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Die Hefte

Stefan Großmann erzählt in seinem Nekrolog für Konrad Hänisch von der Herzensgüte dieses fünfzigjährigen Jungen, er spricht von dem ewigen Durcheinander einer unaufgeräumten Seele. Mir fällt ein ganz kleines Erlebnis ein, das diese Worte zu unterstreichen scheint.

1920, kurz nach dem Kapp-Putsch, kam ich als Mitglied einer Deputation pazifistischer Gruppen zu ihm ins Kultusministerium. Wir sollten auf die anwachsende politische Verhetzung in den Schulen aufmerksam machen. Von zwei Geheimräten flankiert, hörte er unsere nicht kurzen Klagen mit unendlicher Liebenswürdigkeit an. Gelegentlich nickte er zustimmend oder schüttelte den Kopf, und dann nickten oder schüttelten die beiden Geheimräte auch.

Schließlich wurden ihm als Beweisstücke ein paar Schulhefte aus irgendeiner Berliner Gemeindeschule überreicht. Da standen in steilen, hochbeinigen Lettern so appetitliche Dinge, wie: Ebert kann nicht regieren, weil er ein Sattlergeselle ist, oder: Noske hat eine rote Badehose. – Das hatte ein Fräulein Lehrerin diktiert.

Da saß er nun, der gute Konrad, wie geradenwegs aus dem Himmel gefallen, wo er am freundlichsten und erdfernsten ist, und betrachtete immer wieder mit großen, runden Augen diese von ungelenker Kinderhand bemalten Hefte, drehte und wendete die Blätter und fuhr schließlich mit prüfenden Fingern über den Umschlag, wie um festzustellen, ob das auch echt sei. Dann wandte er sich zu den beiden Geheimräten und sagte mit sehr gedämpfter Stimme, einen Seufzer im Auge: »Das geht in der Tat zu weit!« Und die beiden Herren nickten und versicherten ebenso diskret, daß das wirklich zu weit ginge.

Nach den üblichen Höflichkeitsbezeugungen empfahlen wir uns. Wir haben nie wieder etwas von der Sache gehört. Aber ich entsinne mich, daß er in dieser Zeit einmal nach Pommern fuhr, um irgendeine nationalistische Gymnasial-Insurrektion im Keim zu ersticken. Er hat auch selbst zu den grünschnabligen Rebellen gesprochen. Es ist zu befürchten, daß dieser geborene gute Onkel keinen tiefen Eindruck hinterlassen hat. Er wird sein volles Herz gegeben haben, und die Lausbuben haben hinterher gefeixt.

Wie konnten sie auch den stillen Glanz dieser bescheidenen Glorie verstehen? Die nationale Jugend braucht, soll sie Order parieren, blitzende, rasselnde, speereschüttelnde Heilige und Götter mit Büffelkopf oder Drachenmaul.

Das Tage-Buch. 9. Mai 1925


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