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»Ohne Kompetenz«

Der Kongreß der Bühnengenossenschaft hat sich bemüßigt gefühlt, den angesehenen Theaterkritiker Dr. Herbert Ihering in einer Resolution abzukanzeln, weil er »ohne Kompetenz« über »innere Angelegenheiten« der Genossenschaft sich ein Urteil erlaubte. Man fragt danach, ob der also Gerüffelte einen neuen Modus für Beitragseinziehung vorschlug, oder sich sonstwie um das administrative Drum und Dran kümmerte. O nein. Herr Dr. Ihering hat Herrn Rickelt nach seiner Teilhaberschaft an der Abfassung der inzwischen entschlafenen James-Klein-Revue die Eignung zum Präsidenten der Genossenschaft abgesprochen. Er hat das in polemisch scharfer, doch keinesfalls exzessiver Form zum Ausdruck gebracht. Er hat seine Meinung vertreten, daß Herr Rickelt heute für die in der Genossenschaft wirksamen idealen Kräfte zum Hemmschuh geworden sei und deshalb am besten zurückträte. Auch die resolutionäre Phalanx des Herrn Rickelt dürfte kaum bestreiten, daß es ein Recht der Presse gibt, Kritik zu üben an der Politik einer viel kämpfenden, viel umkämpften großen Berufsorganisation. Und wann und wie wäre die Politik einer solchen Organisation sichtbarer als in einer öffentlichen Attitüde ihrer Repräsentanz? Indem Herr Rickelt Herrn Klein nicht nur seine poetische Imagination, sondern auch seinen autoritiven Namen lieh, gab er der Revue, die bis dahin dastand, wie sie von Gott und Klein geschaffen, wenn auch nicht gerade ein prunkvolles Kleid, so doch ein legitimierendes Feigenblatt. Und da es im Statut der Bühnengenossenschaft noch immer keinen Satz gibt, durch den James Klein zur präsidialen Privatsache erklärt wird, so fühlt sich die Presse auch kompetent, eine solche Allianz auf Würde und Effekt zu untersuchen.

Die Theater leiden heute am Hungerödem. Alle, die damit verflochten sind, Direktoren, Regisseure, Darsteller, appellieren hilfeheischend an das Publikum. Die Existenzfrage tritt vor, schiebt die künstlerische Betrachtung zurück. Über all diesen Verlautbarungen steht das unsichtbare Motto: »Es wird höflichst gebeten, nach dem Herrn am Piano nicht mit Messern zu werfen, er tut sein Bestes!« Soll sich der Kritiker also auf beflissene Premierenreportage beschränken, ob Herr K. seinen Monolog meisterhaft gliederte, Fräulein L. im letzten Akt nicht mehr der Steigerung fähig war? Hat nicht gerade der Kritiker die Pflicht, das Theater als sozialen Organismus zu nehmen? Gerade der Kritiker, der das Theater liebt?

Im übrigen hat die Genossenschaft Herrn Rickelt mit großer Mehrheit wiedergewählt. Wir denken nicht daran, dies Ergebnis zu bekritteln. Schon weil Generaldebatte und Wahl unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfanden, halten wir uns nicht für kompetent, ein Urteil zu fällen. Herr Rickelt ist ein erfolgreicher Organisator und glänzender Propagandist. Dennoch, ihm und seiner Organisation wäre einiger Kummer erspart geblieben, hätte er beim Angebot des Herrn James Klein für einen Augenblick nur ... an seiner Kompetenz gezweifelt.

Montag Morgen, 22. März 1926


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