Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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Venedig 1858.

18. October.

Heute vor'm Jahr hatten wir bei Wille's einen schönen Tag. Es war die wundervolle Zeit. Wir feierten den 18. September. Als wir vom Spatziergang nach der Höhe zurückgingen, bot Dein Mann Frau Wille den Arm an, so durfte ich Dir auch den meinigen bieten. Wir sprachen von Calderon: wie diente er gut! Im Hause setzte ich mich sogleich an den neuen Flügel: ich selbst begriff nicht, wie ich so schön spielen konnte. – Es war ein herrlicher, sättigender Tag. – Hast Du ihn heut' gefeiert? – O, diese schöne Zeit musste uns einmal blühen; sie verging, – aber die Blüthe welkt nicht; sie duftet ewig in unsrer Seele. –

Ein Brief von LisztBriefwechsel zwischen Wagner und Liszt II, 211 – 5. traf auch heute ein, der mir grosse Freude machte, so dass ich – denn schönes Wetter haben wir auch – in recht heiter-ruhiger Stimmung bin. Ich hatte ihm zuletzt manch Empfindliches geschrieben; ich musste es, weil er mir doch so lieb ist, und ich deshalb mich zur Aufrichtigkeit verpflichtet fühlte. Darauf antwortet er mir nun mit unerschütterlicher Zärtlichkeit. Ich lerne aus dieser schönen Erfahrung, dass ich meine Erkenntniss der Unmöglichkeit einer vollkommenen Freundschaft, wie sie uns als Ideal vorschwebt, doch nicht zu bereuen habe, da sie mich durchaus nicht unempfindlich macht, sondern im Gegentheil desto dankbarer und empfänglicher für das, was sich nun doch, als Annäherung an dieses Ideal, uns darbietet. Zwischen Liszt's und meinem intelligenten Charakter ist ein so grosser und wesentlicher Unterschied, dass mich oft eben die Schwierigkeit, ja – wie ich glauben muss – Unmöglichkeit, mich ihm verständlich zu machen, quälend ängstigt und zur ironischen Bitterkeit stimmt: hier aber tritt nun gerade die Liebe so schön ausgleichend und befriedigend ein, dass ich warme freundschaftliche Beziehungen bei Männern fast nur bei einer Differenz der Anschauungen für möglich halten mag. Denn dieses freundschaftliche Gefühl ist es doch eigentlich allein, was überhaupt zwischen Männern Uebereinstimmung herbeiführen kann: vollkommen in ihren Anschauungen zusammentreffen werden sie wohl nie, oder höchstens, wenn sie unbedeutend sind, und ihre Anschauungen sich auf naheliegendes Gemeines beziehen; betreffen sie Höheres und Ungemeines, so wäre fast nur an logisch-praktischen Zusammenhang der Intelligenzen zu denken, wie sie in der wissenschaftlichen Sphäre vorkommen mag. Das eigentlich Erwärmende der Freundschaft tritt doch aber eben erst da ein, wo durch sie Differenzen, wie durch ein Höheres, Intervenirendes, ausgeglichen und als unbedeutend dargestellt werden. Diess angenehme Gefühl habe ich durch Liszt schon wiederholt erhalten. Doch will ich – ruhig betrachtet – nicht läugnen, dass ich es für gut halten muss, wenn wir nie lange und nahe beisammen sind, weil ich dann die zu starke Offenbarwerdung unsrer Verschiedenheit zu fürchten hätte. In der Ferne gewinnen wir für uns sehr. –

