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Ramper. Kammerspiele

Ramper, nach 17 Jahren im arktischen Eise, wird als verblödetes Menschentier im Varieté gezeigt; ein experimentierlustiger Psychiater gibt ihm das Gedächtnis zurück. Die dramaturgische Gerechtigkeit des Autors erfüllt sich darin, daß der Geheilte den Retter verflucht und mit seiner Frau davongeht. Aber der in den Polarbezirken Verwilderte kann nicht in die Zivilisation zurückfinden und muß schließlich, ein neuer fliegender Holländer, von einer blonden Senta erlöst werden, doch nicht um in die ewige Seligkeit einzugehen, sondern um eine verzwickte dramatische Konstruktion schließlich doch noch ganz überraschend zum happy end zu führen.

Herr Max Mohr aus München improvisiert seit seinem ersten Erfolg nicht mehr im Juni, sondern in einer weit frostigeren Jahreszeit. Er möchte gern der romantisch verklärte Zeitdramatiker sein, der aus Problemen des Tages Melodien der Ewigkeit singen und schluchzen läßt. Aber er gibt immer nur Melodramatisches, nicht Melodisch-Dramatisches, Singsang, nicht Klang. Ja, es gibt Partien, die nicht von Max Mohr scheinen, sondern wie aus einer Max-Mohr-Parodie von Georg Kaiser.

Das mag wohl alles recht unfreundlich klingen, und man sagt das nur ungern einem Autor, der sich zum Schluß auf so betont maskulinen Stiefelsohlen gerührt lächelnd verneigte. Dieser Herr Max Mohr ist sicherlich ein kreuzbraver Bajuvare, mit dem man Pferde stehlen kann, aber es steckt in ihm, so wedekindlich-zynisch er die Varieté-Szene auch geben mag, eine heimliche Birch-Pfeiffer, die flennen will.

Regie und Darstellung wußten nicht allzu viel anzufangen. Herr Henckels, ein tüchtiger Lustspielregisseur, schuf zwar mit dem Maler Reher im den ersten Akt ein sehr interessantes Polarbild; aber wer hat Lust, bei dieser Kälte einen Blick nach Grönland zu tun? In den Hundstagen hätte das viel sympathischer gewirkt. Von den Darstellern ist zu sagen, daß sie alle etwas heftig schauspielerten, und daß selbst Wegener, der alles hätte halten können und müssen, ohne die alte Kraft auf billige Wirkungen hin spielte. So lag die Last des Abends auf den schmalen Schultern der Franziska Kinz.

Hier war kein unausgefüllter Augenblick, sondern alles vibrierendes Leben. Wer vor ein paar Jahren bei der ersten Begegnung mit Franziska Kinz auf den Meinhard-Bernauer-Bühnen für sie hoffte, der sieht heute reichste Erfüllung. Aber wo ist die Rolle, die in der blassen, feinen Frau die rotglühenden Teufel tanzen und ausbrechen läßt? Im Packeis des Herrn Max Mohr friert auch der eingefleischteste Weibsteufel.

Montag Morgen, 7. Dezember 1925


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