Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

650

Invictis victi victuri

Denkmalsenthüllung in der Berliner Universität. Ganz großer Tag. Die Professoren, die Studenten in Wichs. (Die republikanischen Gruppen sind fortgeblieben.) Der Reichspräsident, wieder als Marschall; – die Minister. Hakenkreuzfahnen umrahmen das freundliche Familienbild, in dem auch der zurückgekehrte, beruhigend erholt aussehende Herr Geßler nicht fehlt. Die Inschrift hat Herr Seeberg ertiftelt, ein sanfter Theologe und streitbarer Nationaler: »Den Unbesiegten die besiegten Sieger der Zukunft.« Das ist dunkel, dem Familienkreis hier deshalb einleuchtend. Die wissen, was man sich unter solcher Rätselformel zu denken hat. Und dies schöne stille Einverständnis erfüllt die Reden. Zuerst ein Studiosus: ›Preußische Disziplin, äh!‹ Dann Bergrat Pompecki, der Rektor, ein Geologe, gewohnt mit langsamen Entwicklungen zu rechnen, deshalb noch nicht bei der Republik angelangt. Redet den Reichspräsidenten mit ›Exzellenz‹ an und preist Gustav Roethes Verdienste. Seeberg, der sanfte Theologe, erklärt: dieses Denkmal bedeute ›das heilige Dennoch‹. Und damit sind wir gleich sehr tief in nationaler Phraseologie. Diese geschwollenen Dunkelheiten sind kennzeichnend für die chauvinistischen Wortemacher, die entweder nichts Konkretes zu sagen haben oder sich um die Tatsachen herumdrücken. Kürzlich wurde in Berlin ein völkischer Dichter namens Knauft wegen allerhand Hochstapelei zu Gefängnis verurteilt. Der geschäftstüchtige Barde hatte auch einen Gedichtband veröffentlicht mit dem anspruchslosen Titel: ›Und ich bin doch!‹ Megalomanie, die geübte Ohren auch in dem ›heiligen Dennoch‹ wiederklingen hören. Verlogen wie die Sache ist der Stil. Die Niederlage im Krieg, das ist die harte Wahrheit. Weil man das nicht aussprechen mag, deshalb mixt man aus gequollenen Redensarten eine phantastische Zukunft. Diese Zukunft ist immer der fromme Selbstbetrug von Besiegten gewesen, die darüber die Gegenwart verloren haben.

 

Sechzig Jahre nach Sadowa zieht ein Zug von Reichsbannerleuten nach Wien zu gemeinsamer großdeutscher Kundgebung. Das ist viel. Aber sechzig Jahre nach Sadowa ist auch noch ein Konflikt möglich wie der zwischen dem Reich und Preußen über den Ratssitz in der Reichsbahn. »Belange« der Länder werden ausgespielt, Schriftstücke in einem modisch temperierten Curialstil ausgetauscht; es riecht nach Moder und Regensburger Reichstag. Großdeutschland ist ein schönes Ziel. Aber täte man nicht besser, aus Bismarcks Kleindeutschland vorher den Geist größenwahnsinniger Duodezstaatlichkeit zu vertreiben? Die Weimarer Verfassungsmacher sind, wie um alle Probleme, auch um dieses herumgegangen. Heute fühlt sich der Partikularismus sicherer als jemals im alten Reich. Gäbe es Patrioten, die mit dem Hirn denken anstatt mit dem Maul, sie würden sich einsetzen für eine Neugliederung des Reichskörpers, die der wirtschaftlichen Situation von Heute entspricht und der Lächerlichkeit kostspieliger Miniaturregierungen ein Ende macht.

 