Wir –: wir sind fern und nah – vereint – einig – eins! –

24. October.

Wie sehr ich von Dir abhänge, Du Geliebte! das habe ich doch in dieser Zeit wieder so recht inniglich empfunden. Meine schöne, tief beruhigte Stimmung hatte ich doch nur durch Dich gewonnen: ich wusste Dich so erhaben und verklärt, dass ich es mit Dir sein musste. Und nun diese Trauer, dieses wehmüthig ernste Leiden, Dich von dem Verluste Deines Söhnchen'sVgl. den Brief an Otto Wesendonk (bei Heintz S. 38), Der kleine Guido starb 3 Jahre alt am 13. Oktober 1858 in Zürich. betroffen zu wissen! Wie das Alles doch plötzlich so anders war! Aller Stolz, alle Ruhe so schnell in bänglich weiches Erbeben aufgelöst; tiefer Kummer, Weinen und Trauern! Die aufgebaute Welt schwankend, der Blick auf sie unsicher durch Thränen. Da wäre doch wieder die Macht von aussen gekommen, an die Thore unsres Innern prüfend zu klopfen, ob da Alles acht bestellt sei. Es war eine ernste Zeit. Wirst Du es erkennen, dass ich in diesen Tagen meine Arbeit nur recht mühsam, fast gar nicht bedenken konnte? – Doch ersehe ich daraus nicht, dass es mit mir eine unächte Bewandniss habe; vielmehr wird mir klar, dass auch diese Arbeit nur eine Aeusserung meines Wesens ist, dass diesem aber auch andre, sichrere Ausdrucksweisen zu Gebote stehen. Ich kann mit Dir leiden und trauern. Könnte ich etwas schöneres thun, wenn Du leidest und trauerst?

Möge ich nun bald von Dir erfahren, um Dich in dieser ernst-bedeutungsvollen Prüfung recht innig deutlich zu ersehen! Was Du mir mittheilst, wird, wie Alles, was von Dir kommt, mich belehren und mit einem edlen Gewinn bereichern. Sprich zu mir aus dem Gefühle, das sich gewöhnt, die ganze Welt zu umfassen, in welchem so auch Dein Kind, mit seinem Dasein, – mit seinem zarten Tode eingeschlossen war. Sei sicher, überall freundlich und innig von mir verstanden zu werden! – Du liebes armes Kind! –

31. October, Abends.

Weisst Du denn nicht, mein Kind, dass ich nur von Dir – nur von Dir abhänge? Dass die ernste Heiterkeit, mit der das Dir gesandte TagebuchNämlich die Blätter vom 21. August bis 12. Oktober 1858. Vgl. oben S. 69 Anmerkung 1. abschloss, nur das Spiegelbild Deiner, mir mitgeteilten schönen Stimmung war? O, halte mich nicht für so gross, dass ich ganz für mich und aus mir sein könnte, was ich bin, und wie ich bin. Wie tief fühle ich dies jetzt. Von unsäglichem Weh und Jammer bin ich bis in das Innerste zerspalten; – ich habe Deine Sendung erhalten, Dein Tagebuch, Deine Antwort gelesen! –Weisst Du es denn wirklich noch nicht, wie ich nur von Dir lebe? Glaubtest Du es nicht, als ich noch kürzlich es Dir sagen Hess? Dir gleich, Deiner würdig zu sein, – das ist der Haft meines Lebens! Schilt mich nun nicht, wenn ich Dir nun sage, dass ich eben ganz wie Du bin, wie Du empfindest, ganz Deine Stimmung, Dein feinstes Weh' teile, nicht nur, weil es das Deine ist, sondern weil es mir so klar und gewiss auch das meine ist! –Weisst Du denn noch, wie wir uns schrieben, da ich in ParisJanuar 1858. Der Brief ist nicht vorhanden. war, und vereint gleichzeitig aus uns der Jammer hervorbrach, nachdem, wir wie begeistert uns unsre Vorsätze mitgeteilt? So ist es noch! So wird es bleiben, immer und immer! – Alles ist Wahn! Alles Selbsttäuschung! Wir sind nicht gemacht, uns die Welt einzurichten. O Du lieber, lautrer Engel der Wahrheit! Sei gesegnet für Deine himmlische Liebe! O ich wusste Alles! Welche bangen Tage habe ich verlebt! Welche wachsende tiefe Beklemmung! Die Welt stockte mir: und atmen konnte ich nur noch, wenn ich Deinen Atem fühlte. – O mein süsses, süsses Weib! Ich kann Dich heut' nicht trösten, ich armer, trauriger, zerbrochener Mann! Auch nicht Balsam kann ich Dir geben und – »Heilung« habe ich ja nicht für Dich?? Wie sollte ich Dir Heilung geben können? Meine Tränen fliessen in bittren, reichen Strömen –: sollten die Dich heilen können? – Ich weiss, es sind die Tränen der Liebe, die noch nie so geliebt wurde: in ihnen strömt mir aller Jammer der Welt. Und doch, die einzige Wonne, die ich heute, jetzt empfinden möchte, geben sie mir; sie geben mir eine tief, tief innere Gewissheit, ein unveräusserliches, mit unentreissbarem Recht. Es sind die Tränen meiner ewigen Liebe zu Dir. Könnten sie Dich heilen? – O Himmel! mehr als einmal stand ich jetzt hart daran, mich sofort aufzumachen, um in Deine Nähe zu kommen. Unterliess ich es aus Sorge für mich? Nein! gewiss nicht! Aber aus Sorge – für Deine Kinder! – Darum – nochmals – und immer: Straff! – Es gilt noch eine Zeit lang. Mir ist – mir ist – als könnte ich – bald Dir schöner, Dir angenehmer, Deiner würdiger begegnen: und dies möchte ich so gern! – Aber was ist alles Mögen? – Nein! nein! Du süsses Kind! Ich weiss Alles! Ich verstehe Alles: – ich sehe klar, sonnenklar – – – –! Ich werde wahnsinnig! – Lass' mich jetzt abbrechen! Nicht um Ruhe zu suchen, sondern um der Wonne meines Schmerzes bis zum Ertränken mich zu übergeben! – O Du Holde! – Nein! Nein! Er verrät Dich nicht. – – – – – Er – nicht! –

