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Das Publikum klagt über zu schroffes Vorgehen
Zu denjenigen beamteten Personen, deren Arbeitslast in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise riesenhaft anschwoll, gehört der Gerichtsvollzieher. Er ist so etwas wie das Symbol dieses schweren Winters geworden. Die einzig[e] Struktur im allgemeinen Zerfall, das einzige Stabile in der Stabilisierung. In manchen Gegenden der Großstadt, und nicht nur in den Armeleutquartieren, erscheint er pünktlich, pünktlicher – merk' es Post! – als der Briefträger.
Vorüber die Zeit, wo er, wenigstens in den Witzblättern, mit dem fröhlich-verkaterten Studiosus nach fruchtlosem Pfändungsversuch wie ein lieber, alter Onkel die letzte Zigarre raucht. Vollstreckungen von heute gebricht es an so humorigem Einschlag. Der Gerichtsvollzieher erscheint nicht mehr als heiteres Intermezzo oder als Rächer liederlicher, betrügerischer Lebensführung, sondern als Sensenmann der bürgerlichen Existenz. Er bedeutet für ausgemergelte Arbeiterfamilien den Verlust der letzten kümmerlichen Habe, für Bürgerhäuser, die sich zäh durch Krieg und Inflation gebissen haben, den Höllensturz in die offene Proletarisierung.
» Der Gerichtsvollzieher kommt!« Das war immer schon, durch die Tatsachen bedingt, ein trauriger Alarmruf. Heute hat dieser Ruf nicht nur durch die leidige Tatsache, sondern recht oft noch durch das Auftreten des Exekutors eine besonders schmerzhafte Note bekommen. Die Menschen, die heute ausgepfändet werden, sind meistens bei bestem Willen nicht mehr in der Lage, zu zahlen, sie sind durch die Bank völlig Verzweifelte, müssen sich aber trotzdem eine Behandlung gefallen lassen, als wären sie verstockt Böswillige oder Verbrecher. Es muß endlich einmal gesagt werden, daß die Nerven zahlreicher Gerichtsvollzieher sich der Arbeitslast dieser Monate nicht gewachsen zeigen, und daß viele dieser Beamten sich eine Tonart angewöhnten, die zwischen kalter Schnoddrigkeit und hämischer Schadenfreude zwanglos pendelt und begleitet wird von einer Rücksichtslosigkeit des Benehmens, die für die Opfer zu der natürlichen Bitterkeit des Moments noch ein begreifliches Moment persönlicher Erbitterung fügt. Es wird Zeit, gewissen Beamten deutlich zu machen, daß sie nicht als Racheengel höherer Moral fungieren, daß sie sich nicht zu betragen haben, als nähmen sie Requisitionen in Feindesland vor, daß in keiner Weise Unteroffiziersgeschnauze und Gebrüll am Platz ist, sondern daß sie eine Amtshandlung vornehmen, die von den Betroffenen mit Zittern erwartet wird, und meistens das graue Elend hinterläßt.
Immer lauter und dringender werden die Klagen aus dem Publikum, nicht nur über büttelhaftes Auftreten, sondern auch über willkürliches Verfahren, das die Gepfändeten über Gebühr schädigt und zu zahllosen Regreßansprüchen führen könnte, wäre nur noch Geld zum Prozessieren übrig. Die Auswahl der Pfandobjekte erfolgt schikanös, unsachlich und ohne Berücksichtigung des Lebenswichtigen. Einem jungen Schriftsteller z.B., der von Zeitungsartikeln lebt, wird gerade die Schreibmaschine angeklebt. Er versucht es, dem strengen Herrn beizubringen: diese Schreibmaschine sei die Grundlage seiner kümmerlichen Existenz, man lese in Redaktionen nicht gern handgeschriebene Arbeiten von Unbekannten usw. Doch der Herr Beamte rafft mit dem klassischen Wort: »Unsinn, früher als noch nicht getippt wurde, gab es auch Schriftsteller!« die Maschine an sich. So eine Antwort zu finden für einen jungen Menschen, der blaß, hungrig, mit Tränen kämpfend, eine Bitte vorträgt, das zeugt, höflich gesagt, von unverwüstlicher guter Laune.
Beschlagnahmen von Gehalt, Vollstreckungen in Geschäften und Kontoren wickelten sich früher möglichst geräuschlos ab. Man wahrte Diskretion, um weitere Schädigungen zu vermeiden. Heute wird im Gegensatz zu früher möglichst viel und laut geschrien, es scheint da eine Art von bureaukratischer Exhibitionssucht einzureißen.
Wir hörten neulich von dem leitenden Angestellten eines großen Berliner Hauses, dem es heute auch nicht allzu gut geht, in welcher Form sich der Besuch des Vollstreckers abspielte. Als man den Beamten ersuchte, ein wenig zu warten, da der Betreffende bei einer Konferenz im Direktionszimmer sei, begann er zu lärmen: »Was geht mich die Konferenz an, ich bin der Gerichtsvollzieher.« Er dringt in das Arbeitszimmer ein, wo ein paar Kunden warten. Mit Stentorstimme: »Herr X. soll sofort kommen. Ich bin der Gerichtsvollzieher!« Man fragt sich, warum der gute Mann, um über die Bedeutung seiner Mission auch keinen Zweifel zu lassen, nicht gleich mit einem Hornisten und einem Schellenbaumträger anmarschiert. Wenn aber so etwas in der Tageshelle eines großen Geschäftshauses und vor vielen Zeugen geschieht, dann muß man sich weiter fragen, was wohl erst gefällig ist in elenden Mietskasernen, Kellern und Baracken, dort, wo die Gedrückten und Zermürbten hausen, die Hilflosen und Rechtsunkundigen. Aber wer auch betroffen sei, der Mann mit dem gummierten Adler ist auf alle Fälle der Stärkere. Weist man ihm wegen ungezogenen Betragens die Tür, kann er zu seiner Assistenz die Polizei holen. Darin, daß er es stets mit Schwächeren zu tun hat, liegt eine hohe Verpflichtung zu gesittetem Wesen.
Vielleicht wird mancher das, was hier gesagt wurde, allzu hart finden. Auch möchten wir vor Verallgemeinerungen warnen. Wir wissen, daß neben den Rauhbeinen noch immer viele mit Schonung und Menschlichkeit ihren Beruf ausüben, der ihnen fürwahr keine Freude bereitet. Das anzuerkennen, hindert nicht, die obigen Feststellungen: Lockerung des Tones, übertriebene Schroffheit der Methode, Überhandnahme von Willkürakten. Es ist zu wünschen, daß die übergeordneten Stellen diesen Zustand mit Aufmerksamkeit verfolgen und neue Instruktionen erteilen, die der wirtschaftlichen Labilität dieser Tage besser entsprechen. Soziales Verständnis kann natürlich nicht durch Instruktionen eingeimpft werden, wohl aber Manieren.
Und das allerdings muß verlangt werden.
Montag Morgen, 8. März 1926