prosaische Kasten, hinter dem jetzt ein Mann unters schwarze Tuch kriecht, zerstört die romantische Situation. Da heißt es ganz einfach still halten, nicht zucken. Die Technik egalisiert.

... fünf Minuten später werden sie auf dem Brett stehen, die Schlinge um den Hals, und das kleine Schwarze, in das sie jetzt blicken, wird schrecklich wachsen zu einem ungeheuren Abgrund, voll von Zweifeln und Fragen. Und wenn der Geistliche mit niedergeschlagenen Augen, das Kreuz an die Brust gepreßt, »Gott gebe dir Frieden, arme Seele!« spricht, dann werden die Drei schon im Strom der Ewigkeit schwimmen, während auf der kleinen gläsernen Platte in Dunkel und Säure sich langsam das letzte Abbild ihres zeitlichen Scheins entfaltet.

Das Tage-Buch. 13. Juni 1925


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