Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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95.

Paris, 29. Oct. 59.

Einer Eigenschaft, die ich mir in meiner Kunst erworben, werde ich mir jetzt immer deutlicher bewusst, da sie auch für das Leben mich bestimmt. In meiner Natur liegt es ursprünglich, schnell und stark in den Extremen der Stimmung zu wechseln: die höchsten Spannungen können fast kaum auch anders, als nah sich berühren; darin liegt oft sogar die Rettung des Lebens. Im Grunde hat auch die wahre Kunst keine andren Vorwürfe, als diese höchsten Stimmungen in ihrem äussersten Verhalten zu einander zu zeigen: das, worauf es hier einzig ankommen kann, die wichtige Entscheidung, gewinnt sich ja nur aus diesen äussersten Gegensätzen. Für die Kunst entsteht aus der materiellen Verwendung dieser Extremitäten leicht aber eine verderbliche Manier, die bis zum Haschen nach äusserlichen Effecten sich verderben kann. Hierin sah ich namentlich die neuere französische Schule, mit Victor Hugo an der Spitze, befangen ...

Ich erkenne nun, dass das besondere Gewebe meiner Musik (natürlich immer im genauesten Zusammenhang mit der dichterischen Anlage), was meine Freunde jetzt als so neu und bedeutend betrachten, seine Fügung namentlich dem äusserst empfindlichen Gefühle verdankt, welches mich auf Vermittelung und innige Verbindung aller Momente des Ueberganges der äussersten Stimmungen ineinander hinweist. Meine feinste und tiefste Kunst möchte ich jetzt die Kunst des Ueberganges nennen, denn mein ganzes Kunstgewebe besteht aus solchen Uebergängen: das Schroffe und Jähe ist mir zuwider geworden; es ist oft unumgänglich und nöthig, aber auch dann darf es nicht eintreten, ohne dass die Stimmung auf den plötzlichen Uebergang so bestimmt vorbereitet war, dass sie diesen von selbst forderte. Mein grösstes Meisterstück in der Kunst des feinsten allmählichsten Ueberganges ist gewiss die grosse Scene des zweiten Actes von Tristan und Isolde. Der Anfang dieser Scene bietet das überströmendste Leben in seinen allerheftigsten Affecten, – der Schluss das weihevollste, innigste Todesverlangen. Das sind die Pfeiler: nun sehen Sie einmal, Kind, wie ich diese Pfeiler verbunden habe, wie sich das vom einen zum andern hinüberleitet! Das ist denn nun auch das Geheimniss meiner musikalischen Form, von der ich kühn behaupte, dass sie in solcher Uebereinstimmung und jedes Détail umfassenden klaren Ausdehnung noch nie auch nur geahnt worden ist. Wenn Sie wüssten, wie hier jenes leitende Gefühl mir musikalische Erfindungen – für Rhythmus, harmonische und melodische Entwickelung eingegeben hat, auf die ich früher nie verfallen konnte, so würden Sie recht inne werden, wie auch in den speziellsten Zweigen der Kunst sich nichts Wahres erfinden lässt, wenn es nicht aus solchen grossen Hauptmotiven kommt. – Das ist nun die Kunst! Aber diese Kunst hängt sehr mit dem Leben bei mir zusammen. Meinem Character werden extreme Stimmungen in starkem Conflict wohl immer eigen bleiben müssen: aber es ist mir peinlich, ihre Wirkungen auf Andre ermessen zu müssen. Verstanden zu werden, ist so unerlässlich wichtig. Wie nun in der Kunst die äussersten, grossen Lebensstimmungen zum Verständniss gebracht werden sollen, die eigentlich dem allgemeinen Menschenleben (ausser in seltenen Kriegs- und Revolutionsepochen) unbekannt bleiben, so ist diess Verständniss eben nur durch die bestimmteste und zwingendste Motivirung der Uebergänge zu erreichen, und mein ganzes Kunstwerk besteht eben darin, durch diese Motivirung die nöthige, willige Gefühlsstimmung hervorzubringen. Mir ist nun nichts schrecklicher gewesen, als wenn hier in der Aufführung meiner Opern Sprünge vorgenommen wurden, wie z.B. im Tannhäuser, wo ich zuerst mit steigendem Gefühl von dieser schönen, überzeugenden Nothwendigkeit des Ueberganges verfuhr, und zwischen dem Ausbruch des Entsetzens nach Tannhäusers grauenhaftem Bekenntniss und der Andacht, mit welcher endlich Elisabeths Fürbitte gehört wird, einen (auch musikalisch) sehr bedeutungsvoll motivirten Uebergang ausführte, auf den ich von je stolz war, und der seine überzeugende Wirkung nie verfehlte. Sie denken leicht, wie mir zu Muthe war, wenn ich erfuhr, dass man hierin (wie in Berlin) Längen sah, und einen wesentlichsten Theil meines Kunstwerkes geradesweges herausstrich? –

