Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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82.

Luzern, 9. Juli 59.

Das war recht freundlich von Ihnen, liebes Kind, dass Sie mir einmal Nachricht gaben, und ich will sehen, was ich Ihnen von mir dagegen zu sagen weiss. Dass der Cousin nun zurückgekehrt sein wird, führt Ihnen gewiss auch manches Neue zu, und gern wünschte ich von seinen Berichten aus meiner Geburtsgegend und Jugendheimath auch etwas zu profitiren. Nach Dresden kam er wohl auch? Lohengrin entging ihm dort: der soll, wie ich höre, erst in der zweiten Hälfte dieses Monates herauskommen.

Ich habe während dem viel erlebt. Vor Allem: – heute vor acht Tagen bin ich ausgezogen worden, d.h. man liess mich ausziehen, und transportirte mich auf No. 7 im 2ten Stock des »Ur-Hotels«, in die »Unabhängigkeit« – Indépendance. Ich komme mir ziemlich degradirt vor, ungefähr wie Graf Giulay seit Magenta; an meinen freundlichen grossen Salon in der »Abhängigkeit« darf ich gar nicht mehr denken. Am Schmerzlichsten aber war mir's, dass ich hier meiner MarkgräfinD. h. Marquise! entsagen musste: der republikanische Unmensch von Wirth verbot mir ihren ferneren Umgang. So ist's denn um mein schönes Morgenstündchen am offenen Fenster geschehen: ein zugelassener Laden sperrt mich gegen die Sonne ab, und ich kann mir zur Noth einbilden, ich sässe im Zuchthaus. Da sehen Sie aber, dass ich noch nicht so verweichlicht und verzogen bin, wie mich mancher ausschreien möchte. Das Alles ertrage ich in guter Stimmung, da sich meine Gefangenen, Tristan und Isolde, nun bald ganz frei fühlen sollen; und so entsage ich denn jetzt mit ihnen, um mit ihnen frei zu werden. Ich bin meist doch jeden zweiten Tag wenigstens glücklich in der Arbeit: dazwischen habe ich gewöhnlich einen minder guten Tag, weil der gute Tag mich immer übermüthig macht, und ich mich dann in der Arbeit übernehme. – Das Angstgefühl, als ob ich vor der letzten Note sterben würde, habe ich diesmal nicht: im Gegentheil bin ich der Vollendung so sicher, dass ich vorgestern auf dem Spatzierritt sogar schon ein Volkslied drauf machte.

Nämlich:

»Im Schweizerhof zu Luzern von Heim und Haus weit und fern – da starben Tristan und Isolde, so traurig er, und sie so holde: sie starben frei, sie starben gern, im Schweizerhof zu Luzern – gehalten von Herrn Oberst Seegessern –«

Das macht sich, auf eine Volksmelodie gesungen, recht gut: der Vreneli habe ich's am Abend vorgesungen. Ich würde es dem Wirth verehren, wenn er mir nicht die Markgräfin verboten hätte. – VreneliVerena Weitmann trat später, in München und Tribschen, in Wagners Dienst. Ihre Erinnerungen sind aufgezeichnet und von Glasenapp oft verwertet worden. Siehe das Namenregister bei Glasenapp III, 1, 459. ist aber hier mein Schutzengel; sie intriguirt und wendet Alles an, um mir unruhige Nachbarn vom Halse zu halten: Kinder dürfen sich in der ganzen Etage nicht einstellen. Auch hat mir Joseph die Thüre zum Nachbarzimmer mit einer Matratze verstopft, und drüber eine meiner Gardinen gehängt, was meinem Zimmer ein ganz stattliches theatralisches Aussehen giebt. Bin ich nun erst mit meiner Arbeit fertig, so schwindet dann der wichtigste Grund für meine Ansprüche an die Wohnung. In Paris werde ich mich sehr bescheiden in eine Chambre garni verbergen, und das Schicksal ruhig über mich ergehen lassen. Nur wann ich meine Geburten im Sinne habe, sorge ich für eine reiche und vornehme Wiege. Ausserdem wird mir meine Stellung im Leben immer bewusster, und grösste Beschränkung wird mir jetzt zur Pflicht. Vielleicht verkaufe ich dann auch meine schönen Hauskleider: Sie können sich melden, wenn Sie etwas davon für Ihr zukünftiges Curiositäten-cabinet haben wollen. – Sehen Sie, solch reductive Gedanken kommen mir jetzt in meiner degradirenden Wohnung an! – Schad' nichts: der Tristan ist so ziemlich fertig, und Isolde soll, denke ich, diesen Monat auch noch ausgelitten haben. Dann werfe ich beide und mich in Härtels Arme.

