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Das Gespenst von Reichenbach

Zu Reichenbach im Eulengebirge geschehen Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheit sich nichts träumen läßt. In dem bescheidenen Häuschen, das einmal Eigentum des Florian Flechtner war, der zu Lebzeiten ein furchtbarer Don Juan gewesen, spukt es. Da wimmert des Nachts im Kamin melancholische Musik; Klopfgeräusche und Stimmengemurmel, ähnlich wie im Reichstag, stören den Schlaf. Einmal hob sich vor den Augen der entsetzten Bewohner sogar eine Wasserkaraffe selbsttätig in die Luft. So Unheimliches begibt sich in diesem Haus. Florian Flechtner, so sagen die Reichenbacher, findet im Grabe keine Ruhe, und sucht immer wieder die Stätte seiner einstigen Vergnügungen heim. Kein Wunder, daß sich alle Mieter nach kurzem drückten.

Die jetzige Besitzerin ist eine junge Dame von 25 Jahren mit hübschem Bubikopf, die Interviewern gegenüber betont, daß sie nicht Witwe sei, wie zuerst irrtümlich berichtet, sondern geschieden, und daß sie sich in die anspruchslose Schönheit des Eulengebirges verzogen habe, um sich von ihren ehelichen Erfahrungen zu erholen. Den letzten Eigentümer – einen früheren Offizier – hatte Florian, abgesehen von der Wasserkaraffe, mit fühlbarer Distinktion behandelt. Aber mit der Sensation des ersten Bubikopfes in seiner nachirdischen Existenz geriet dieser lockere Geist völlig außer Rand und Band und erhöhte Tätigkeit begrüßte den liebenswürdigen Gast. Als aber der Dame die nächtlichen Serenaden in dem Ofenloch zu bunt wurden, verließ sie das unheimliche Haus und fuhr nach Breslau zurück, um Vertretern hauptstädtischer Journale ihr Leid zu klagen. Und Florian sitzt nun ganz allein, falls ihm nicht die Geister abgeschiedener Hypothekengläubiger Gesellschaft leisten.

Dennoch ist zu hoffen, daß jetzt bald Licht in die sinistre Affäre kommt. Hat doch die Breslauer Okkultistische Gesellschaft beschlossen, mit einem Medium bewaffnet, gen Reichenbach zu ziehen. Vielleicht wäre an der Expedition auch der Professor Moll zu beteiligen, der sich in Berlin ja als Teufelsaustreiber einen geachteten Namen gemacht hat. Zu empfehlen wäre den Breslauer Geisterkundigen jedenfalls, wenn sie schon ein Medium mitnehmen, dann, dem Geschmack des unheiligen Florian entsprechend, ein weibliches. Möglichst nicht über 25 und mit Bubikopf. Das dürfte die Verständigung mit dem alten Sünder sehr erleichtern.

Und wenn die ganze Geschichte nicht ein gefundener Stoff für Rudolf Lothar ist, den begnadeten Autor des »Werwolfes«, dann will ich gern dazu verdammt sein, einmal als kettenrasselnder Spiritist ausschließlich alte Schachteln und pensionierte Generale zu ängstigen.

Montag Morgen, 29. März 1926


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