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Der nationale Lausbub

Am 28. Februar in der Mittagsstunde, in derselben Stunde, in der durch Extrablätter das Ableben des Reichspräsidenten bekannt wurde, erklommen ein paar Primaner das Dach eines Berliner Gymnasiums und zogen einen schmutzigen Lappen auf Halbmast. In der Untersuchung wurden die jungen Dachhasen ausfindig gemacht. Sie gestanden mit schöner Unbefangenheit, daß sie sich nur einen Scherz hätten machen wollen, sie hätten sich schon seit Wochen und Monaten darauf gespitzt. Es sei eben nur Zufall, wirklich nur unglücklicher Zufall ...

Die Angelegenheit an sich interessiert nicht groß. Eine von vielen. Mehr als das Politische der Situation prägen sich die jungen Gesichter ein, die Achtzehnjährigen. Sie haben einen Mann und eine Institution verunglimpfen wollen. Sie haben in Wahrheit nur das eigene Banner gehißt. Der schmutzige Lappen wird zum Symbol dieser nationalen Bürgerjugend.

Lausbubenstreiche sind niemals gefühlvoll. Haben immer etwas vom Sakrileg an sich. Schlagen einer Konvention ins Gesicht. Trampeln auf Sentiments herum. Wie herzlich haben wir dennoch einmal über Ludwig Thomas klassischen Lausbub gelacht. Und dabei sind dessen Taten rüde genug. Dem Papagei im Käfig das Gefieder anzusengen ist kein Heldenstück. Ebensowenig eine launische alte Dame bis zum Schwarzwerden zu piesacken. Wenn wir trotzdem befreit auflachten, so war es, weil hinter all diesen Sottisen die Opposition stand, die Opposition eines kleinen, vereinsamten, zähneknirschenden Bengels. Über dieses Jugendparadies fällt als Schatten die schreckhafte Vision strammgezogener Hosen, von Nachmittagsstunden mit Strafarbeiten im engen, muffigen Zimmer. Das Risiko ist es, das diese kleinen Rüpeleien nobilitiert.

Dieses Gefühl, etwas zu riskieren, aber fehlt dem nationalen Lausbub. Das macht die Sache so widerwärtig. Er weiß, daß ihm nichts geschieht. Er weiß, daß die Untersuchung gerade so weit geht, um den Formalitäten genug zu tun. Er weiß, daß er nicht isoliert ist, sondern Masse, Majorität, kompakte Majorität. Er weiß, daß die Geschichte mit dem Lappen in die Zeitungen kommen wird, daß diese Geschichte an ein paar Millionen Kaffeetischen morgens vorgelesen wird, daß einige Millionen würdige Familienoberhäupter sich dazu unter dröhnendem Lachen auf die Schenkel schlagen werden, daß alte Tanten dazu zustimmend grinsen, daß dumme Gänse Beifall jubeln. Das weiß er. Er hat mit den spitzen Blicken seiner Jahre die Bedienung der Apparatur durchschaut. Er kennt den inspizierenden Oberregierungsrat, der die Kaiserbilder an den Wänden nicht bemerkt, ebensogut wie den Schupomann, der träumerisch in die Luft guckt, wenn hinter ihm zwei Schlackse mit Primanermützen die Mauern mit Hakenkreuzpapieren bekleben. Das kennt und weiß er. Und fühlt sich himmlisch geborgen.

Man sage doch nicht: Warum Feuer und Schwert gegen Jungensexzesse, sowas gab es immer, wird es immer geben! Nein, es ist ein Unterschied, ob einer allein handelt oder sich versippt, verteidigt, gedeckt fühlt durch Hunderttausende. Wäre die Republik heute die allesüberragende, die alles zermalmende Macht, und ein Knirps von Schüler stellte sich ihr schmähend entgegen, man würde seine Hand ergreifen und sagen: »Brav, mein Junge, du bist ein ganzer Kerl, du duckst dich nicht!« Aber so wie diese Jungens heute: gesichert sein, Masse sein, Majorität sein und sich doch katzbuckelnd zu ducken, Unterwerfung zu heucheln und, wenn die Gefahr vorüber, weiter zu machen, das ist elend, das ist niederträchtig. Welch ein Unterschied zwischen dieser protzigen, siegessicheren, klettenhaft zusammenhaltenden Bande und den Primanerkonventikeln von einst, wie sie sich zusammenfanden in Dachstuben und Hinterzimmern von Kneipen, von Tyrannenmord schwärmend, unverstandene erotische Verse deklamierend. Oh, sie wußten sich vereinsamt, gegen eine Welt kämpfend. Sie wußten, daß hinter ihrem Treiben die Relegierung stand, die schimpfliche Verfemung, die zerschlagene Karriere, die triste Aussicht, Subalternbeamter oder Zigarrenreisender zu werden.

Was weiß die sogenannte nationale Jugend von Freiheitsdrang? Ihre Sehnsucht geht nicht nach Bastillensturm oder Barrikadenbau. Würde heute ein erfolgreicher Lüttwitz oder Ludendorff der Republik sein Zwing-Uri errichten, sie würden mit Behagen die Steine zum Bau zusammenschleppen. Sie fordern nicht ihr Jahrhundert in die Schranken, um im Ringen Brust an Brust jauchzend zu vergehen, sondern um ihm Handschellen anzulegen und es auf der nächsten Polizeiwache als lästigen Ausländer zu denunzieren.

Eine Jugend voll Knechtssinn und Militäranwärterinstinkten. Eine Generation von feigen, feisten und verschmitzten Philistern wächst heran.

Das Tage-Buch, 14. März 1925


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