Sonst weiss ich von der Welt rein gar nichts! Kein Mensch kümmert sich um mich, und dies fängt an, mir jetzt wirklich gute Laune zu machen. Gott, man kann so unglaublich viel entbehren! Nur Ihren Umgang, mein Kind, entbehre ich sehr ungern: ich kenne nun einmal Niemand, dem ich mich so gern mittheilte. Mit Männern geht das erst gar nicht: denen kommt's – bei aller Freundschaft – im Grunde doch nur darauf an, nicht aus sich heraus zu gehen, ihre persönliche Meinung zu behaupten, und sich überhaupt möglich wenig berühren zu lassen. Das ist nun einmal so: der Mann lebt von sich. Aber wenn ich dran denke, was Sie schon vieles und gutes aus mir herausgelockt haben, so kann mich nur noch freuen, dass Sie's so gar nicht darauf absahen, und immer doch das Beste herausbekamen. Was hat es mich gefreut, dass ich Ihnen letzthin den S. Bach vorführte! Er hat mir selbst nie so viel Freude gemacht, und ich habe mich nie ihm so nah' gefühlt. Aber so etwas fällt mir gar nicht ein, wenn ich allein bin. Wenn ich mit Liszt musizirte, da war das 'was ganz anderes: es war musiziren, und dabei spielte Technik und Kunst überhaupt eine grosse Rolle. Zwischen Männern hat es immer einen Hacken. So dumm ich Ihnen auch vielleicht das letzte Mal in Luzern vorkam, so hat unser Beisammensein mir doch edle Früchte getragen: das sehen Sie jetzt an meiner unzerstörbaren Arbeitsstimmung. Soll ich Ihnen nun da nicht dankbar sein? Und zwar als ein rechter Freund? Wundern Sie sich nicht, wenn Sie mich noch nicht so bald los werden! Das schöne Wetter hilft nun doch auch. Ist einem auch den Tag über das Freie versperrt, so weiss man doch, dass es draussen hell und klar ist, und der Abend gehört dann dem Genuss. Ist es heiss, so ist doch aber eben die Luft, die den Himmel so rein erscheinen lässt, schön und wohlthuend. Sie hat auf mich eine ganz unmittelbar fühlbare Einwirkung: ein wenig aufregend, aber angenehm. Auch ist's so schön, dass die leiblichen Bedürfnisse immer geringer werden. Ich lebe jetzt fast nur noch von Luft, und das Herz blutet mir eben nur, wenn ich für meine »Kost« dem Wirth so viel zahlen muss, ebensoviel, als ob ich einen englischen Magen zu erhalten hätte. –

Mein Gefallen am Heitren ist dabei vorwiegend. Denken Sie, als ich kürzlich den lustigen Hirtenreigen bei Isoldes Schiffahrt ausarbeitete, fällt mir plötzlich eine melodische Wendung ein, die noch viel jubelnder, fast heroisch jubelnd, und doch dabei ganz volksthümlich, ist. Fast wollte ich schon alles wieder umwerfen, als ich endlich gewahr wurde, dass diese Melodie nicht dem Hirten Tristans zugehöre, sondern dem leibhaftigen Siegfried. Sogleich sah ich die Schlussverse Siegfried's mit Brünnhilde nach, und erkannte, dass meine Melodie den Worten:

»Sie ist mir ewig
ist mir immer,
Erb' und Eigen,
Ein' und All'« – u. s. w.

angehört. Das wird sich unglaublich kühn und jubelnd ausnehmen. So war ich auf ein Mal im Siegfried drin. Soll ich da nicht noch an mein Leben, mein – Aushalten glauben? –

Dass Ihnen KöppensKöppen, Religion des Buddha, 1857. Buch so grosse Freude gemacht hat, zeigt mir, wie gut Sie zu lesen wissen: mich ärgerte so vieles in dem Buche, weil ich immer daran denken musste, wie schwer Anderen die reine Erkenntniss der Lehre Buddha's gemacht werden müsste. Nun ist's gut, dass Sie nicht irre geworden sind. Ja, Kind, das ist eine Weltansicht, gegen die wohl jedes andre Dogma kleinlich und bornirt erscheinen muss! Der Philosoph mit seinem weitesten Denken, der Naturforscher mit seinen ausgedehntesten Resultaten, der Künstler mit seinen ausschweifendsten Phantasien, der Mensch – mit dem weitesten Herzen für Alles Athmende und Leidende, finden in ihm, diesem wunderbaren, ganz unvergleichlichen Weltmythos alle die unbeengteste Statt, und sich selbst ganz und voll in ihm wieder. –

Sagen Sie mir, wie Ihnen, wenn Sie dort weilten, dann unsre herrliche Europäische Neu-Welt vorkommt? Finden Sie nicht entweder die roheste Verwilderung, oder – eben erst die wildesten Ansätze zu einer Entwickelung, die jenem edeln Urvolke längst schon blühte? – Eisenbahnen, – staatliche Gesittung! O! O! –

Ich kann mich den widerlichen Eindrücken unsrer geschichtlichen Gegenwart meist gar nicht anders erwehren, als durch einen erfrischenden Trunk an jener heiligen Quelle des Ganges: ein Zug daraus, so schwindet aber auch Alles zum Ameisengetreibe zusammen. Da drin, tief im Innern, da ist die Welt: nicht da draussen, wo der Wahnsinn einzig herrscht. – So ist's recht. Also auch Köppen hat Ihnen nichts geschadet! –

Und Frieden haben wir am Ende auch nun bald. Den Waffenstillstand hat gewiss der Cousin in Leipzig zu Stande gebracht? Etwas faul würde der Friede wohl ausfallen – aber: »wer ist denn glücklich?« – Das muss man sich auch da wieder sagen. Jedenfalls haben Härtels viel dazu beigetragen, um, bei guten Aussichten, mir doppeltes Honorar zahlen zu können. Ich wollte eigentlich dem Cousin so etwas für Leipzig auftragen: nun scheint er's errathen zu haben. Loben Sie ihn darum. –

Und wenn wir wieder zusammen sind, habe ich Euch noch viel Geschichten aus meiner Jugend zu erzählen; sie werden aber erst locker, wenn wir zusammen sind. Bis dahin habt Alle guten Muth; preist den Allerherrlichstvollendeten und behaltet ein wenig lieb – meine

Wenigkeit


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