Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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9.

Septbr. 23.63.

Seit 3 Wochen schon liegt Otto an einem rheumatischen Fieber und Muskelentzündung darnieder, und ich pflege ihn bei Tag und Nacht, ohne bis jetzt noch ein günstiges Resultat erzielt zu haben. Sein Zustand ist schmerzhaft und mannigfachen Wechselfällen unterworfen – und, wie ich fürchte, langwierig. Morgen wird Griesinger zur Consultation berufen und auf seine Kenntnisse setze ich meine Hoffnung. Unter solchen Umständen werden Sie begreifen, Freund, warum ich schwieg. Die Trostlosigkeit Ihrer Stimmung machte mir das Blut erstarren. Ich fühlte, dass ich da Nichts vermag. Ich sollte mir sagen, dass alle Gaben der Natur, und die herrlichsten, verschwendet sind, wenn sie nicht der leere äussere Erfolg krönt. An und für sich sind sie nichtig, und wer sie vor Andern voraus hat, besitzt nur das Recht vor Andern elend zu sein. Und dass ich Ihnen das glauben sollte, das machte mich fast bitter. Meine Religion und mein Glaube, (was wohl eigentlich Eins ist), hat es nur mit dem Ding an und für sich zu thun. Geradezu unbegreiflich ist mir, wie man den Erfolg schlechtweg, d. h. Beifall, zugleich verachten und doch suchen kann. Nur der Weise, däucht mich, der von der Welt Nichts will, darf sie verachten, der Andere, der sie braucht, wird durch die blosse Berührung mit ihr schon Mitschuldiger und kann nicht mehr ihr Richter sein. Sie sind Wissender und Mitschuldiger im höchsten Grade. Jede neue Täuschung ergreifen Sie mit Hast, scheinbar die Unbefriedigung vergangener Täuschungen im Busen auszuwischen, und Keiner weiss so gut wie Sie, dass es nie sein kann noch sein wird. Freund, wie soll das enden? Sind fünfzig Jahre nicht Erfahrung genug, und sollte da nicht endlich der Moment eintreten, wo Sie ganz mit sich im Reinen wären? –

Heute erhielt ich Ihren freundlichen Boten, der mir unendlich wohl that, und ich habe wieder Muth, an Ihr Kommen zu glauben. Wie innig sollte es mich freuen, Ihnen einen recht ruhigen behaglichen Aufenthalt zu bereiten! Die Herbsttage sind in der Schweiz oft sehr schön, und selbst im Winter ist es hier im Hause höchst gemüthlich. Sollte, was der Himmel verhüte, Otto's Unwohlsein sich über Erwarten hinausziehen, so wäre es Ihnen vielleicht möglich, das Weihnachtsfest mit uns zu feiern? Indessen hoffe ich von ganzem Herzen, für Sie und uns, dass es früher sein kann.

Gruss und Liebe
Ihrer
Mathilde Wesendonk.


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