1. November.

Heute ist Aller-Seelen-Tag! –

Ich bin erwacht aus kurzem, aber tiefem Schlafe, nach langem, furchtbaren Leiden, wie ich es noch nie gelitten. Ich stand auf dem Balkon und blickte in den schwarzflutenden Kanal hinab; der Sturmwind tobte. Mein Sprung, mein Fall wäre nicht vernommen worden. Ich war der Qualen frei, sobald ich sprang. Und die Faust ballte ich dazu, mich auf das Geländer zu erheben. – Konnte ich – mit dem Blicke auf Dich, – auf Deine Kinder? –

Nun ist Aller-Seelen-Tag angebrochen! –

Alle Seelen! habet Ruhe! –

Nun weiss ich, dass es mir noch beschieden ist, in Deinen Armen zu sterben! Nun weiss ich's! – – Ich werde Dich bald wieder sehen: gewiss zum Frühjahr; vielleicht schon mitten im Winter. –

Sieh, mein Kind! Nun ist der letzte Stachel aus meiner Seele! ...

Ich kann nun Alles. Wir werden uns bald wieder sehen! –

Gier nichts auf meine Kunst! Deutlich habe ich's nun empfunden: sie ist mir nicht Trost, nicht Ersatz; sie ist nur die Begleiterin meiner tiefen Harmonie mit Dir, die Ernährerin des Wunsches, in Deinen Armen zu sterben. Als der Erhard ankam, konnte er mir nur schmeicheln, weil Deine tiefe, unerschütterliche Liebe nach dem Sturme mir sichrer und heller aufleuchtete denn je. Mit Dir kann ich Alles: – ohne Dich nichts! Nichts! Lass Dich selbst durch den Ausdruck der ruhig-heitren Stimmung nicht täuschen, die mein letztes Tagebuch schloss; sie war nur der Reflex Deiner schönen, würdevollen Erhebung. Mir fällt Alles auseinander, sobald ich die leiseste Unübereinstimmung zwischen uns wahrnehme. Glaub' mir, Du Einzige! Du hast mich in Deinen Händen, und nur mit Dir kann ich – vollenden. –

So bitte ich Dich denn nach dieser furchtbaren Nacht: – hab' Vertrauen zu mir, unbedingtes, grenzenloses Vertrauen! Und dies heisst wieder nur: glaube, dass ich mit Dir Alles kann, ohne Dich nichts! –

So weisst Du, wer über mich, mein Thun und mein Leiden verfügt; das bist Du, selbst wenn ich in irrigen Vorstellungen über Dich befangen bin. Und so bin ich denn Deiner gewiss. Du wirst mich nicht verlassen, mir nicht verstummen: Du wirst mich treu durch Not und Elend geleiten. Du kannst es nicht anders! Ich habe in dieser Nacht mir ein neues Recht auf Dich erworben –: Du kannst mich nicht dem Leben wiedergegeben wissen, um mit irgendeiner Gunst gegen mich sparen zu wollen.

