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Müde Kämpfer

Vor einer Reihe von Monaten wurde in Leipzig der Schauspieler Gärtner wegen Rezitation revolutionärer Verse zu harter Gefängnisstrafe verurteilt. Durch den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik. Herr Niedner präsidierte. Jetzt endlich ist das geistige Deutschland reif zum Protest. Es hat lange gedauert.

Auch sonst fehlte es in der letzten Zeit nicht an behördlichen Übergriffen gegen Schriftsteller und Künstler. Auf der Hintertreppe der Politik schleicht die Zensur wieder ins Haus. Wegen einer linksextrem inspirierten Dichtung wurde Johannes R. Becher kurzerhand verhaftet. Man konfiszierte ein literarisch wertvolles Buch des jungen Kommunisten Klaeber; bei einem anderen ganz unpolitischen Dichter wurde in rabiatester Weise nach »unsittlichen« Schriften gehaussucht. Ein Zustand von Rechtsunsicherheit reißt ein. Die Sbirren der politischen Polizei haschen nach den flatternden Gewändern der Musen.

Wenn die zunächst Betroffenen, die Künstler und Schriftsteller, dagegen zur Abwehr schreiten, steht die gesamte politisch und moralisch nicht vermuckerte Öffentlichkeit hinter ihnen. Aber wer aktivieren will, muß sich über Ziel und Mittel seiner Aktion im Klaren sein. Sonst bleibt als Schlußeffekt nicht mehr als ein Stück Papier mit einer Resolution darauf.

Die Veranstalter dieser Aktion, das muß leider ausgesprochen werden, vergriffen sich von vornherein in Methode und Schlagwort. Anstatt einen politischen Vorstoß mit den Mitteln der Politik zu parieren, etikettieren sie ihr Unternehmen mit dem Tatsachen verwischenden Schlagwort: »Für die Freiheit der Kunst!«

Mit diesem kokett bestickten Fahnentuch gingen sie zunächst Unterschriften sammeln, wochenlang, monatelang. Bis sie alle »Namen« in Deutschland zusammen hatten, ehrwürdige Honoratioren der Kunstakademien, Laureaten der Literatur, Veteranen der Kritik, Publizisten von Ruf, die die längst rostig gewordenen Sporen sich vor 25 Jahren im Kampf um die Lex Heinze verdienten und deren bescheidener revolutionärer Johannistrieb sich in der Unterschriftleistung erschöpft.

Geht es denn wirklich um die Freiheit der Kunst? Niemand stört die Kunst. Die Tapsigkeiten kleiner lokaler Brunner ersticken in einem heiteren Anachronismus. Kein Theaterdirektor wird mehr gehindert nackte Mädel zu präsentieren. Nein, es handelt sich nicht um Kunstfreiheit, sondern um Bürgerfreiheit. Präziser gesagt: das Gesetz zum Schutz der Republik, die Unterlage aller behördlichen Gewalttaten und Legitimation des Leipziger Niedner-Tribunals, muß endlich verschwinden. Gerade der aufrichtige Republikaner kann nicht länger dieses fatale Produkt verteidigen, das nach Rathenaus Ermordung, in der Angst vor demonstrierenden Massen entstanden, längst zu einem scharfkantigen Instrument gegen die Republik wurde.

Die Parole: Für die Freiheit der Kunst! ist die bequemere, dem liberalen Spießer schmackhaftere. Die andere: Fort mit dem Republikschutzgesetz, fort mit Niedner! die riskantere, weniger zum Unterschreiben einladende, aber politisch realere. Sie trifft das Problem im Kern.

Wie so oft bei den deutschen Intellektuellen wird auch diesmal der Protest Inhalt und Ziel, Anfang und Ende des ganzen Unternehmens bleiben. Auf der Tribüne steht Herr Wolfgang Heine, erfahrener alter Politiker, Sozialdemokrat von Einfluß, früherer preußischer Staatsminister, Advokat von glanzvoller Vergangenheit. Warum spricht er das erlösende Wort nicht aus? Warum bleibt auch er stecken in Allgemeinheiten, deren rhetorisches Augenblicksfeuerwerk in seiner farbensprühenden Pracht nicht unterschätzt werden soll? Gewiß, er hat als charaktervoller Mann sein Beisitzeramt im Staatsgerichtshof niedergelegt. Aber warum fordert er nicht den Schlußstrich unter die unglückliche Institution überhaupt? Da spricht auch Herr Dr. Fulda, der behagliche Lustspieldichter. Er spricht eine gut geölte Verwahrung. Dürfte er in Verse[n] reden, vielleicht würde er der Wahrheit näher kommen. Man sollte den liebenswürdigen Poeten nicht zur Prosa zwingen. Vor Jahren hat er das hübsche Epigramm geschrieben von den großen Männern, die verkehrt nach Indien reisen und unterwegs Amerika entdecken. Wer weiß, vielleicht wäre auch Herr Gustav Rickelt, der Präsident dieser Protestler, längst zum Ziel gekommen, wenn er nicht unterwegs Herrn James Klein entdeckt hätte. Wäre Herr Rickelt nicht eine so vielfältig okkupierte Persönlichkeit, vielleicht hätte er schon längst Zeit gefunden, die Stimme zu erheben, den Kampf um die Bürgerfreiheit des Künstlers mit Ideen zu befruchten. Aber Herr Rickelt setzt seine Ideen bei Herrn James Klein ab. Der eine liefert die Idee, der andere das Fleisch. Es muß ein harmonisches Zusammenwirken sein.

Was zäher, politischer Kampf sein sollte, erschöpft sich in einer lauen Proklamation, in einer ästhetisch bemerkenswerten Matinee. Es ist kein großer Aufwand, der da vertan wird. Immerhin, er wird vertan.

Im übrigen sitzt der Schauspieler Gärtner weiter im Gefängnis. Auch Herr Niedner amtiert weiter.

Montag Morgen, 12. Oktober 1925


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