Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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6.

Was soll ich thun, Sie arme Kranke aufzuheitren? Das Programm mit den Uebersetzungen habe ich EschenburgProfessor der englischen Sprache in Zürich. mitgegeben: aber was soll Ihnen das nützen? – Otto soll Ihnen schnell »Indische Sagen, bearbeitet von Adolf Holtzmann, Stuttgart,« besorgen. Ich hab' sie mit nach London genommen: ihre Lektüre ist meine einzige Wonne hier gewesen. Alle sind schön: aber – Sawitri ist göttlich, und wollen Sie meine Religion kennen lernen, so lesen Sie Usinar. Wie beschämt steht unsre ganze Bildung da vor diesen reinsten Offenbarungen edelster Menschlichkeit im alten Orient! –

Jetzt lese ich jeden Morgen, ehe ich an die Arbeit gehe, einen Gesang im Dante: noch stecke ich tief in der Hölle; ihre Grausen begleiten mich in der Ausführung des zweiten Actes der Walküre. Fricka ist soeben fort, und Wodan soll in seinem schrecklichen Wehe ausbrechen.

Ueber diesen zweiten Act bringe ich es hier keinesfalls; ich kann nur sehr langsam arbeiten und habe jeden Tag gegen ein neues verstimmendes Uebel zu kämpfen. –

Meine Londoner Erfahrungen bestimmen mich dazu, mich jetzt für einige Jahre vom öffentlichen Musikmachen gänzlich zurückzuziehen: dieses Conzert-Dirigiren muss ein Ende haben. Mögen sich ja die Züricher Herren um meinetwillen nicht in Kosten stecken! Ich bedarf jetzt alles inneren Gleichgewichtes, um mein grosses Werk zu vollenden, das mir leicht – so fürchte ich – unter diesem ewigen, beleidigenden Contact mit dem Unzureichenden und Ungenügenden, als eine groteske Chimäre verleidet werden könnte.

– Um sich aufzuheitern, denken Sie hübsch darüber nach, wieviel Fugen in meinem Londoner Oratorium vorkommen sollen, ob Lord Jesus weisse oder schwarze Glacé-Handschuhe tragen, und ob Magdalena einen Blumenstrauss oder Fächer halten soll? Sind Sie hierüber ganz mit sich einig, so wollen wir dann weiter dran denken. –

Heute habe ich das 4te Conzert:Vgl. das Programm bei Glasenapp II, 2, 85. Das Konzert fand am 2. Mai statt. die A-Dur Symphonie (die jedenfalls lange nicht so gut als in Zürich gehen wird) und dazu viel schöne Dinge, die ich wohl nie mehr in meinem Leben aufführen zu müssen glaubte. Doch zu Allem stärkt mich das sichre Wissen davon, dass diess – zum letzten Mal gewesen sein wird. –

Schönen Gruss an Otto, dem ich bestens für seinen letzten freundlichen Brief danke: macht es ihm durchaus Spass, so schreibe ich ihm noch einmal. Kommt MarieSchwester von Frau Wesendonk, der der Züricher Vielliebchen-Walzer (vgl. Musik I, S. 1939) gewidmet ist; Glasenapp II, 2, 51 und 468. noch nicht bald zu Ihnen? –

Morgen nach dem Conzert schreibe ich an meine Frau: sie wird Ihnen dann nichts sonderliches zu berichten haben.

Auch schönen Gruss an Myrrha!Tochter von Frau Wesendonk. Leben Sie wohl und – heiter!

London 30. April 55.

Vgl. zu dem obigen Briefe auch die Briefe an Otto Wesendonk vom März, 5. April und 22. Mai 1855, sowie die an Sulzer (Neujahrsblatt der Musikgesellschaft in Zürich 1903). Zur Londoner Reise überhaupt vgl. das III. Kapitel bei Glasenapp II, 2.


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