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D'Abernon, Seeckt und Andre

Im Herbst wird Lord d'Abernon, Großbritanniens Botschafter in Berlin, in den Ruhestand treten. Sechs Jahre stand er auf diesem schwierigen Posten. Seit Versailles hat das Foreign Office nicht überall Freude erlebt. D'Abernon, in die Mitte des Kontinents geschickt, hat für die Behandlung Kontinental-Europas alte britische Rezepte mit Erfolg neu angewandt. Das dankbare Vaterland hat ihn dafür mit Ehren überladen.

Der greise Diplomat wird in Deutschland vermißt werden. Mit Sorge harrt das Auswärtige Amt seines Nachfolgers. Schon Herr Addison, der erste Botschaftsrat, war nicht immer so handlich wie der Chef ... Der war in sechs bewegten Jahren erst sanfter Mahner zur Erfüllungspolitik, dann sachverständiger Berater von Stresemanns nationaler Realpolitik und Inspirator des Locarnopaktes. Dazwischen aber auch die Hoffnung Cunos und seiner Ruhrkrieger. Und selbst die Generale und zivilen Aufrüstungsfreunde, die sonst Alle hassen, liebten ihn. Er hat viele Hoffnungen erweckt, wenige erfüllt, und trotzdem niemals ernsthaft enttäuscht. Wenn er Berlin verläßt, wird auch das allernationalste Blatt gerührt schluchzen: »Er unterschied sich in wohltuender Weise von den französischen Diplomaten ... Er hatte Sinn für deutsches Wesen.« Er hatte es.

Ein agiler Mann, in dem Englands besondere Art triumphiert, deutsche Politik zu behandeln. Die Franzosen, die von 1919 an nach Deutschland kamen, suchten Fühlung mit Demokraten und Pazifisten, die sie, in seltsamem Irrtum befangen, für herrschende, oder wenigstens in naher Zukunft herrschende Kräfte hielten. Die nicht in Republikanerwahn verlaufenen Engländer ließen sich keine Flausen vormachen. Erkannten von vornherein die Bedeutung der Konterrevolution und suchten dort Beziehungen. Schon General Malcolm hielt gute Freundschaft mit den Kappisten. So weit nach Rechts hat der alte Lord niemals Fäden gesponnen; immerhin, er verschloß seine Tür nicht: ein guter Botschafter hört Alle an, betastet, auskultiert die vorgetragenen Ideen. D'Abernon hörte geduldig zu, sagte wenig, sprach am liebsten von komplizierten Börsengeschäften. Aber die Besucher gingen nachher mit tiefsinniger Miene herum und dozierten Gewichtiges über den englisch-französischen Gegensatz. Und so gingen Alle zu dem freundlichen alten Herrn, dessen Nation noch einige Jahre vorher besonders von seinen Lieblingsgästen gern Gottes besonderer Beachtung anempfohlen wurde. Verkehr in der englischen Botschaft war die Legitimation jedes deutschen Politikers, der »seriös« genommen sein wollte, während eine gleichgültige Unterhaltung mit Herrn de Margerie immer ein wenig nach Hochverrat duftete.

Der Lord war der treue Freund und Mentor Stresemanns. Unter seinen Fittichen hat sich der lebensfreudige Gustav vom sächsischen Industrie-Syndikus zum allbeliebten Außenpolitiker emporentwickelt. Mit dem Instinkt des nicht zu betrügenden Realisten hat der alte Brite sich durch keinen revolutionären Brouhaha bluffen lassen: er sah die roten Radikalen, die schwarz-rot-goldenen Idealisten kommen und gehen und das gute deutsche Fett unverändert Oben schwimmen. Er hat das Ewig-Stresemännische der deutschen Politik begriffen und gepflegt. Und das ist ein Meisterstück.

Nochmals: er hat niemals viel versprochen und doch wurde Alles von ihm erwartet. Die Pazifisten rühmten ihn als »guten Europäer«, Nationalisten als »deutschfreundlich«, was bedeutet: neuer Päppelung des Militarismus geneigt. So ist es ihm gelungen, das Reich nach Locarno und Genf zu führen. Aber während auf Stresemann, den Zögling, die Schläge hageldicht prasselten, während der Weg in den Völkerbund als französisches Blendwerk gelästert wurde, blieb der englische Einpeitscher dieser Politik immun. Kein Hugenbergischer Allesbeschimpfer wagte sich an ihn heran. Warum?

Über dieses Warum werden einmal dicke Bücher geschrieben werden.