So geht mir's in der Kunst. Und wie im Leben? Waren Sie nicht oft Zeuge, wie man mein Wort anmaassend, lästig, nicht enden wollend fand, wenn ich, von ganz gleichem Triebe geleitet, nichts andres wollte, als aus der Aufregung, oder nach einer ungewöhnlichen Aeusserung, zu einem versöhnenden bewussten Verständniss überleiten? –

Entsinnen Sie sich noch des letzten Abends mit Semper? Ich hatte plötzlich meine Ruhe verlassen und meinen Gegner durch einen stark accentuirten Angriff verletzt. Kaum war mir das Wort entflogen, als ich sogleich innerlich abgekühlt war, und nur noch die – eben von mir gefühlte – Nothwendigkeit begriff, zu versöhnen, und dem Gespräch wieder die schickliche Fassung zu geben. Zugleich aber leitete mich das bestimmte Gefühl davon, dass diess nicht durch ein plötzliches Verstummen, sondern nur durch ein allmähliches, bewusstes Ueberleiten verständlich geschehen konnte; ich entsinne mich, selbst als ich noch stark und meiner Meinung angemessen sprach, das Gespräch bereits nur noch mit einem gewissen künstlerischen Bewusstsein geführt zu haben, das, wenn man mich meiner Absicht nach gewähren lassen haben würde, ganz bestimmt zu einem intellectuell wie moralisch versöhnenden Schlusse geführt und als Verständigung und Beschwichtigung zugleich geendet haben würde. Ich gebe nun zu, dass ich hier zu viel verlange, weil, wenn der eigentliche Affect einmal angeregt ist, jeder nur noch Recht behalten, und lieber beleidigt gelten, als zur Verständigung gebracht sein will. Ich habe mir denn auch bei dieser, wie bei vielen andren Gelegenheiten nur den Vorwurf und die Abweisung der Selbstgefälligkeit im Sprechen zugezogen. Selbst Sie wurden, glaube ich, an jenem Abend einen Augenblick irre, und fürchteten, mein fortgesetztes, anfänglich noch starkes Sprechen, rühre von noch andauernder Aufregung her: und doch entsinne ich mich auch, dass ich Ihnen, sehr ruhig, erwiderte: »lassen Sie mich nur wieder zurückleiten, das kann doch nicht so schnell gehen!« –

Glauben Sie wohl, dass solche Erfahrungen etwas sehr schmerzliches für mich haben? – Wahrlich, ich bin menschenfreundlich, und es ist kein scheuer, egoistischer Trieb, der mich immer mehr aus jeder Gesellschaft forttreibt. Es ist nicht verletzte Eitelkeit, wenn ich gegen die Vorwürfe zu anhaltenden Sprechens empfindlich bin, sondern das traurige Gefühl – was kannst Du den Menschen sein, was können sie Dir sein, wenn es sich in Eurem Verkehr nicht darum handelt, Verständniss zu erzielen, sondern eben nur seine Meinung unverändert zu behalten? Lieber Gegenstände, die mir fremd sind, von denen ich weder Erfahrung, noch ein sichres Gefühl habe, verbreite ich mich gewiss nie anders, als um (mich) belehren zu lassen: aber wenn ich fühle, dass ich über einen mir vertrauten Gegenstand etwas Vernünftiges und Zusammenhängendes mitzutheilen habe, mir die Entwickelung meiner Ansicht im Zusammenhang durchreissen zu lassen, nur um dem Anderen den Anschein zu lassen, als ob auch er mit der entgegengesetzten Meinung Recht haben könnte, das macht doch wirklich jedes Wort unnütz, das irgend in Gesellschaft überhaupt gesprochen werden könnte. Ich lehne jetzt jede eigentliche Gesellschaft ab, und – fühle mich wirklich wohler dabei.

