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Christlicher Adel teutscher Nation

Wieviele glückliche Tage hat der Mensch im Leben? Philosophen haben darauf deprimierende Antworten gegeben. Wie dem auch sein mag, jedenfalls sagte der Herr Direktor Lüders von der Landespfandbriefanstalt zu dem Augenblick: »Verweile noch, du bist so schön!«, zu dem Augenblick nämlich, als die Herren von Carlowitz, von Etzdorff und von Karstädt bei ihm erschienen. Auch Herr Geheimrat Nehring, der oberste Chef des gemeinnützigen Institutes, hat sich gefreut wie ein Schneekönig. Noch heute, ein Jahr nach besagtem Erscheinen, sagte Herr Lüders, »er habe aufgeatmet, als solche Herren erschienen.« Diese direktoriale Atemgymnastik kostet die Landespfandbriefanstalt 5,3 Millionen. Dafür haftet Herr von Zitzewitz, der zwei Rittergüter in Pommern sein Eigen nennt, und dessen ehemaliger Schwiegersohn eben Herr von Carlowitz ist, der betörende Privatwirtschaftler.

Zur Zeit steht dies ganze Adelskonsortium vor dem Untersuchungsausschuß des Preußischen Landtages, und man muß schon sagen, daß die Herrschaften ebenso belämmert aussehen wie ihre Sache. Herr von Zitzewitz ist der am nachhaltigsten Lackierte. Er hat sich von seinem Schwiegersohn ein Bürohaus im Mond vorspiegeln lassen und tappte in riskante Geschäfte hinein. Wenn der Untersuchungsausschuß weiter keinen Sinn hat, so wenigstens den, Herrn von Zitzewitz darüber aufzuklären, wie das Geld verwendet wurde, für das er haftet, und ebenso dürfte die Respiration der Herren Direktoren kaum mehr so flott sein wie vor einem Jahr.

Die Sozietät von Edelmännern machte Grundstücksgeschäfte. Es ging nicht um Stolzenfels am Rhein oder um sonst einen ritterlichen Sitz, sondern um das Bürohaus »Börse«. Das heißt, je mehr man sich in die sehr diffizilen Geschäfte hineinwühlt, desto verworrener wird der Aspekt. Und es kristallisieren sich eigentlich nur zwei Tatsachen heraus: Zum Ersten, daß eine Unmenge Geld in die Taschen von Leuten floß, die mit den Dingen auch nicht das Mindeste zu tun hatten. (Herr von Etzdorff z. B. hat einem sicheren Dr. Kann dreihunderttausend Mark gegeben. Ebensogut hätte er die gleiche Summe in köstlicher Verschwenderlaune seinem Briefträger dedizieren können.) – Zum Zweiten: Eine Geschäftsreise nach London.

Als Propagandist der London-Turnee fungiert ein Herr Dr. Fleischmann aus dem Bankgewerbe. Er ist sozusagen der Peter von Amiens dieses Kreuzzuges in die Taschen der Steuerzahler (den Ritter Walter von Habenichts mag man nach Belieben in einem der anderen beteiligten Chevaliers erkennen). Der Seelsorger der Heeresgruppe Carlowitz verlangt also von Herrn Geheimrat Nehring fünfzigtausend Mark zur Deckung der Unkosten. Der Herr Geheimrat findet das zu anspruchsvoll, er bietet nur zehntausend. Schließlich einigt man sich auf dreißigtausend Mark. Davon erhält zunächst Herr von Karstädt fünftausend Mark als Entschädigung für die Mühe, nicht mitzufahren; fünftausend Mark erhält auch Herr von Etzdorff, der daraufhin seine Frau mitnimmt, denn die germanischen Frauen folgten ihren Heldengatten unerschrocken in die Gefahrzone. Und dann setzt sich die Kavalkade in Trab. Nach zwölf Tagen in London überäugt Herr Fleischmann, der inzwischen vom Feldprobst zum Proviantmeister avanciert ist, die finanzielle Lage und findet sie unbefriedigend. Er nimmt daraufhin noch tausend Mark englisches Geld auf sein Konto, um den Rückzug der Kreuzfahrer zu sichern.

Solches geschah mit den Krediten der Landespfandbriefanstalt. Ein paar Herren ritterlichen Geblütes haben standesgemäß gelebt; andere, geringere Sterbliche, denen die Gelder hätten zukommen müssen, haben ihrem Stande gemäß entbehrt. Die Herren Direktoren haben erleichtert aufgeatmet, als »solche Herren« bei ihnen erschienen. Herren, frühere Offiziere, nicht irgendwelche kleine Mießnicks, die ein paar Kröten brauchten für Siedlungen oder für Mietskasernen draußen in der Vorstadt. Herren mit Bügelfalten, vielleicht sogar mit Bridges und Reitpeitsche, sicherlich mit Monokel, oh, man versteht, wie des Herrn Direktors Brustkorb sich optimistisch weitete. In diesem einen Atemzug dünstet sich die ganze republikfeindliche Bürokratie des Ancien Régime aus.

Herr von Carlowitz hat seine Freundinnen neu eingekleidet und überhaupt gelebt wie mit Fortunati Glückssäckel. Herr Geheimrat Nehring aber hat die Akten über das Geschäft sorgfältig in seinem Schreibtisch verborgen gehalten. Vor dem Untersuchungsausschuß wickelt sich langsam, aber einleuchtend die Tragikomödie von 5,3 Millionen Staatsgeldern ab. Auch der Herr Staatsanwalt hört zu. Er hört zu mit jener liebenswürdigen Geduld, die diese objektivste Behörde der Welt auszeichnete, ehe sie die Aviatik in ihren Dienst gestellt. Die Lokalanzeiger-Presse aber hält das ungewaschene Maul. Ihre Leser erfahren keinen Deut von diesem junkerlichen Panama. Und wenn es schließlich nicht mehr mit Schweigen geht, nun, man wird schon etwas ganz Plausibles finden. Denn die ärgste Müllgrube duftet nach Ambra, wenn man sie mit schwarzweißrotem Fahnentuch bedeckt.

Montag Morgen. 9. März 1925


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