Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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105.

Paris, 22. Juli 60.

Soll ich endlich diesen dunklen Bogen, den ich mir schon wiederholt zurecht legte, wirklich beschreiben? Soll ich Ihnen einmal wieder eine Nachricht von mir geben? Oder soll ich warten, bis wenigstens ein klarer Sonnentag mir reinen Himmel giebt, um durch seinen Einfluss einen Zug von Heiterkeit in mir zu beleben, den ich dankbar Ihnen widmen dürfte? –

Auch diese Gunst zeigt sich nicht! Ewig herrscht West und Süd um meine armen Nerven in der tiefsten Herabgestimmtheit zu erhalten. Was endlich? Vielleicht ängstigen Sie sich mehr als nöthig, wenn ich schweige!

Können selbst Sie sich eigentlich wohl einen vollen Begriff von meinem Leben machen? Kaum kann ich's glauben, schon weil es vielleicht nicht möglich ist. Ich muss das Wunderliche erleben, dass ich mich schliesslich fast vor jeder mir bezeugten Theilnahme zurückziehen muss, weil ich überall stets endlich auf einen Punkt stosse, wo meine sonderbare Stellung zur Welt und zu Allem, was ich thue und treibe, Missverständnissen anheim fällt, die meiner Empfindung sich so deutlich machen, dass ich wahrnehmen muss, wie man mich eigentlich – genau genommen – für eine Art Heuchler nimmt. Schon wird es mir aber sehr schwer nur genau zu bezeichnen, was ich dabei meine. Auch diese Wahrnehmung bleibt daher mein Geheimniss, und der Welt gegenüber habe ich nur den seltsamen Trost, dass sie in ihrem Missverständniss nur etwas Allen Gemeinsames, ganz Natürliches, also nicht besonders Tadelnswerthes zu erblicken vermeint. – Es giebt gewiss keinen Menschen, der weniger Freude, Genuss, oder nur Erfrischung, ja vorübergehende Anregung irgend welcher Art hätte, als ich. Was ich thue und treibe, nie kommt auch nur für einen Augenblick dabei in Betracht, mir einen Genuss, eine Annehmlichkeit zu bereiten, schon weil ich immer bestimmter einsehen lernte, dass das Gesuchte nie eintraf, und stets in das Gegentheil umschlug. Diess ist mir so bestimmt, dass ich nach einem kürzlich unternommenen Ausflug nach Fontainebleau, wo mich die versprochenen schönen Bäume anzogen, mir nun fest vorgenommen habe, für diesen Sommer z. B. an keine Zerstreuung irgend welcher Art nur mehr zu denken, weil so vieles, wofür ich nun einmal äusserst empfindlich geworden bin, mir auch diesen Ausflug schliesslich mehr als eine Erfahrung voll Pein, als von Annehmlichkeit, erkennen liess. In meine Einsamkeit tritt Niemand ein, den ich nicht lieber wieder von mir gehen sehe.

Regt sich die unerlöschliche Sehnsucht nach vertrauter Berührung, ja nur nach irgend einem kleinen Wechsel, so sage ich mir jetzt schon immer bestimmter, wie jede mögliche Erfüllung mir nur Pein machen würde, und verbleibe ruhig bei mir mit dem Bewusstsein, dass ich doch selbst die erwartete kleinste Erfrischung nicht finden würde. Diese vollendete gänzliche Resignation kann sich wohl kaum Jemand vorstellen, am Wenigsten wer Kinder hat! –

Und nun mit all diesem unerhört freudenlosen Dasein immer noch in einer Welt, unter Erfordernissen und Rücksichten sich bewegen, die auf mich in den Augen Anderer fast immer wieder das Licht zurückwerfen, in welchem ein Begehrlicher sich zu zeigen scheint, das führt endlich zu den wunderlichsten Empfindungen meiner Seits von dieser Welt. Ich sage es Ihnen offen, die Bitterkeit, die ich Ihnen oft bekannte, schwindet mir jetzt immer mehr, und die Verachtung tritt ganz dafür ein. Diess Gefühl ist nicht heftig, sondern es giebt mir immer mehr Ruhe: es giebt keine Beziehung meiner Seits zu irgend wem mehr, in welcher dieses Gefühl jetzt nicht vollständig die Oberhand nimmt: und diess erspart meinem Herzen viel; es ist jetzt viel weniger mehr verwundbar: – ich kann verachten, wo ich früher mich erbitterte! –