Um Herrn Iwan Kutisker gibt es noch immer keine Ruhe. Die Enthüllung seiner Praktiken hat mehr als zwanzig deutsche Firmen nicht abgeschreckt, ihn um seine Vermittlung für ein profitables Russengeschäft anzugehen. Die Zeitungen mißbilligen das, und nur der »Vorwärts« (der »Vorwärts«!) versucht eine Entlastungsoffensive für die kompromittierten Firmen. Eigentlich ist es schmählich undankbar von der nationalen Presse, Herrn Kutisker preiszugeben. Denn dieser tüchtige Geschäftsmann gehört zu den wenigen unleugbaren Errungenschaften der deutschen Ostpolitik im Kriege: er begann während der Okkupation in Kowno als Lederhändler. In Konferenzen mit den Militärbehörden machte er die Erfahrung, daß der Händler immer am besten mit dem Helden geht; er gewann deutsches Wesen lieb und grub sich tief in die Geheimnisse der deutschen Seele ein. So vorbereitet, war es ihm leicht, die Finanzräte der Seehandlung zu fascinieren, eines höchst venerablen Institutes, das noch im Assignatenjahre 1923 an den bewährten Methoden der friderizianischen Zeit festhielt und in dem beredten Handelsmann aus dem Osten ein kommerzielles Genie bestaunte. Die Seehandlung setzte auf Kutisker und verlor. Soll man die Herren Finanzräte deswegen steinigen? Soll man gar die hochachtbaren Firmen ächten, die sich an eine bereits gerichtsnotorische Persönlichkeit mit der Bitte um gütige Vermittlung wandten? Wer das tut, übersieht die neuerlichen Wandlungen in der geschäftlichen Moral. Übrigens nützt es auch gar nichts. Die Zeitungen brandmarken den Kutisker zwar als König aller Gauner, aber die Inhaber hochachtbarer Firmen lesen das und rufen begeistert: ›Das ist ja der Mann, den wir brauchen!‹ Das verschafft ungeahnte Einblicke in die Wirkungen von zweispaltig aufgemachten Entrüstungen, aber auch in die seelischen Eingeweide der deutschen Wirtschaft. Für die ist Iwan nicht so anrüchig geworden wie für seinen Richter, der ihn einen Cagliostro nannte: er ist eben durch einen kleinen geschäftlichen Verkehrsunfall zeitweise außer Gefecht gesetzt. Solche Erkenntnis mußte eigentlich die ohnehin schon etwas legendäre Gestalt des ›ehrbaren Kaufmanns‹ ziemlich definitiv abwürgen. (Der letzte Titelträger war Herr Cuno, der jedoch von Haus aus Geheimrat ist, und jeder Kutisker oder Holzmann hätte die Sache mit den Telegraphenstangen besser gefingert.) Der Kapitalismus, in faulen Konjunkturen abgemagert wie ein zum Wassertrinken verurteilter Falstaff, hat den aristokratischen Charakter seiner Blütejahre völlig abgestreift und wird, wie in der Epoche seines Flegeltums, wieder ein robuster plebejischer Wegelagerer, der sich einen blauen Teufel um Moral und Reputation schert. Die Söhne können wieder vornehm werden und den Ludergeruch des Raubes mit Parfüm behandeln, diese Generation kann sich das nicht leisten! Würde das offen gesagt werden, es wäre rauh, aber ehrlich. Warum die Tatkraft des seligen Hugo Stinnes preisen und die Tatkraft des kleinen Herrn Kutisker verdammen? Der Eine wollte den ganzen Ozean in private Regie nehmen, der Andre nur am Strande Muscheln sammeln. Der Eine wollte die deutsche Eisenbahn verschlingen, der Andre sich, etwas bescheidener, an dem Gerumpel des Hanauer Lagers gesund machen. Wer den Kaufmann aus Mülheim noch heute preist, kann den Kaufmann aus Kowno nicht verwerfen. Die Inflation ist vorüber, die Erkrankung der Wirtschaftsmoral geblieben. Wir wollen den zwanzig hochachtbaren Firmen, die bei Kutisker antichambrierten, dankbar sein, weil sie das so deutlich aufgezeigt haben.

 

