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Das boykottierte Vaterland

Der preußische Ministerpräsident hatte sich erhoben, um im Namen der Regierung Verwahrung einzulegen gegen die Nichträumung der Kölner Zone. In diesem Augenblick Poltern, Scharren, Schwatzen, Lachen, die ganze Rechte von den Nationalsozialisten bis zur Volkspartei, »Nationale Opposition« und »Nationale Realpolitik«, trampelte Arm in Arm hinaus.

Selbst im Schwarzbuch unseres Parlamentarismus ist bisher noch nicht vermerkt, daß eine selbstverständliche Sympathiebezeugung für bedrücktes, von fremden Truppen besetztes deutsches Land Gegenstand einer Obstruktion aus parteipolitischer Gehässigkeit wurde. In den Blütetagen der Unabhängigen hat kein eifernder Ledebour auch nur daran gedacht, eine gemeinsame Trauerstunde zu stören. Kein aufgeregter Kommunist hat den Mund aufgetan, als Herr Cuno seinen ledernen Gallimatthias zur Ehrung der Essener Opfer vorlas. Man wußte: es gilt den Toten und Herr Cuno ist dabei nebensächlich. Hat schon jemand bei der Beerdigung skandaliert, weil der Pfaffe zu langweilig war?

Die Demonstration der Rechten im Landtag bedeutete mehr als Boykott einer nicht mehr gewünschten Regierung. Sie boykottierte nicht Braun und Severing, sondern Deutschland.

 

Warum hat sich eigentlich noch niemand an eine Geschichte des deutschen Patriotismus gewagt? Warum hat noch kein Dichter Herrn Chauvins teutonische Edition festgehalten, so wie Anatole France die »Troublions« in unverwischbaren Konturen skizziert hat? Freilich, es gehört der Mut dazu, anstatt mit der Feder mit der Nilpferdpeitsche zu schreiben. Es ist ein Unglück, daß der deutsche Patriotard ohne Stigma herumlaufen darf. Zweckentsprechende Typisierung der politischen Erscheinungen würde die Politik wesentlich einfacher machen. Dann könnte kein Deputierter wagen, dem verwundeten Deutschland einen Tritt zu geben, um nachher öffentlich zu erklären, das wäre national.

Wir haben uns den Begriff Vaterland mit dickflüssigem Schwatz umkleistern lassen. Nichts schwingt in uns mehr mit, wenn einer das Land unserer Geburt feiert. Männerchöre grölen, Studenten trampeln, Frauenvereine kreischen, aber es zittert kein Herz mehr, wenn Einer Deutschland sagt. Das Vaterland gehört zum Bereich des Mundwerks, ist untrennbar verbunden mit Eichenlaub und Schwertern und schlechtem Öldruck.

Deutschland ...? Was ist das, zu wem spricht das? Wer liebt denn überhaupt Deutschland?

Die von Rechts sagen: dieses Deutschland sei gedemütigt, beschmutzt, ehrlos geworden, müsse in Blutströmen gesund gebadet werden. Sie verachten das geschlagene, verkleinerte, friedensuchende Deutschland.

Aber niemals ist das Vaterland liebenswerter als in den Tagen der Not. Vielleicht erhält in solchen Zeiten das Wort erst recht seinen Sinn. Und, seid ehrlich, wer von euch hat in diesen Jahren Deutschland geliebt?

Ihr Sozialdemokraten habt Ludendorff verwünscht, ihr Deutschnationalen die Sozialdemokraten, Juden und Franzosen, ihr Kommunisten allen und jeden, ihr Volksparteiler habt für den Geldsack gezittert. Keiner von euch hat Deutschland geliebt, keiner von euch hat Deutschland geliebt, keiner, keiner. Der Haß war alleiniger Bewußtseinsinhalt geworden. Die Hand an der Gurgel, in der Tasche des andern, so hat das deutsche Volk in diesen bitterbösen Jahren – zusammengehalten.

Vaterlandsliebe ist kein deutsches Gewächs. Vielleicht gedeiht sie im unruhigen Albanien, vielleicht im Sand der maurischen Wüste, wo braune Männer mit europäischen Eindringlingen um jeden Fußbreit der traurigen Erde kämpfen. Wir sind wohl zu national, um zu wissen, was Vaterland ist.

»Deutschland, Deutschland über alles!« Sehr nett, daß uns die Republik die Nationalhymne wieder beschert hat. Aber was sollen wir eigentlich damit? Selbst die etwas spießigen Reime des ehrwürdigen Hoffmann klingen für unsere Verhältnisse zu pompös. Von der Etsch bis an den Belt ...? Mein Gott, einstweilen ist es schon schwer genug, von der Spree zur Isar zu kommen. Und der gute Vater Rhein, der mag sich auch noch gedulden. Der wird noch recht lange »Rule Britannia« hören müssen, weil der selbstverständlich unantastbar nationale Minister Stresemann nicht gern einen Sozialdemokraten in der Regierung sehen möchte.

Wenn es schon nicht ohne Nationalhymne geht, da sind noch immer die Verse des Düsseldorfer Juden und Preußenfressers und Napoleonschwärmers Heinrich Heine:

Denk' ich an Deutschland in der Nacht,
dann bin ich um den Schlaf gebracht ...

Vertont das, aber nicht für Blech und Kalbfell, sondern für eine wehmütig gedämpfte Geige. Und das wollen wir, wenn wir an Deutschland denken, leise vor uns hinsummen, wie ein Wiegenlied für ein krankes Kind.

Das Tage-Buch, 17. Januar 1925


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