So hilf mir denn! Denn auch ich will Dir treulich helfen. – Hilf mir auch die furchtbare Last tragen, die auf meinem Herzen liegt: – sie ist eine Last, – aber sie liegt auf meinem Herzen. – Von einem zuverlässigen Arzte erhalte ich gestern den genauen Bericht über die Krankheit meiner Frau. Sie scheint unrettbar. Die Ausbildung einer Brustwassersucht steht ihr bevor; zunehmendes, vielleicht langwieriges, aber immer qualenvolleres Leiden, mit einziger Aussicht auf Erlösung durch den Tod. Was einzig lindern und erträglich machen kann, ist grösste Ruhe, Fernhaltung jeder moralischen Aufregung. – Hilf mir, die Unglückliche pflegen! Ich werde es wohl nur aus der Ferne tun können, weil ich selbst die Entfernung von ihr für das Zweckdienlichste halten muss. Bin ich in ihrer Nähe, so werde ich unfähig dazu: auch muss ihr meine Nähe nur Beunruhigung machen; beruhigen kann ich sie nur aus der Ferne; denn da kann ich zu meinen Mitteilungen Zeit und Stimmung wählen, um immer meiner Aufgabe gegen sie eingedenk zu sein. Aber auch dies kann ich nicht, wenn – Du mir nicht hilfst. Ich darf Dich nicht blutend wissen, ich darf mich nicht in dem Elend fühlen, Dir keine Heilung Deiner Wunden bieten zu können! Dies bricht mich in tausend Stücke, und führt mich dahin, woher ich diese Nacht noch einmal zu Dir zurückkehrte! Nicht wahr, Du Engel? Du verstehst mich? Du weisst, dass ich Dein bin, und nur Du über mein Thun, Wirken, Dichten und Beschliessen verfügst? Weigere Dich nicht, das anzuerkennen, – denn es ist ja so! – Mir hilft kein Schwan, wenn Du mir nicht hilfst: Alles hat nur Sinn und Bedeutung durch Dich! O, glaub' das! Glaub' das! – So, wenn ich Dir sage, hilf mir, hilf mir zu Diesem oder Jenem, so meine ich damit nur: glaube, dass ich nur durch Dich etwas vermag, und nichts ohne Dich! Das ist das ganze Geheimnis. – Es ist mir wieder tiefer aufgegangen, als je. Seit dem Tode Deines Söhnchens stand es kläglich um meine Arbeit. Da sah ich recht, dass sie mir kein Trost sei, sondern eben nur der Ausdruck des Einsamen, wenn er sich mit Dir vereinigt fühlt, und sich nicht um Dich zu betrüben hat. Ach, deshalb geht es auch seit lange so schwer damit: wahrlich! sie ist mir nur ein Spiel; mein wahrer Ernst ist nicht dabei, wie er nie eigentlich ganz in ihr war, sondern darüber hinaus, in dem, was ich ersehnte, und nun in dem, was mich einzig zum Leben und Kunstschaffen noch fähig macht! – O, glaube! Glaube mir, dass nur Du mein Ernst bist! – In dieser Nacht, da ich die Hand vom Geländer des Balkons zurückzog, war es nicht meine Kunst, die mich hielt! In diesem furchtbaren Augenblicke zeigte sich mir mit fast sichtbarer Bestimmtheit die wahre Axe meines Lebens, um die sich mein Entschluss vom Tode zum neuen Dasein herumdrehte: es warst Du! – Du! – Wie ein Lächeln überflog mich's –: wäre es nicht wonniger, in ihren Armen zu sterben? –

Sei mir nicht böse, mein Kind! »Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!« – Aller-Seelentag! Auferstehungstag!–

Heim schreibe ich heute, er soll mir den Freipass für den Erard denn doch erhalten; ich gedenke ihn zu benutzen, um das Instrument einmal wieder zollfrei in die Schweiz führen zu können. Der Schwan hat seit dieser Nacht viel von seiner Bedeutung verloren; er ist es kaum werth, dass ich Dir noch Freude davon verspreche! –