 

Auch General Walch wird sich bald verabschieden. Eine letzte Pflicht glaubte er noch erfüllen zu müssen: ein paar Noten mit seiner Unterschrift sind an die Reichsregierung gegangen, die sie nach langer Lagerung in der Bendlerstraße auf dem Wege über die Rechtspresse endlich erhalten hat. Die Interalliierte Militärkommission erinnert teils an nicht durchgeführte Bestimmungen, fordert teils, tiefer einschneidend, die Schaffung eines Generalissimus. Was sich gegen Herrn von Seeckt richtet.

Weil hinter den Noten der Kontrollkommission diesmal weder die Botschafterkonferenz steht, noch, offiziell!, ein Kabinett, macht sich die Presse die Wertung allzu leicht: – französische Intrigen, private Stilübungen des Generals Walch. So die Blätter von Rechts bis Links. Unpolitisch hochfahrend die Geste des Reichskabinetts: wir sehen keine Veranlassung, die Noten zum Gegenstand einer Beratung zu machen. Wer die leidvolle Chronik der Militärkontrolle kennt, weiß, daß alle Konflikte zunächst verschwiegen oder bagatellisiert wurden.

Wahrscheinlich glaubt General Walch selbst nicht an einen Erfolg seiner Noten. Populärer Aberglaube macht aus den fremden Kontrolloffizieren Schinder, die mit Sadistengier in den Eingeweiden des Opfers wühlen. Unsinn. Keiner hat das Schnüffelamt mit Lust geübt. Auch Nollet, der Verhaßte, war kein Zwingvogt, sondern hat unter dem Gefühl unritterlicher Pflichtbürde redlich geseufzt. Grade der Militär wird es wissen: daß man kaum eine Miniaturarmee, aber ganz gewiß nicht die gesamten Wehrpotenzen eines rüstunggewillten Volkes dauernd unterm Daumen halten kann. Die zwangsweise Totalentwaffnung Deutschlands ist eine Erfindung siegestrunkener Zivilistenhirne. Die Militärkontrolle, in Deutschland als Entwürdigung empfunden, hat viel zur Konservierung der Kriegspsychose beigetragen. Das muß gesagt werden. Aber tausendmal schlimmer wäre es gekommen, wenn die Kontrollkommission stets auf ihrem Schein bestanden hätte. Auch das darf nicht verschwiegen werden.

Dennoch ist die Attacke des Generals Walch gegen Herrn von Seeckt mehr politischer als militärischer Natur. Sie richtet sich weniger gegen einen Truppenführer als vielmehr gegen einen General, dem sein hohes und verantwortliches Amt politisches Relief, politische Macht in Fülle verleiht. Herr Arnold Rechberg hat vor einigen Tagen in einem Zeitungsartikel behauptet, der Vorstoß gegen Seeckt, obgleich unter dem Namen des französischen General[s] geführt, habe seinen Ursprung in England, wo das Techtelmechtel Seeckt-Tschitscherin noch immer unvergessen und unverziehen sei. Arnold Rechberg, der dem interessanten Herrn Oberst Nicolai seit Monaten unerbittlich auf den Fersen sitzt, hat sich ein großes Verdienst erworben durch die Aufdeckung der Fäden, die von unsern Nationalradikalen nach Moskau führen. Was dieser gewissenhafte und zurückhaltende Informator andeutet, kann nicht mit irgendeiner läppischen Phrase, wie »Entlastungsoffensive für Frankreich«, totgemacht werden.

Es ist gewiß recht traurig, daß eine deutsche Angelegenheit erst durch den Fingerzeig des Kontrollgenerals deutlich gemacht wird. So unerwünscht uns eine Lösung durch fremdes Machtgebot ist, so notwendig wird es, an das heiße Eisen zu rühren, obgleich ein Franzos es zuerst gesehen hat. Es ist ein unleidlicher Zustand, daß neben der offiziellen Außenpolitik eine zweite militärische läuft, die zwar oft genug im bloßen Wollen stecken bleibt, kaum Konkretes erreicht, aber jeden Schritt dem Völkerbund, der Verständigung mit Frankreich entgegen, gehemmt und bekämpft hat. Es wäre eine Beleidigung, Herrn von Seeckt etwa mit Loßberg, seinen präsumtiven Nachfolger, in einem Atemzug zu nennen. Sein Wille spannt weiter als der unausgekochte Patriotismus dumpfer Militaristengehirne vermag. Aber seine Ostpolitik ist ungewisser als ein Flug ins Polareis. Und, vor Allem, nicht seines Amtes.

