Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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118.

Paris, 15. Juni 1861.

Da habe ich einmal lange dem vortrefflichsten Kinde nicht geschrieben, – und ich hätte doch für den lieben letzten Brief noch so viel Dank zu sagen gehabt! –

Ich lebe bleiche, seelenlose Tage dahin; habe zu nichts in der Welt Lust, nicht zu irgend einer Arbeit noch zu sonst zu etwas: kaum entschliesse ich mich zum nöthigsten Briefschreiben! Vielleicht kann ich meinen Zustand eine Gedulds-Bewährung benennen! Vollständige Ungewissheit – ist Alles, was ich andeutend ausdrücken kann! –

Ich gehe wenig mehr aus: Ekel vor Allem ist gross. Ich suche rein die Zeit zu tödten, und lese Göthe, wie es kommt; zuletzt die Campagne von 1792. Es ist eine völlige Lethargie, und der Fisch auf dem sandigen Lande ist ein ganz treffendes Bild für mich.

Liszt und Tausig sind seit 8 Tagen fort. Ich liess sie gern ziehen – so steht's mit mir! Es ist eben Alles nicht das Rechte, und nichts hilft mir. Sonderbar muss mir wohl Liszt's Lebensbegegnung vorkommen. Zum ersten Mal traf ich ihn vor 20 Jahren in Paris, zu einer Zeit, wo mich – in misslichster äusserer Lage – bereits tiefer Ekel vor der Welt fasste, in welcher er eben glänzend und strahlend vor mir herangaukelte. Jetzt, wo ich nur zu bereuen habe, dieser Welt durch mein Schicksal einmal wieder entgegengetrieben worden zu sein, wo ich meine Jugenderfahrung so gründlich erneuere, und nichts, keine Vorspiegelung, kein Anschein mich mehr bewegen kann, gegen sie den Finger aufzuheben, muss Liszt abermals sich vor meinen Augen darin herumsonnen! ... Niemand weiss besser wie er, was das ist, das dort zu erreichen ist. Richtiger beurtheile ich ihn daher, wenn ich annehme, da das Rechte ihm selbst versagt bleibt, liebt er es, sich dann und wann im Schein zu berauschen ... Ich konnte ihm nirgends hin folgen, und somit habe ich ihn wenig gesehen. Aber ich habe ihm versprochen, ihn für ein paar Wochen in Weimar zu besuchen; er will da grosse symphonische Werke aufführen. –

Ach! Mein Kind! Wenn ich Sie nicht hätte, säh' es bös' mit mir aus! Glauben Sie das recht treu und fest! – Und lassen Sie sich damit Alles gesagt sein! –

Aber ein Leben habe ich nicht mehr! Vielleicht fasse ich wieder etwas Lust – namentlich zum Arbeiten – wenn ich erst hier heraus bin; wenn nur das erst gelänge! –

Einzig regt mich das Tristan-Vorhaben an. Ueberlegen Sie sich's doch, wie Sie es mit Papa anfangen, den Herbst und einen Theil des Winters diesmal in Wien zu verleben. Es würde Ihnen doch wohl auch gut thun: ich würde mich, so lange ich dort bin, schönstens von Euch pflegen lassen; denn ich gehe allein hin, und werde vorläufig bei Kolatscheck absteigen. Sie hörten dann einmal ruhig Alles an, was ich zum Gehör gebracht habe, Tristan, Lohengrin, Holländer, Tannhäuser –: es sollte Ihnen doch einmal einen heimischen Winter machen. –

Also darüber wollen wir noch viel verhandeln! – Und nun schönsten, herzlichsten Gruss! Und viel Schönes und Gutes an Otto, die Kinder und den ganzen grünen Hügel,

von Ihrem
grauen
R. W.


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