Wir haben es schwer, sehr schwer, mein geliebtes Kind! Aber dafür sind wir auch so reich, jede Lebensschuld zahlen zu können, und dabei doch noch den unendlichsten Gewinn für uns zurückzubehalten. Aber, nicht wahr? Du schweigst mir nicht? – Und – kann ich Dich nicht »heilen«, so verschmähst Du wenigstens meinen »Balsam« nicht? –

Wir sehen uns bald. – – – – –
Leb' wohl! –
Aller-Seelentag!
Leb' wohl! –
Und sei mir gut! –

24. November. Venedig.

KarlKarl Ritter. hat mich auf einige Zeit verlassen, um seiner kranken Mutter zum Geburtstag zu gratulieren. In Kurzem wird er wieder kommen. Beim Abschied hat er mich sehr gerührt. Der Wunderliche konnte sich nur schwer trennen. Ich glaube wohl, wer mich in diesen letzten Monaten viel umgeben durfte, muss einen schönen Eindruck gewonnen haben. Ich bin gewiss noch nie so klar in Allem gewesen, wie jetzt, und habe so wenig, fast gar keine Bitterkeit mehr. Wer so sicher weiss, dass er nichts mehr zu suchen, sondern nur noch zu geben hat, der ist doch auch eigentlich mit der ganzen Welt ausgesöhnt; denn sein Widerwille bestand doch nur darin, dass er da etwas suchte, wo ihm nichts gegeben werden konnte. Wie gelangt man nun zu dieser Wunderkraft des Gebens? Gewiss nur dadurch, dass man selbst nichts mehr verlangt. Wer eben inne wird, dass das Einzige, tiefbeglückende, wonach es tiefen Herzen verlangt, ganz ausser der Macht der Welt liegt, ihm zu geben, der fühlt endlich auch, wie berechtigt sie ist, zu verweigern, was sie nicht geben kann. Aber was begreifen wir unter der Welt? In unsrem Sinne alle die Menschen, die sich das, was sie zu ihrem Glücke verlangen, wirklich geben können, Ehre, Ruhm, Vermögen, behagliche Ehe, zerstreuende Gesellschaft, Besitz in jeder Gestalt. Wer diess nicht erreicht, der grollt deshalb auch der Welt. Wie übel würden wir aber der Welt grollen, da wir ja nichts von alledem verlangen, was sie nach Laune entziehen und gewähren kann? So wende ich meinen Blick denn mitleidig auf die Menschheit zurück, und freue mich der Gaben, die mich da trösten lassen können, wo die Täuschung sich Leiden schafft. Wer aber so hoch, so wundervoll erhaben über der Welt steht, der muss und darf aber auch unter keiner Bedingung etwas von ihr verlangen, und nichts von ihr annehmen, als was durch diese Annahme den Geber selbst erhebt und beglückt. Begehrten wir dagegen ein wirkliches, von ihr so gefühltes Opfer von ihr, was sie ungern gäbe, so müsste diess uns sogleich zeigen, dass wir von unsrer Höhe herabgestiegen, und unsrer Würde etwas zu vergeben im Begriffe wären. Diess war auch der Sinn des Buddhistischen Bettlerthumes; der Religiöse, der allem Besitz entsagt hatte, erschien ernst und ruhig in den Strassen und vor den Häusern, um Diejenigen, die ihm Almosen reichen würden, durch die Annahme derselben zu beglücken. Wie hätte es dem Frommen, der selbst Allem entsagte, dünken müssen, wenn er dem ungern Spendenden eine Gabe hätte abdringen müssen, etwa um seinen Hunger zu stillen, er, dem der Hunger Andachtsübung war? Es war mir lieb, mich über diese Tendenz des Gebens und Empfangens sogleich mit mir im Klaren zu finden, als ich vor einiger Zeit den Brief eines Freundes am Züricher See zu beantworten hatte. Wie schmählich, ja verbrecherisch müsste das sein, was ich in jenem üblen Sinne dem eigentlichen Geiste der Welt mir abgewinnen sollte, diesem Geiste, der mir da ein Zugeständniss zu machen glauben würde, wo ich durch meine edelste Meinung ihn zu mir erhoben wähnte. Wie stolz war ich da; aber nicht bitter. Der Buddhistische Bettler hatte sich vor dem unrechten Hause gezeigt: und Hunger ward ihm Andacht! Wo ich zu beglücken wähnte, glaubte man sich mir opfern zu sollen. Bedurfte es mehr, als diesen Irrthum zu erkennen? Und wenn ich dem letzten Lebensathemzuge entsagen müsste: rein und göttlich bleibt, was in mir lebt, wenn kein Opfer der Welt daran haftet. Diess Wissen, diess Wollen – ist es ja eben, was uns so gross macht, was uns die ungeheure Kraft giebt, selbst das Leiden nicht mehr zu fühlen, und – den Hunger uns zur Andacht zu machen.

