Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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2.

Ihre letzten ZeilenDer erwähnte Brief, zwischen Nr. 123 und 124 fallend, ist verloren. haben mich sehr traurig gemacht. Ich konnte lange nicht darauf antworten. Der Gedanke an unser Zusammensein in Wien war mir so nahe getreten, war mir nun endlich Zuversicht geworden. Ich hatte ja doch lange nicht daran geglaubt, nun glaubte ich, um es wieder zu verlernen. Was in die Hand der Zukunft gelegt wird, ist uns für den Augenblick, vielleicht für immer genommen. Der Augenblick gehört uns, doch was die dunkle Mutter in ihrem Schoosse für uns birgt, wer weiss es? Die Schwierigkeiten, die der Geburt eines Tristan entgegenstehen würden, wohl ahnend, lag mir zunächst unser Zusammensein im Sinne, und hätten wir gewusst, dass Sie nur noch kurze Zeit in Wien bleiben würden, wir wären sicherlich früher gekommen. Es sollte nicht sein! Aber schlafen kann ich jetzt nicht.

Die Mutter wollen wir belauschen, wo sie noch wach ist, in Venedig. Montag reisen Otto und ich dahin ab. Lange werden wir nicht dort bleiben; in 14 Tagen, drei Wochen spätestens, sind wir zurück. Es soll uns vor dem Winterschlafe eine Erfrischung, Stärkung und Anregung sein, wie ich sie von Wien gehofft hatte. Scheint auch das Leben hier und da eine Idylle, der richtige Blick fände bald den Stoff zur Tragödie heraus. Gegenseitige Kurzsichtigkeit schützt die Menschen vor dem Erkennen. Dann ist das »Sehen« an und für sich leidlos, das »Sein« aber immer leidend. Sie, Verehrer von Schopenhauer, sollten das wissen! Somit wären die Menschen, die viel sehen und nichts sind, gewiss am glücklichsten! Und auf das »glücklich sein« kommt's ja am Ende an, nicht wahr? Gross sein, Gut sein, Schön sein, genügt dem Menschen nicht, er will auch glücklich sein. Wunderliche Marotte! Mich däucht, wer Eines von jenen Dreien wäre, brauche den ganzen mühseligen Scheinapparat des Andern nicht mehr! Doch, was weiss ich davon?

In der hiesigen Welt der berühmten Männer sind grosse Veränderungen eingetreten. Gottfried Keller ist zum Staatsschreiber ernannt worden, und bezieht das alte Quartier des Reg.-R. Sulzer an der Staatskanzelei. So erlebt die arme Mutter des »grünen Heinrich« noch die Freude, ihren Sohn auch äusserlich angesehen und geehrt zu sehen!

Ferner ist Moleschott in seinem Fache als Prof. an die Universität nach Turin berufen worden. Er lebte zuletzt hier gänzlich verlassen, und fast freundlos.

Und last but not least, erhielt Ihr Herwegh einen Ruf als Professor der »vergleichenden Literatur« nach Neapel. Für seine Verhältnisse war es Zeit; sie standen gänzlicher Zerrüttung nahe. Vielleicht wird er durch eine ehrenvolle, seinen Lieblings-Neigungen entsprechende Beschäftigung, sich selber wiedergegeben. Die Herren hier schütteln die Köpfe über den Leichtsinn von de Sanctis, aber mich freut es doch, dass einmal einige tönende Namen zum Klange kommen. Es ist in Deutschland so äusserst selten. Was da genannt wird, klingt meistens hohl, und nur die, von denen man nicht spricht, sind der Rede werth.

Was werde ich nun nächstens vom Freunde hören? Den Kummer seiner abermaligen Enttäuschung theile ich mit Ihm! Wo werden Ihn die Schicksals-Götter zunächst hingeleiten? Wird es eine Zeit geben, wo Er auf dem grünen Hügel ausruht? Hoffen wir, so hoffnungslos es scheint? Dank für die Photographien und innige Liebe!

Mathilde Wesendonk.

Octob. 23. 61.


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