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Auf dem Trittbrett

In den südeuropäischen Städten hat sich bis in unsere Tage der Corso erhalten, das ist der Platz, wo sich alles trifft. Da werden Bekanntschaften erneuert, abgebrochen und wieder geleimt. Da wird getuschelt und geklatscht. Da mustern die jungen Herren mit kritischem Auge die Damenwelt.

Auch in Berlin gibt es das. Aber es ist bei weitem nicht so nett wie etwa in Spalato oder Tarragona. Denn dieser Ort ist das Trittbrett der Straßenbahn.

Man muß es gesehen haben, wie die Weltstädter auf- und absteigen. Es ist eine lange, teils schwierige, teils genußreiche Expedition. Es gibt Spezialisten, die den Vorgang raffiniert zu strecken verstehen. Grüße, Händeschütteln, letzte geschäftliche Mitteilungen, Krach und Wiederaufnahmeverfahren ... keine Funktion des bürgerlichen Alltags, die nicht auf dem Trittbrett zu erledigen wäre. Dieses Trittbrett bedeutet das Schicksal des oft geschmähten Berliner Verkehrs. Merkwürdig, daß noch niemand dahinter gekommen ist.

Übrigens beschränkt sich dies Idyll auf die Straßenbahn. Der Omnibus ist ein zu unruhiger, ewig hin und her wippender Gesell, um das Aufkommen vornehmer Geselligkeit zu begünstigen ...

Neuerdings sieht man Trambahnwagen mit zweistufigem Trittbrett. Eine begrüßenswerte Neuerung, die gerade dem verwöhnten Geschmack der Habitués ungeahnte Möglichkeiten bietet.

Wer es nicht glaubt, betrachte einmal an einer der frequentiertesten Haltestellen für 10 Minuten den Betrieb. Wer unseren vielberufenen Großstadtrhythmus in allen seinen Abarten studieren will, der mache die Augen auf und staune!

Montag Morgen, 24. August 1925


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