– Ich hatte eine Winterreise vor. Die ist aufgegeben. Nun sehe ich die Welt aber immer klarer; mit jeder Andacht stärkt sich mein Geist zur Wunderkraft. Ich muss jetzt viel Gewalt über die Menschen haben. Das sah ich an Karl, als er auf kurze Zeit von mir Abschied nahm. – Ich bin nicht immer ganz wohl. Doch bleibt meine Stimmung meistens ungetrübt und hell. Auch muss ich lächeln, wenn Koboldchen spukt: gestern hörte ich es wieder rascheln. –

1. Dezember.

Da bin ich Armer seit acht Tagen einmal wieder auf das Zimmer, und diesmal sogar an den Stuhl gebannt, von dem ich nicht aufstehen darf, und mich Abends in das Bett tragen lassen muss. Doch ist es eben nur ein äusserliches Leiden, das ich sogar für recht entscheidend für meine Gesund(heit) halte, wodurch mich mein Zustand sogar mit Hoffnung erfüllt, von nun ab recht ungestört bei meiner Arbeit verbleiben zu können, während die Unterbrechung darin das Hauptsächlichste war, was mir meine letzten Krankheitsanfälle unleidlich machte. – In solchen Perioden ist mein Intellect immer sehr geweckt; Pläne und Entwürfe beschäftigen meine Phantasie lebhaft. Diessmal waren es philosophische Probleme, die mich einnahmen. Ich habe in der letzten Zeit langsam einmal wieder Freund Schopenhauers Hauptwerk durchgelesen, und diesmal hat er mich ausserordentlich zur Erweiterung und – in Einzelnem – sogar zur Berichtigung seines Systems angeregt.Vgl. Glasenapp II, 2, 197; Bayreuther Blätter 1886, S. 101. Der Gegenstand ist ungemein wichtig, und meiner ganz besondren Natur musste es, grade in dieser ganz besondren Lebensepoche, vielleicht vorbehalten sein, hier Einsichten zu gewinnen, die sich keinem Andren erschliessen konnten. Es handelt sich nämlich darum, den von keinem Philosophen, namentlich auch von Sch. nicht, erkannten Heilsweg zur vollkommenen Beruhigung des Willens durch die Liebe, und zwar nicht einer abstracten Menschenliebe, sondern der wirklich, aus dem Grunde der Geschlechtsliebe, d.h. der Neigung zwischen Mann und Weib keimenden Liebe, nachzuweisen. Es ist entscheidend, dass ich hierzu (als Philosoph, – nicht als Dichter, denn als solcher habe ich mein eigenes) das Material der Begriffe benutzen kann, die mir Sch. selbst giebt. Die Darstellung führt sehr tief und weit; sie schliesst die genauere Erklärung des Zustandes, in welchem wir fähig werden, Ideen zu erkennen, so wie überhaupt der Genialität, in sich, die ich nicht mehr als den Zustand der Losgerissenheit des Intellectes vom Willen, sondern vielmehr als eine Steigerung des Intellectes des Individuums zum Erkenntnissorgan der Gattung, somit, des Willens selbst, als Dinges an sich, auffasse; woher auch einzig die wunderbare, enthusiastische Freudigkeit und Entzücktheit in den höchsten Momenten der genialen Erkenntniss erklärlich, die Sch. kaum zu kennen scheint, da er sie nur in der Ruhe und im Schweigen der individuellen Willens-Affecte zu finden vermag. Ganz analog dieser Auffassung gelange ich aber mit grösster Bestimmtheit dazu, in der Liebe die Möglichkeit nachzuweisen, bis zu jener Erhebung über den individuellen Willenstrieb zu gelangen, wo, nach gänzlicher Bewältigung dieses, der Gattungs-Wille sich zum vollen Bewusstsein kommt, was auf dieser Höhe dann nothwendig gleichbedeutend mit vollkommener Beruhigung ist. Es wird dies Alles auch dem Unerfahrenen klar werden können, wenn meine Darstellung gelingt. Das Resultat muss dann aber sehr bedeutend sein, und die Lücken des Schopenhauer'schen Systemes vollkommen und befriedigend ergänzen. Wir wollen sehen, ob ich einmal dazu Lust habe. –

