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Mussolinis Totentanz

Heute vor sieben Jahren teilte sich Europa zu seinem Unheil in Sieger und Besiegte. Jetzt, wo die Mächte des Weltkrieges sich endlich anschicken, die seelischen Auswirkungen des Kriegszustandes zu liquidieren, spaltet der italienische Despotismus die eigene Nation in zwei Klassen, nicht in Sieger und Besiegte, das wäre zu milde ausgedrückt, nein, in Jäger und Gejagte. Das Mitgliedsbuch des faszistischen Lokalvereins attestiert die Jagdberechtigung, legalisiert Willkür und Verbrechen, Mord und Brand und Plünderung.

Über das Zaniboni-Komplott ist sich die nichtitalienische Öffentlichkeit – lassen wir die deutschen Rechtsblätter mit ihrem Diktaturfimmel beiseite – heute schon ziemlich klar. Das, was die amtlichen Verlautbarungen in Rom über die angebliche Verschwörung gegen das Leben des Duce mitzuteilen geruhten, riecht auf viele Kilometer gegen den Wind nach Polizeiarbeit. Am Vorabend des Matteotti-Prozesses soll Mussolini beseitigt werden? Niemand hat diesen Prozeß mehr zu fürchten als der Diktator. Und da sollten ernsthafte Politiker jener Opposition, die allein von dem Prozeß profitieren kann, sich in ein höchst gewagtes Abenteuer gegen den Mann einlassen, den der Mordfall Matteotti schwer blessierte und der an der Gerichtsverhandlung vielleicht politisch sterben kann? Niemand traut der Opposition eine so kapitale Dummheit zu.

Abgesehen von diesem psychologischen Schnitzer handelt es sich aber um eine äußerst gediegene und durchdachte Spitzelarbeit, die der alten zaristischen Ochrana Ehre gemacht hätte. Die Gegner, die getroffen werden sollen, sind mit Sorgfalt ausgewählt. Zaniboni soll die sozialistische Partei repräsentieren. General Capello gehört den hohen Offizieren an, die dem neuen Regime nicht freundlich gegenüberstehen, und spielt bei den Freimaurern eine Rolle. Quaglia, Zanibonis Gehilfe, heißt es, sei der Mann der katholischen Volkspartei. Drei mit einer Klappe.

Die Freudenfeste in allen Orten Italiens, inszeniert von den faszistischen Komitees, können nicht über die schwere innere Krise der Diktatur hinwegtäuschen. Es ist etwas Fatales um solchen »Volksjubel«, der mit Messer und Revolver erzwungen. Mussolinis Sieg über seine Gegner ist zu gewaltsam, zu umfassend, als daß ihm Dauer zuzutrauen wäre. Aufgelöst erklärt die Sozialistenpartei, militärisch besetzt die Logen, eingeschüchtert die Katholiken und Liberalen. Es liegt in der Logik der Gewalt, daß, wer sich ihr einmal unumschränkt verschrieben, sich immer wieder überbieten muß. Da die alten Feinde weggefegt sind, müssen immer wieder neue geschaffen werden. Eine Diktatur wie die Mussolinis kann niemals für sein, sondern immer nur gegen; ihr Zweck ist Besiegung der »Feinde«, Austilgung der »Verräter«, und deshalb läuft sie in die Gefahr, daß die ewige gloriose Fechterattitüde einmal mit einem Stoß ins Leere endet.

Aber es ist noch etwas anderes möglich. Ist die Opposition einmal erledigt, dann bleibt niemand mehr übrig, als der Duce und seine militärisch organisierte Partei. Dann wird der Schlußkampf vor sich gehen zwischen den selbständig werdenden Kreaturen und ihrem Hexenmeister, der die Kraft der alten Zauberformeln erschöpft sieht und keine neuen mehr findet. Auch sein schärfster Gegner wird Mussolinis Verdienste nicht verkennen. Er hat in der Reform der Verwaltung vieles geleistet und, mit manchem verzopften Schlendrian aufräumend, Italien dem internationalen Zivilisations-Standard nähergebracht. Auf alle Fälle gehört der Proletariersohn aus der Romagna, der es verstand, ein ganzes Volk für ein finsteres, reaktionäres, mittelalterliches Ideal revolutionär zu enthusiasmieren, zu jenen Gestalten der Geschichte, die etwas über das Menschenmaß Hinausgehendes wollten. Aber gelungen ist ihm nicht, vom revolutionären Stoß in die Politik hineinzufinden. Das, was von einem ganz anderen Pol aus Moskau gelang, ist in Rom mißglückt. Die verheißene bürgerliche Ordnung ist nicht eingekehrt. Die Ruhe ist die Ruhe des Friedhofs. Der Terror der Schwarzhemden-Miliz regiert die Provinzen, büttelt die freie Meinung nieder. Vielleicht erkennt der Tribun selbst als ein im modernen Parteiwesen aufgewachsener Politiker das alles recht gut. Ändern kann er es nicht. Brutalitäten und Korruption sind die Resultate der faszistischen »Erneuerung«.

Seit drei Jahren befindet sich Italien im Daueralarm. Laute Theatralik muß über das Versagen hinwegtäuschen. Mit eingefrorener Bonapartegeste präsentiert der »große Mann« sich dem Volk. Als er in Locarno zum erstenmal vor internationalem Forum erschien, innerhalb seiner Leibwache pompös wie ein vom Sockel gestiegenes Denkmal, begegnete er allgemeiner heiterer Ablehnung. Inzwischen aber knallen seine Drohreden wilhelminischen Stiles über die Adria, über den Brenner. Seine Presse deklamiert gegen Paris, wo angeblich die Drahtzieher der Zaniboni-Verschwörung sitzen sollen. Neuer nationaler Furor soll das düpierte Volk verhindern, das Vakuum der Dikatatur zu sehen. Kein Regiment kann dauernd von Siegen über das eigene Volk leben.

Noch einmal ist es gelungen, den revoltierenden gesunden Menschenverstand in einem ungeheuren Delirium zu ersäufen. Und so wird es wohl noch eine Weile weitergehen. Aber diese bunten, geräuschvollen Paraden mit Tressen und Trommeln, mit Schwarzhemden und römischen Feldzeichen, sie sind nicht mehr als ein wüster Totentanz auf unterminiertem Gelände. Der vertriebene Feind hat sich tief in die Erde verkrochen und wartet auf seine Stunde. Während oben die Miliz mit Hörnerklang und Trommelwirbel marschiert, findet unten die Schattenparade der verbotenen Gedanken statt. So wird Mussolini »weitersiegen«, bis eines Nachts der gespenstische Tambour der Vergeltung aus der Gruft steigt und Reveille trommelt, für alle, die unterdrückt, für alle, die etwas zu rächen haben.

Montag Morgen, 9. November 1925


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