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Die Seehunde

Vor einer nordenglischen Flußmündung, der Wash ist es wohl, so las man kürzlich in den Blättern, haben sich Seehunde niedergelassen, Seehunde in unübersehbaren Heerscharen. Die lagern dort auf den Sandbänken und Klippen, fressen und verdauen, bilden je nach Neigung Bellchöre, machen zwischendurch ihre Schwimmübungen zur Erhaltung elastischer Figur und beeinträchtigen, so wird geklagt, erheblich den Fischbestand. Das verärgerte Küstenvolk rüstete Jagdexpeditionen aus, die sich aber als Nieten erwiesen. Denn Seehundwitz zeigte sich Menschengeist überlegen. Wenn sie am Mittag satt und träge herumlungern, haben sie zum Schutz gegen Überrumpelung eine vorzüglich funktionierende Informationsstelle organisiert, denn wenn der Seehund vom Dienst die herannahenden Bote erspäht, heult er prompt Alarm und im Nu ist die Gesellschaft verschwunden und schwänzelt submarin den gefoppten Jägern Hohn. Die fahren wutschnaubend zurück und pflastern die Lokalblätter mit Vorwürfen gegen die Behörden. Schließlich begriffen Seiner Majestät Beamten, daß ihre Reputation auf dem Spiel. Jetzt werden in allen besseren Kanzleien Nordenglands, nachdem die allzu primitiven Jagdzüge versagten, Pläne gewälzt, mit der konzentrierten Systematik moderner Kriegstechnik den flossenschlagenden Riffpiraten an den Speck zu rücken. Denn sind sie nicht Schädiger nationalen Wohlstandes, also Feinde der Nation, also Feinde der Zivilisation, vergreifen sie sich nicht an Gut, das eigens zur besseren Prosperität einiger Fisch-Versandfirmen nach göttlicher Bestimmung in die Flußmündung hineingelaicht wird? Da die altväterlichen Kampfmethoden sich auf den Sandbänken des Wash ebensowenig stichhaltig erwiesen wie auf den Sandwüsten Marokkos, wurde vorgeschlagen, die lästigen Tiere gerade so zu behandeln, als ob sie Menschen wären. Das heißt, man beabsichtigt, um ihre pfiffige Pressestelle zu irritieren, Tauchboote mitten in ihr usurpiertes Reich zu schicken und von oben her aus Flugzeugen Gasbomben werfen zu lassen.

So wird also demnächst ein gewaltiges Massaker geschehen. Abertausende erstickter Seehunde werden die Bänke und Riffe decken, aus vielen brechenden Augen, die klein und klug in die klare Salzluft schauten, werden Blicke hinaufflehen zu dem großen Robbengott, der weit hinter Thule in arktischen Nebeln auf kolossalem Eisblock in majestätischem Tran von seiner wohlgelungenen Schöpfung träumt und nichts ahnt von dem Weh seiner Kreaturen. Kein Zweifel, die Technik wird siegen. Heeresberichte mit gloriosen und falschen Zahlen über die Verluste des Feindes werden in die Welt gehen, ausklingend in das Viktoria: – – und von den Unsern ward kein Mann verletzt!

Man könnte aus dieser bevorstehenden Robben-Tragödie den folgenden Schluß ziehen: so lange die Völker kriegerisches Spielzeug haben, müssen sie es auch gebrauchen. Und die Militärs insbesondere können ihre Requisiten ebenso wenig in Ruhe wissen wie Kinder ihre Bälle und Kreisel und Bauklötzchen. Gibt es schon einmal zufällig keinen Krieg, so muß man sich eben anderweitig Übung verschaffen. Irgend etwas wird man schon finden. Hält der heute von Optimisten bemerkte Pazifikations-Prozeß tatsächlich an, so werden die Strategen vom Fach sich eben neue Gebiete erschließen müssen, die bisher anderen Spezialisten vorbehalten waren. Wenn schon die englische Küstenverteidigung mit submarinen und aviatischen Waffen gegen die armen, dicken Seehunde loszieht, warum soll nicht einmal nach Jahrzehnten glücklich für die Menschheit der Kammerjäger mit Generalsraupen möglich werden. Von Stabsoffizieren umgeben, tritt er an den Platz seiner Tätigkeit, ausgerüstet mit Plänen, nüchtern, korrekt, indifferent. Und doch vor Wollust fast berstend, endlich seine Bestimmung zu erfüllen, endlich sein Gewerbe praktisch auszuüben, endlich einmal zu töten, zu töten, zu töten!

Das Tage-Buch, 6. Februar 1926


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