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Das Medium

Vor einem Berliner Schöffengericht wird ein Prozeß zelebriert, einer jener selten glücklich gemischten Prozesse, bei denen das erkennende Gericht auf alle Fälle kein Unrecht begehen kann, sondern höchstens einen intellektuellen Lapsus. Eine Dame, die in sich mediale Kräfte entdeckt hat und diese gern von einem freundlichen Kreis bewundern läßt, hat einen Mediziner, einen Arzt und Forscher von Ruf, wegen Beleidigung verklagt, weil er sich über ihre übersinnlichen Fähigkeiten absprechend geäußert hat. Ein Schöffengericht soll nun entscheiden, ob es Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, die über unsere Schulweisheit hinausgehen.

Seit Faust dem Erdgeist rief, haben sich die Beziehungen zwischen Mensch und Geisterwelt ungemein kompliziert. Früher erschienen die Geister den Gelehrten selber; diese verstudierten ein langes Leben, um ihre Krönung darin zu sehen, wenn schließlich aus Flamme und Rauch ein schemenhaftes Etwas emporstieg. Seit dem Fortschreiten der modernen Naturwissenschaften haben die Geister diesen direkten Verkehr aufgegeben und manifestieren sich vornehmlich durch Medien, das sind Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, die zur Wissenschaft gewöhnlich nur lockere Beziehungen unterhalten. Das ist der triumphale Einzug neuzeitlicher Wirtschaftsformen ins Reich des Okkulten, worüber die Geister wahrscheinlich noch viel erstaunter sind als wir, wenn sie sich uns zeigen. An die Stelle primitiver Gepflogenheiten ist der Zwischenhandel getreten, gelegentlich sogar der Kettenhandel. Das wimmernde Gespenst im nächtlichen Korridor, der Schrecken unserer Großeltern, verkümmert unbeachtet wie der kleine Detaillist. Wo früher Nekromanten strebend sich bemühten, in langen, zergrübelten Nächten Faustens Locke früh erbleichte, da besorgen heute redlich schwitzende Mittler den Transit, und unter Stöhnen und Krämpfen löst sich aus Mund und Nasenlöchern die kostbare Fracht der Materialisation.

Frau N.N., die das Gericht zur Wahrung ihrer medialen Ehre anruft, legt Wert darauf, daß sie Amateurin sei und kein Berufsmedium. Würde dieser Prozeß 300 Jahre früher spielen, und zwar vor einem hochnotpeinlichen Halsgericht anstatt vor aufgeklärten Berliner Schöffen, dann würde die Dame nicht so stark den rein liebhaberischen Charakter ihrer supranaturalistischen Extravaganzen unterstrichen haben. Ebensowenig hätte der gelehrte Geheimrat C.C. Gewicht gelegt auf die Behauptung, daß es mit den Geistern nichts auf sich habe, vielmehr als Expert der Anklage festgestellt, ausgerüstet mit dem ganzen Wissen seiner Zeit, daß die Beklagte als Teufelsbuhle des Todes schuldig sei. Nun sind glücklicherweise diese finsteren Zeiten vorüber. Frau N.N. wird nicht auf offenem Markt gegrillt, sondern lechzt selber mit weitgeöffneten Nüstern danach, das röstende Schmer des Skeptikers zu riechen.

Aber gerade, daß Frau N.N. kein Berufsmedium, das wurmt den Herrn Geheimrat C.C. Mit einer Geisterseherin von Profession, meint er, da kann man herumexperimentieren, so viel man will; da wird eben bezahlt. Eine Amateurin hingegen muß aus gesellschaftlichen Rücksichten so delikat behandelt werden, daß man überhaupt zu keinem Resultat kommt. Glattes Geschäft, nicht wahr? Es wird gezahlt und dafür haben die Geister prompt und reell zu erscheinen. Wenn nicht, Kontraktbruch, Konventionalstrafe. Pünktlichkeit ist erste kommerzielle Tugend.

Da das der Standpunkt der kritischen Wissenschaft, kein Wunder, daß in die Geister ein Zug von Betriebsamkeit fuhr und daß sie, um der vermehrten Nachfrage gerecht zu werden, begannen, durch Quantität zu bluffen. Geheimnisvolle Stimmen redeten durcheinander wie eine unsichtbare Synagoge, weißliche Figuren flogen wie Schnupftabak in der Luft herum, Blumensträußchen, hübsch mit Draht und Seidenpapier, fielen von irgendwo herunter, draußen im Flur polterte es und niemand wußte, warum, und die Feuerzange übte selbsttätig Kopfstand. So war es noch vor ein paar Jahren. Leider stellte sich bald heraus, daß auch die Geisterwelt in die unsoliden Geschäftstendenzen der Inflationszeit geraten, die Grüße aus dem Jenseits erwiesen sich als Tinneff und ein aschgrauer Kater ergriff Besitz von den Empfängern der transzendentalen Produktion. Materialisationsphänomene, vor kurzem noch ein begehrter Handelsartikel, flauten ab, und die Vertreter der Wissenschaft fungierten als Warenpolizei, unerbittlich darauf bedacht, unredliche Kommissionäre zu überführen.

Es gibt aber einen bestimmten Blickpunkt, von dem aus die Medien ebenso komisch erscheinen wie ihre Jäger und Fallensteller. Wer sich verguckt hat in das Phänomen des lebenden Menschen, in die hinreißende Problematik der tausend kleinen alltäglichen Wunder, der läßt hinfort die Toten ruhen und die Medien transpirieren. Wie ein Gedanke wird, wie eine Empfindung aus dunklem Untergrund wächst, das ist unendlich mysteriöser und aufregender als die Tatsache, daß einem bewußtlosen, gefesselten Wesen für den Bruchteil von Minuten ein Verbandwatte-ähnlicher Stoff aus der Nase fährt.

»Warum soll der Tisch nicht rücken? Der Klügere gibt nach«, sagte der alte Humboldt.

Lassen wir ihn ruhig rücken ...

Das Tage-Buch, 11. Juli 1925


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