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Der verfilmte Bismarck

Im Primus-Palast wurde heute mittag der erste Teil des Bismarck-Films präsentiert, und damit jüngst entstandene Legenden zerstört, die weniger patriotischer als geschäftlicher Natur waren. Die Befürchtungen, die die Prospekte erweckten, rechtfertigt die Darbietung in reichem Maße. Weder historischer Atem, noch szenische oder darstellerische Leistung, eine Folge von mäßig photographierten Öldrucken. Der Manuskriptverfertiger, ein Professor Ziehen, hat in diesem ersten Teil, der bis zum Frankfurter Bundestag führt, bewiesen, daß er die Geschichte nur aus dem Schulbuch kennt. Das Jahr 1848 erschöpft sich für ihn in der episodischen Verspottung einiger Weißbierphilister und wehender Deputiertenbratenröcke; daß damals um die deutsche Einigung gerungen wurde, hat der belesene Patriot noch nicht kapiert und nichts bleibt für ihn aus dem Jahr der deutschen Revolution denkwürdig, als das Bekenntnis des Abg. von Bismarck-Schönhausen zu einem ultraromantischen Royalismus, über den der entlassene Reichskanzler in Friedrichsruh wahrscheinlich völlig anders gedacht hat. Aber warum Kanonen auf Spatzen richten, warum von den Managern historische und künstlerische Treue verlangen, wo sie doch nichts anderes wollten als einen monarchistischen Tendenzfilm. Einmal, man traut seinen Ohren nicht, wird La Marseillaise gespielt. Hat man sie nicht gerade vor einem Jahr in dem herrlichen »Scaramouche« niedergepfiffen? Ja, aber hier dient sie nicht dazu, revolutionär zu enthusiasmieren, sondern um die Plünderung einer Wohnung durch französisches Militär musikalisch zu illustrieren. Sehr geschmackvoll, in der Tat. Doch fast noch schlimmer als die Franzosen kommen die Österreicher weg, die entweder als böse Intriganten oder als blöd grinsende Idioten figurieren. Soll dieser Film etwa in Österreich für den großdeutschen Gedanken werben? Wie denken Sie sich das eigentlich, Herr Professor?

Das Ganze ist wirklich nur die Manifestation eines bornierten All-Preußentums. Doch brauchen wir uns diesmal keine Sorge zu machen. Dieser »Bismarck«, aus dem Dunst eines Oberlehrerhirns entstanden, wird nicht so verheerend wirken wie Eserepus »Fridericus«. Dazu ist er zu fad, ist das Publikum doch zu anspruchsvoll geworden. Etwaige Provinzerfolge sollen natürlich nicht bestritten werden. Viel Vergnügen in Kuhschnappel!

Montag Morgen, 21. Dezember 1925


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