So spreche ich mich denn auch immer weniger aus, und denke mir, ich sei nicht dazu, durch meine Handlungen verstanden zu werden, und will denn wenigstens hoffen, dass etwas wenigstens einmal von meinen Werken verstanden wird. Aber so viel sage ich Ihnen: nur das Gefühl meiner Reinheit giebt mir diese Kraft. Ich fühle mich rein: ich weiss in meinem tiefsten Innern, dass ich stets nur für Andre, nie für mich wirkte; und meine steten Leiden sind mir des Zeugen. –

Aber Freude? Aber Freude macht mir nichts mehr! Und das ist mein Trost: jede Freude, auf der ich mich ertappte, würde mein Ankläger sein, und um mein stolzes Recht zur Verachtung wäre es geschehen. –

So kann ich Ihnen denn auch heute mit einem seltsamen Gefühl von Genugthuung berichten, dass die vor einigen Tagen mir gemachte Eröffnung der Aufhebung meiner Verbannung aus Deutschland mich durchaus kalt und gleichgültig gelassen hat. Telegraphische Depeschen trafen jubelnd bei mir ein mit Glückwünschen: ich habe keine einzige beantwortet. Wer würde es begreifen, wenn ich ihm sagen wollte, dass hiermit mir nur wieder ein neues Feld des Leidens eröffnet ist, eines Leidens, das gewiss jede Möglichkeit irgend welcher Befriedigung in dem Grade aufwiegt, dass ich nur Opfer meinerseits vor mir erblicke? Wer mir zufällig einmal ganz zu nahe kommt, der scheint diess dann auch plötzlich zu verstehen: aber es ist ihm nur ein Anflug von Verständniss; er wendet den Rücken, und nicht lange währt es, so meint er endlich doch, ich affectire! Und das sind noch die halbweg besten! Nun aber was sonst so da ist! – Zum Ekeln! –

Aber einen Freund habe ich, den ich immer von Neuem lieber gewinne. Das ist mein alter, so mürrisch aussehender, und doch so tief liebevoller Schopenhauer! Wenn ich mit meinem Fühlen am Weitesten und Tiefsten gerathen bin, welche ganz einzige Erfrischung, beim Aufschlagen jenes Buches mich plötzlich so ganz wieder zu finden, so ganz verstanden und deutlich ausgedrückt zu sehen, nur eben in der ganz anderen Sprache, die das Leiden schnell zum Gegenstande des Erkennens macht, und aus dem Gefühl schnell alles in den marmornen, kühlen, tröstenden Verstand umsetzt, aber in den Verstand, der, indem er mich mir selbst, zugleich mir die ganze Welt zeigt! Das ist eine ganz wundervolle Wechselwirkung, und ein Austausch der allerbeglückendsten Art: und immer ist diese Wirkung neu, weil sie immer stärker ist. Das giebt dann Ruhe, und selbst die Verachtung klärt sich als Liebe auf: denn alles Schmeicheln ist fort; klares Erkennen kühlt das Leiden: die Falten glätten sich, und der Schlaf gewinnt wieder seine erquickende Kraft. Und wie schön, dass der alte Mann gar nichts davon weiss, was er mir ist, was ich mir durch ihn bin.

Und nun noch eines ganz andersartigen Freundes lassen Sie mich gedenken. Lachen Sie, aber ich spreche von einem wahren Engel, den ich immer um mich habe: ein Wesen von unerschütterlicher Freundlichkeit, das mich nie nur erblickt, ohne einen ganzen Schwall von Freude und Liebkosung an mir zu verschwenden. Das ist das Hündchen, das Sie einst auf dem Krankenbette für mich bestimmten! Es ist unsäglich, wie liebenswürdig dieses unvergleichliche Thier gegen mich ist. Alle Abende verliere ich mit ihm mich in dem Bois de la Boulogne! Da denke ich denn oft an mein stilles Sihlthal! Leben Sie wohl, Sie freundliche Seele! Und haben Sie Dank! –


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