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Das Ärgernis

Untergrundbahn. Sie sind am Potsdamer Platz eingestiegen. Sie sehr elegante, pikante Vierzigerin mit falschem Rotblond, er vorzüglich konservierter Kavalier, zehn, zwanzig, dreißig Jahre älter. Sie sitzen sich gegenüber. Schweigend.

Eben ist Gleisdreieck passiert, da zündet er sich eine Zigarette an. Kurze Geste von ihr. Er bietet ihr das Etui an.

Wirklich, sie raucht, so behaglich in sich versunken, als wäre sie zu Hause.

Aber rundum drohendes Gemurmel. Blicke schießen spitze Pfeile, Mundwinkel heben und senken sich. Wer nicht in die allgemeine Empörung gerissen, zählt angstvoll die Sekunden, die vom ersten Insult noch trennen.

Wird es die blasse ältliche Dame sein, sonst sicherlich eine friedliche Seele, der aber der Zorn jetzt hörbar aus den Nasenlöchern pfeift, die zuerst schreien wird: »Unverschämtes Weibsbild?!!« Oder wird der dicke Kavalier neben mir einfach aufstehen und ihr die Zigarette aus der Hand schlagen ...? Ich sehe, wie seine rote Pranke zittert.

Da spricht sie ein paar Worte zu ihrem Begleiter. Es ist russisch. Und plötzlich geht ein Aufatmen durch die Offensivebereiten. Ja, Gott sei Dank, es sind keine Landsleute, es sind Russen! Was kann man von denen schon verlangen?

Wo eben noch blinde Wut nistete, blinkt ein Wohlwollen. Verständnisinniges Lächeln entspannt die gereizten Mundwinkel. Ja, die Ausländer ...

 

Es sei das hier wiedererzählt als Beitrag zu dem sagenhaften Rhythmus der Großstadt.

Montag Morgen. 29. März 1926


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