8. Dezember.

Heute bin ich zum ersten Mal wieder an die frische Luft gekommen; noch geht es nicht recht gut. Diese letzte Krankheit, in der ich sogar recht hülfsbedürftig war, da ich mich gar nicht bewegen konnte, hat mich durch die dabei gemachten Erfahrungen doch recht befriedigend über mich aufgeklärt. Karl ist seit fast 3 Wochen fort; somit hatte ich fast Niemand, zu dem ich reden konnte, ausser meinem Arzt und der Dienerschaft. Sonderbar, dass ich auch nie die mindeste Sehnsucht nach Gesellschaft empfand. Im Gegentheil, als mich ein russischer Fürst, dem ich hier nicht ganz ausweichen konnte, und der mit vieler, namentlich auch musikalisch geübter Intelligenz, ein recht gutherziges Wesen verbindet, mich einmal besuchte, war ich im Grunde herzlich froh, als er wieder fort war; ich empfinde es immer als eine unnütze, gänzlich erfolglose Anstrengung, mich mit Jemand zu – unterhalten. Dagegen fasse ich die Dienerschaft gern in's Auge. Hier spricht mich, mit Mängeln und Vorzügen, noch der naive Mensch an. Auch hat man mich recht gut, sogar mit Aufopferung gepflegt. Ich bin dafür sehr erkenntlich. Kurwenal steht mir nun einmal näher als Melot. Dazu schwieg fast in der ganzen Zeit jede Mittheilung von aussen her: der Briefbote liess sich fast gar nicht mehr sehen. Als ich heute mit der Gondel nach der Piazza kam, wogte Alles in Fülle und Glanz auf und ab. Ich habe eine Speisestunde gewählt, wo ich sicher bin, ganz allein beim Restaurant zu sein. So schlich ich fremd wieder durch die bunte Masse zur Gondel zurück, und fuhr in den stillen Canal zu meinem ernsten Palast. Die Lampe brennt. Es ist Alles so still und ernst um mich. Und innerlich das sichere, unzweideutige Gefühl, dass das meine Welt ist, aus der ich nun ohne Schmerz und Selbsttrug nicht mehr herausverlangen kann. So fühle ich mich glücklich darin. Die Diener treffen mich oft in heiterster Laune, wo ich gern mit ihnen scherze. –

Auch mit der Lectüre bleibe ich sehr beschränkt; mich reizt wenig. Endlich greife ich immer wieder zu meinem Schopenhauer, der mich, wie ich kürzlich schon einmal andeutete, auf die wunderbarsten Ideengänge, zur Berichtigung mancher seiner Unvollkommenheiten gebracht hat. Das Thema wird mir täglich interessanter, weil es sich hier um Aufschlüsse handelt, die gerade nur ich geben kann, weil es noch nie einen Menschen gab, der in meinem Sinne Dichter und Musiker zugleich war, und dem deshalb eine Einsicht in innere Vorgänge möglich wurde, wie von keinem Andren sie zu erwarten sein können. –