Ein Bannfluch aus Moskau hat die längst entthronte Ruth Fischer endgültig zum Schweigen verdammt. Es bleibt ihr jetzt nur noch übrig, entweder Memoiren zu schreiben oder in der Splittergruppe Katz-Korsch ruhmlos zu versanden. Die vor einem Jahre noch absolute Herrin einer großen Partei war, ist politisch tot. Es wird sie schmerzen, daß ihre beflissensten Adoranten von einst heute fast noch eifriger Reisig zu ihrem Scheiterhaufen heranschleppen als ihre Feinde. Oberflächlich betrachtet, ist Ruth Fischer einem von Moskau diktierten Kurswechsel zum Opfer gefallen. Aber auch Klara Zetkin, ihre erbittertste Gegnerin, stand zeitweilig in Ungnade, ohne dadurch erledigt zu sein. Eine Frau wie die Zetkin lebt eben nicht von dem Auf und Nieder sich bekämpfender Richtungen; die löscht kein Anathema aus. Es hat der Ruth Fischer weder an Wissen noch an Rednergabe gefehlt, sie hat Gefühl für Taktik und Intrige mitgebracht und so manches, was zum Inventar der Parteiführung gehört. Doch das Wichtigste blieb ihr immer versagt: die Wirkung ins Weite. Niemals hat sie überzeugen können, daß sie an ihrem Platz notwendig war. Die neue Rosa Luxemburg? Gewiß, sie konnte gelehrig wie ein Star das nachplappern, was ihr Meister Sinowiew für Leninismus ausgab. Aber es war immer nur dogmatisches Nachschwatzen von Dogmenkram. Es fehlte das Merkzeichen legitimierender Persönlichkeit. Die Luxemburg war das Leben gewordene Ideal; die Fischer warf sich mit der Sensationsgier der verlaufenen Bürgerin in die Politik. Sie hätte sich ebensogut dem Baccarat verschreiben können wie dem Sozialismus. Es soll um Himmelswillen nichts gesagt werden gegen pittoreske Frauengestalten in der Politik. Wenn wir in Deutschland von einer politisierenden Frau hören, dann denken wir zunächst an Käthe Schirrmacher mit dem salatgrünen Pompadour oder, wenns hoch kommt, an Kathinka v. Oheimb. In der zweiten Reihe hätte Ruth Fischer immer interessant und auffrischend gewirkt, als Führerin wurde sie zur Katastrophe. Ihre Laufbahn? Bei den Linksradikalen, wo so ein bunter Vogel nicht so alltäglich wirkt wie etwa in einem Club emanzipierter Bürgerlicher, mußte sie schnell Furore machen. Auch ihr Gegner gibt gern zu, daß sie ihren Marx scharmant aufsagen konnte: sie trug ein ärmelloses Kleid, das an den Schultern stets sehr lose saß. Die Dialektik dieser Schultern überzeugte. Kreuzbrave Funktionäre, die niemals auch nur im Traum daran gedacht hätten, revolutionäre Prinzipien ins Privatleben zu übertragen, waren wie verhext und setzten die Verführerin ins Führeramt. So wurde sie die Semiramis der Parteizentrale. Sie regierte absolut. Dekretierte ohne viel Umschweife, trieb Minoritäten aus; genoß die göttliche Verehrung ihrer engern Gefolgschaft. (Daß ein Mann wie Radek sie niemals ernst nehmen wollte, hätte eine Frau von ihrer Intelligenz stutzig machen müssen.) Weihrauch, in großen Portionen genossen, macht stumpf. Die junge Königin der Partei wurde träge und rund. Daß sie schließlich gegen den neuen Kurs in Moskau revoltierte, war verwegen, hätte aber nicht zu ihrer Erledigung zu führen brauchen. Fataler war, daß sie nicht mit dem unbeständigen Männergeschmack rechnete und ihre Tournüre vernachlässigte. Ernüchtert kamen die Genossen aus dem Zauberberg. Toujours perdrix? Die arme Ruth Fischer hat nicht als Führerin verspielt, sondern als Frau. Das macht ihre Niederlage irreparabel.

 

Herr Siehr, der Oberpräsident von Ostpreußen, ist ein guter Demokrat, innenpolitisch zuverlässig; wenigstens den Völkischen ein Greuel. Herr Siehr hat vor einigen Tagen eine Rede gehalten, in der er sich sehr umständlich mit der polnischen Politik und mit der Korridorfrage beschäftigte, auch der gegenwärtigen polnischen Regierung einige gute Ratschläge erteilte. Da Herr Siehr seinen Ausführungen die Versicherung vorangeschickt hat, mit dem polnischen Nachbarn in Frieden leben zu wollen, wird er seine Rede wahrscheinlich für pazifistisch gehalten haben. Der Herr Oberpräsident ist ohne Zweifel ein tüchtiger Grenzbeamter. Aber ist es seine Aufgabe, europäische Politik zu machen? Denn mag man auch mit Herrn Siehr in dem polnischen Korridor eine wirtschaftliche und politische Unmöglichkeit sehen, die Angelegenheit ist eine europäische, und kein wohlmeinender Oberpräsident wird sie in einem feiernden Patriotenkränzchen lösen. Zudem klingen solche Reden nahe der Grenze, auch wenn sie leidlich pazifistisch pointiert sind, jenseits der Grenze wesentlich anders. Da empfindet man eine Bemerkung wie: ›Ob Polen selber für diese Erkenntnis schon heute reif ist, bezweifle ich stark, da auch dort einsichtigere und staatsmännisch denkende Köpfe durch die Nebelschwaden der nationalistischen Phrasen ihrer Presse schwer hindurchschauen können‹, als anmaßliche Einmischung in fremde Verhältnisse. Und einen Satz der Art: ›Da wir aber einstweilen von der vernunftgemäßen Lösung der Korridorfrage noch weit entfernt sind, müssen wir in Ostpreußen nach wie vor die Augen offen halten‹, als alarmierende Drohung. Daß Herr Siehr die Augen offen hält, ist nützlich gegenüber den geheimbündlerischen Umtrieben in seiner Provinz. Wenn er dazu auch den Mund geschlossen hielte, würde er wirklich ein Musterbeamter sein. Die Außenpolitik wird nun einmal nicht von den Oberpräsidenten gemacht. Doch es ist unnütz, mit Herrn Siehr und andern frohen Festrednern zu rechten, so lange man in Deutschland nicht begriffen hat, daß es ein bitteres lateinisches Wort gibt, älter und wahrer als das des Herrn Seeberg: Vae victis!

Die Weltbühne, 13. Juli 1926


 << zurück weiter >>