Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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122.

Wien, 13. Sept. 61.

Ich hatte nun drei schöne Stunden. Von denen soll die Freundin wissen. –

Unlängst wurde ich auf den Landsitz einer ungarischen Familie, Graf Náho,So im Brief. Der Name lautet richtig Nako. entführt, welche sich rühmt, die erste und glühendst meiner Musik ergebene in Wien gewesen zu sein. Ein junger, liebenswürdiger Mann, Fürst Rudolph Liechtenstein, der unterwegs seine gleich würdige, sehr sanfte Frau mit abholte, geleitete mich nach dem Fuss der Hochgebirge, wo Schwarzau liegt. Wundervolle Lage: die Ebene, wäre sie mit Wasser ausgefüllt, könnte mit Glück an einen Schweizer See erinnern. Die Einrichtung des Schlosses, von durchaus ungewöhnlichem Geschmacke, verrieth den seltensten phantasievollen Sinn in der Wahl, Anordnung und Erfindung. Die Gräfin, eine Dame am Ende der dreissiger Jahre, mit überraschend geistvollem grossem schwarzen Auge, ist berühmt durch ihr eigenthümliches musikalisches Naturtalent; sie hält sich eine Zigeunerbande als musikalische Hauskapelle, setzt sich zu ihr an's Klavier, und phantasirt mit den Leuten Stundenlang das wunderbarste Zeug. Ich fürchtete in ihr Exaltation, vielleicht Affectation antreffen zu müssen: ihre Haltung beruhigte mich bald. Besser noch belehrten mich über den Ernst ihres Schönheitssinnes mehrere staunenswürdig ausgeführte Copien schönster Vandyk'scher Porträts, von denen sie mir sagte, dass sie ihr viel Mühe gekostet haben, da sie leider auch in der Malerei nichts Ordentliches gelernt. Etwas Aehnliches wie ihr Atelier habe ich noch nicht gesehen. Beim Frühstück wurde der Lectüre erwähnt: sie las jetzt Tschudi's Thierleben der Alpenwelt. Zu einem wunderschönen hellen Jagdhunde kam bald ein herrlicher, rabenschwarzer Neufoundländer von riesiger Gestalt hinzu: beide fühlten sich, von der Herrin geliebkost, unbeschreiblich wohl. Wir geriethen auf das Verhalten der Thierwelt zum Menschen: ich entwickelte mein Lieblingsthema, und fand höchst sympathisirende Zuhörer bis zur vollen Höhe meines Glaubensbekenntnisses. Die Zigeunerbande war augenblicklich in Ungarn: die Gräfin versuchte nun allein auf dem Klavier uns einen Begriff davon zu geben, wie sie mit ihnen musizire. Diess war sehr originell und fesselnd. Bald mischte sie Motive aus Lohengrin hinein: da musste endlich auch ich an's Klavier. Ich freute mich der schönen Stille, mit der Alles aufgenommen wurde. Nur der Graf, ein schlanker schöner Ungar von ächtem Schlage, glaubte mir durch viel Erzählen und Reden von dem Eindrucke meiner Werke sprechen zu müssen. Ich litt es mit vieler Geduld, weil er unglaublich gutmüthig mir den Inhalt der über mich gehörten Gespräche vorführte. An dem jungen Liechtenstein lernte ich eine rührende Melancholie kennen: er hat sich zur politischen Laufbahn entschlossen, nachdem er sehr jung den Seedienst erwählt hatte, und muss sich nun immer mehr eingestehen, wie wenig er zum Politiker gemacht sei. Der Tag wurde mit Spatzierfahren und -Gehen angenehm und sanft ermüdend vollbracht. Am Morgen musste ich dann sehr früh geweckt werden, weil ich anderen Tages mit meinem Sänger Ander ein Rendezvous in Mödling, was auf dem Weg von Schwarzau nach Wien liegt, verabredet hatte. Alles fand sich in der frühesten Morgenfrische noch einmal zum Frühstück auf der Terasse zusammen, und mit zwei andren ungarischen Magnaten, Zichy und Almasy, welche unaufhörlich von ihren Pferdezüchtungen sprachen, begab ich mich auf die Rückreise bis Mödling; wo ich früh um 8 Uhr, bei herrlichem Wetter, ausstieg. Es war mir noch zu früh, um Ander aufzusuchen: auch war ich vom vielen Reden und schliesslich Redenhören ermüdet, und beschloss, zuvor ein wenig mir allein anzugehören. Ich nahm einen Wagen, fuhr in das reizende Thal der Brühl; dort steht ein Vergnügungsort, der um diese Tageszeit ganz einsam war. Hinter das Haus, in den Garten, mit dem Blick auf herrliche Auen und Bergwälder, prachtvoll von der frühen Sonne beleuchtet, – dorthin setzte ich mich, und erlebte – still und einsam – die erste schöne Stunde, von der ich erzählen wollte. Ich schied von dort tief beruhigt, versöhnt und beglückt!

Die zweite schöne Stunde war nun die, in welcher die Freundin mir genau und bestimmt sagte, was ich in jener ersten Stunde empfunden. Dass ihr Ulrich v. Hutten die Feder geführt, machte ihre Weissagung nur bedeutsamer. Die volle, ganze Seele meines Daseins trat zu mir, deutete mir das Schweigen jener Stunde, und der Engel hauchte seinen Segenskuss auf meine Stirn. – Und das war die zweite schöne Stunde. –

Und nun die dritte? –

Diess war ein unerwartet schönes Gelingen. Der fliegende Holländer (die einzige Oper von mir, die man bei Anders fortwährender Unpässlichkeit jetzt geben kann) war zu gestern angesetzt. Ich hatte vor Kurzem diese Oper bereits wieder gehört, und war diesmal sehr unbefriedigt geblieben. Besonders verletzten mich einige sehr bedeutende Missverständnisse in der Auffassung und im musikalischen Tempo, so wie mehre Roheiten im Vortrage des Frauenchores. So liess ich denn zu gestern früh die beiden Hauptsänger, den Chor und den Kapellmeister zu einer kleinen Mittheilung zusammenrufen. Es betraf hauptsächlich die grosse Scene zwischen dem Holländer und Senta: kurz und bestimmt machte ich ihnen das nöthige klar; sie schienen betroffen zu sein, so etwas Richtiges verfehlt zu haben: Chor und Kapellmeister wurden gleichmässig instruirt. Es betraf eine bereits sehr zur Routine gewordene Aufführung, und leicht war es, da das Orchester nicht hatte zusammengerufen werden können, dass durch die Neuerungen auffällige Störungen veranlasst würden. Nun war meine Freude über die Aufführung desto grösser. Ein neuer Geist war in Alle gekommen. Der Kapellmeister selbst war erstaunt über die Präzision, mit welcher die Neuerungen ausgeführt wurden: meine beiden Sänger waren gerade an diesen Stellen wirklich erhaben. Aber von Anfang bis zu Ende war Alles ergreifend, ja überwältigend für mich! Ich kann nicht anders sagen: ich erlebte viel Schönes und ich muss diesen Abend meine dritte schöne Stunde nennen! –

Und diess sei genug für heute! Das Glück der Erinnerung der drei Stunden sei nicht gestört; und darum – nichts mehr heute von mir! Aus Nebel und Grauen reiche ich Dir die Hand, und rufe: diess war möglich! – Nun denn, Muth! Muth! Noch steht die schönste Stunde bevor! –

R. W.


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