Ich wollte auch Humboldts Briefe an eine Freundin lesen, bekam aber nur das Büchelchen von Elisa Mayer über ihn und mit Auszügen von ihm. Diess Schriftchen habe ich sehr unbefriedigt wieder von mir gelegt: das Beste darin war unverkennbar das, was meine Freundin für mich bereits daraus entnommen hatte. Wer Humboldt ganz kennt, wird an dem wissenschaftlichen Forscher und Gelehrten gewiss eine recht bedeutende Erscheinung kennen lernen. Auch als Mensch muss er sehr angenehm und anziehend gewesen sein; ich kann es Schiller nicht verdenken, dass er gern mit ihm umging; auch mir würde solch ein Mensch sehr werth sein. Productive Geister bedürfen der näheren Beziehungen zu so entschieden receptiven Naturen, schon weil man sich oft ungestört von sich geben will, wobei man schliesslich, wenn es zur Verwerthung des Erfolges kommt, sich leicht darüber tröstet, dass die Annahme, ganz aufgenommen zu werden, doch am Ende auch nur unser guter Glaube war. In der That, vom eigentlichen Wesen der Dinge hat Humboldt nicht viel begriffen; er bleibt da entschieden flach und gewöhnlich, und dem intimen Freunde Schillers, dem Schüler Kants, steht dieses pfarrerliche Salbadern über die Vorsehung und den lieben Gott doch etwas auffallend an. Ich sah wohl bald, dass dieser auch einer von Denen war, von denen Jesus sagte: eher wird ein Kameel durch ein Nadelöhr, als sie zum Himmelreich eingehen! Die Versicherung seiner Bedürfnislosigkeit, die so stets und immer wiederkehrt, macht sich wirklich drollig: zu zwei angeerbten Herrschaften erheirathet er zwei andre, und bekommt auch vom Staate noch eine fünfte dazu geschenkt; kräftig und wohlerzogen, verbindet er sich jung einer Frau, die er bis an seinen Tod voll und innig lieben konnte: dazu einen geweckten Kopf, ein Zeitalter der Schiller und Göthe! Nun, glücklicher kann man von der »Vorsehung« allerdings nicht ausgestattet werden; und dass er Staatsmann und Diplomat wurde, hatte er hoffentlich nicht der Vorsehung Schuld zu geben. – Aber desto rührender und ergreifender ist an diesem Manne seine Liebe und sein zartes Scheiden aus der Welt. Vor Allem aber danke ich ihm eine tiefe entscheidende Beruhigung, durch einen kleinen, ganz unwesentlichen Ausspruch, den meine Freundin aber mit so wunderbar unschuldsvoll schönem Accent mir mittheilte, dass diese wenigen Zeilen einen grossen Eindruck auf mich machten, indem sie mir den einzigen Weg zur Hoffnung zeigten. Es war die Stelle vom »Vertrauen« und »Vertraulichkeiten«. –

Seit gestern beschäftige ich mich wieder mit dem Tristan. Ich bin immer noch im zweiten Akte. Aber – was wird das für Musik! Ich könnte mein ganzes Leben nur noch an dieser Musik arbeiten. O, es wird tief und schön; und die erhabensten Wunder fügen sich so geschmeidig dem Sinn. So etwas habe ich denn doch noch nicht gemacht: aber ich gehe auch ganz in dieser Musik auf; ich will nichts mehr davon hören, wann sie fertig werde. Ich lebe ewig in ihr. Und mit mir –.

22. Dezember.

Das ist ein schöner Morgen, liebes Kind!

Seit 3 Tagen trug ich mich mit der Stelle »Wen du umfangen, wem du gelacht« – und »In deinen Armen, dir geweiht« u. s. w. Ich war lange unterbrochen, und fand die rechte Erinnerung bei der Ausführung nicht wieder. Es machte mich ernstlich unzufrieden. Ich konnte nicht weiter. – Da klopfte Koboldchen: es zeigte sich mir als holde Muse. In einem Augenblick war mir die Stelle klar. Ich setzte mich an den Flügel, und schrieb sie so schnell auf, als ob ich sie längst auswendig wüsste. Wer streng ist, wird etwas Reminiscenz darin finden: die »Träume« spuken dabei. Du wirst mir aber schon vergeben! – Du Liebe! – Nein, bereue es nie, mich zu lieben! Es ist himmlisch! –


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