Aber da rede ich auch heute vielleicht wieder zu viel, und bringe zu viel in Zusammenhang, was auseinander bleiben könnte? – Verstehen Sie mich, wenn auch diesmal gegen Sie mein Gefühl mich zum »Uebergang« – zur Ueberleitung drängt, wenn ich die schroffen Enden meiner Stimmungen zu vermitteln suche, und nicht plötzlich schweigen will, um Ihnen plötzlich einmal zu sagen, dass ich ruhig und heiter sei? Würde Ihnen diess natürlich vorkommen können? Nein! Folgen Sie auch heute den Weg, den ich Ihre Theilnahme führen möchte, um bei einem beruhigteren Gefühle über mich anzukommen! Es kann meinem Herzen nichts schmerzlicher sein, als eine quälende Theilnahme zu erwecken: ist mir es entflohen, so gönnen Sie mir die schöne Freiheit, allmählich und sanft zu beruhigen. Es ist bei mir Alles so sehr im Zusammenhang verkettet: das hat seine üblen Nachtheile, denn es macht, dass gemeine und (unter Umständen) leicht zu hebende Bedrängnisse oft einen übermässigen Einfluss auf mich ausüben können; doch hat es auch wieder den Vortheil, dass ich aus demselben Zusammenhange die Mittel zur Beruhigung gewinne; wie Alles nach meiner letzten Lebensaufgabe, meiner Kunst, hinströmt, fliesst aus dieser endlich auch der klare Quell zurück, der meine dorrenden Lebenspfade erfrischt. Ich durfte heute, durch den herzlichen Wunsch, beruhigend und vermittelnd auf Ihre theilnehmende Empfindung zu wirken, mich der höchsten künstlerischen Eigenschaft mir bewusst machen, die ich in meinen neuen Werken immer erspriesslicher entwickelt finde, und durfte so, wie von dem Heiligthume meiner Kunst aus zu Ihnen sprechen, ohne den mindesten Zwang, ohne den mindesten freundlichen Trug selbst, ganz wahr und unverstellt. –

So klärt sich mir denn auch meine ganze Lage allmählich nach einem bestimmten Ausgange hin ab, der ja einer Seite der Welt zugekehrt ist, von wo Freundschaft und edler Wille beruhigend auf mich wirken können. Es wird sich Alles einrichten lassen, und bin ich erst wieder ganz zur Ruhe, ist mir völlige Zuflucht zu meiner Kunst, zu meinem Schaffen wieder ermöglicht, so verliert bald Alles wieder seine störende Macht auf mein Gemüth: ich blicke dann ruhig nach Aussen, und, wenn ich am Wenigsten nach dort mich bemühe, kommt mir am Ehesten wohl auch von daher, was ich willkommen zu heissen habe. – Und so – Geduld! –

Aus meinen Büchern griff ich unsren lieben Schiller heraus. Ich las gestern die Jungfrau, und war so musikalisch gestimmt, dass ich namentlich das Stillschweigen Johanna's, als sie öffentlich angeklagt wird, vortrefflich mit Tönen ausfüllen konnte: ihre Schuld, – die wunderbare. – Heute hat mich eine Rede des Posa (am Schluss des zweiten Actes) über die Unschuld und Tugend wirklich in Erstaunen gesetzt wegen der unglaublichen Schönheit der poetischen Diction. Wie leid thut es mir, einer Aufforderung, die mir kürzlich vom Comité der Schillerfeier in Berlin zuging (einen Gesang dazu zu schreiben) nicht entsprechen zu können. Beklagen Sie mich, aber freuen Sie sich auch, wenn ich Ihnen sage, dass ich diesen Brief heute unter zahllosen Unterbrechungen der Arbeiter, unter Hämmern und Pochen der Tapezierer, des Instrumentenmachers, der Holzscheiter u. s. w. zu Stande gebracht habe. Bald hätte ich vielleicht Musse gehabt, einen Schillergesang zu Stande zu bringen: doch ist die Frist zu kurz, und noch hat die Muse keinen Raum in meinem Häuschen. –

Leben Sie wohl! Seien Sie mir gut und vertrauen Sie! Es wird noch eine Zeit lang Alles zu ertragen sein! Tausend Grüsse und herzliche Wünsche!

R. W.


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