Geßler beherrscht die Innenpolitik, Seeckt ringt um die Außenpolitik. Etwas viel Präponderanz für ein so kleines Heer.

Wann wird die längst latente Reichswehrkrise akut werden? Von den republikanischen Parteien ist nichts mehr zu hoffen. Die haben schon so viel geschluckt und scheinen doch noch immer fähig, neue Bitterkeiten aufzunehmen. Sollte nicht etwa der Gegenschlag einmal aus dem Ressort Außenpolitik kommen?

Der Russenvertrag war der letzte Sieg der östlichen Strängezieher. Onkel d'Abernon runzelt die Stirn. Stresemann versichert laut die Harmlosigkeit der Ostpolitik, dürfte aber um deren Tücken sehr wohl wissen.

Sein Widerpart kennt sie nicht. Kennt als kluger, aber politikferner Militär nicht die Kalamitäten jeder Nebenregierung und Geheimpolitik, die verschlungene Wege heischt und zu seltsamen Reisebekanntschaften führt. Es kann zum Beispiel vorkommen, daß ein blinder Passagier, sagen wir: ein Nicolai, bei der Partie ist. Führt Nicolai heute schon allein den Zug?

 

... à propos Nicolai! Der hat nach berühmten Vorbildern auch einen Band Erinnerungen aus seiner größten Zeit herausgegeben. Darin erzählt er eine sehr amüsante Geschichte von dem Genossen Albert Südekum, dem glorreichen Erfinder der Abfindung, den man im alten Reichstag für einen großen Diplomaten hielt, weil seine Anzüge und Reden stets von bestem Schnitt waren.

In einer der ersten Schlachten von 1914 wurde ein namhafter französischer Sozialistenführer gefangen, der als einfacher Soldat diente. Der Vernehmungsoffizier, der seine Personalien aufnahm, glaubte ihm seinen politischen Rang nicht. Zur Prüfung der Angaben brauchte er einen sachverständigen Sozialisten, und holte den Genossen Südekum, damals Offizierstellvertreter. Der unterhielt sich mit dem Gefangenen und stellte fest, daß er die Wahrheit sprach. Daraufhin wurde er zum Übermittler folgenden Angebots an den Franzosen gemacht: die O.H.L. sei bereit, dem Gefangenen die Freiheit zu geben, wenn er sich verpflichtet, nach Frankreich zurückzukehren und dort in seiner Partei für den Friedensschluß zu wirken.

Der Franzose ließ sich das nicht zweimal sagen. Er wurde über die Schweizer Grenze gebracht und ging in seine Heimat zurück. Natürlich hat er die ganze Geschichte sofort brühwarm publiziert und auch einige Freundlichkeiten über den deutschen »Kaisersozialisten« gesagt.

Der Genosse Südekum war nach dieser Diplomatenleistung prädestiniert, mit den Hohenzollern zu verhandeln.

 

In Magdeburg ist ein mysteriöser Mord geschehen. Die Polizei betreibt die Untersuchung nicht sehr eifrig. Ein junger Mensch von sehr schlechtem Ruf wird verhaftet, ein in völkischen Kreisen Abenteuernder, von dem gemunkelt wird, er habe wissentlich den Tod seiner Eltern herbeigeführt. Dieser junge Edeling denunziert einen unbescholtenen Bürger als Mordanstifter. Der wird verhaftet, muß wochenlang sitzen, beteuert seine Unschuld, beteuert, seinen Beschuldiger gar nicht zu kennen, und kann nicht einmal erreichen, mit ihm angesichts des Toten konfrontiert zu werden. Wird überhaupt wie ein Überführter behandelt. Er ist jüdischer Konfession und nahe verwandt mit dem Hauptgeschäftsführer des Reichsbanners. Kein Urteilsfähiger glaubt an seine Schuld.

Der untersuchende Kriminalkommissar ist ein begeisterter Stahlhelmmann. Er geht in der Stadt herum und erzählt Gevatter Schneider und Handschuhmacher: »Der Jude kommt nicht wieder los!«

Das begibt sich nicht etwa in Hinterpommern oder Bayern, sondern in Magdeburg, wo als Oberpräsident Herr Hörsing residiert, der donnernde Jupiter des Reichsbanners, der begeisterte Verkünder der harten republikanischen Faust.

Die Weltbühne, 20. Juli 1926


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