Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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98.

Paris, 19. Dez. 59.

Bestes Geburtstagskind!

Komme ich recht? Ist heut' grade der 23ste? Wohl stimmt vielleicht der Tag, aber das Geschenk? Was sollte ich dem Kinde schenken? Ich bin jetzt so arm! Meine Gabenquelle ist so ganz versiecht. Wie das sein mag, guter Einfälle sich erfreuen, sie zu Papier bringen, mitzutheilen, – es ist mir, als ob ich das schon lange nicht mehr wüsste! – Nur so als letzter Abschluss meines letzten (?) Werkes konnte mir noch etwas einfallen, und diess ist auch wahrlich kein schlechter Gedanke gewesen. Hören Sie, wie es damit ging. –

Sie wissen, Hans wollte vorigen Winter das Vorspiel zu Tristan aufführen, und bat mich, einen Schluss dazu zu machen. Mir wäre damals nichts eingefallen: es schien mir so unmöglich, dass ich es gradesweges abwies. Seitdem habe ich denn nun den dritten Act geschrieben und den vollen Schluss des Ganzen gefunden: diesen Schluss als dämmernde Ahnung der Erlösung im Voraus zu zeigen, fiel mir nun ein, als ich ein Programm zu einem Conzert in Paris entwarf, das mich besonders deshalb reizte, weil ich mir darin das Tristan-Vorspiel zu Gehör bringen wollte. Das ist denn nun ganz vortrefflich gelungen, und diesen geheimnissvoll beruhigenden SchlussHierzu siehe Faksimile am Schluß des Buches. schicke ich Ihnen heute zum Geburtstag als Bestes, was ich geben kann. Ich habe das Stück Ihnen so aufgeschrieben, wie ich es mir ungefähr auf dem Klaviere vorspiele: einige böse Griffe kommen darin vor, und ich denke mir, Sie werden sich einen römischen Baumgartner suchen müssen, der Ihnen die Sache vorspielt, falls Sie es nicht lieber selbst mit ihm à quatre mains spielen, wobei Sie sich die rechte Hand für Ihre beiden Hände zurecht legen müssen. Nun sehen Sie, was Sie mit dem schwierigen Geschenke anfangen! – Besser werden Sie verstehen, was ich als Erläuterung des ganzen Vorspieles für mein Pariser Publikum aufgesetzt habe: das steht auf der andren Seite des kaligraphischen Specimen's. Epheu und Rebe werden Sie aber in der Musik wieder erkennen, namentlich wenn Sie's vom Orchester hören, wo Saiten- und Blasinstrumente mit einander abwechseln. Es wird sich recht schön machen. Ich denke, Mitte Januar höre ich's: dann will ich's für Sie mithören.

Und nun viele tausend herzliche Wünsche und Grüsse aus meinem kalten Paris, wo wir vor Schnee, Eis und Frost fast umkommen! Wie ist's bei Ihnen? Bewährt sich Rom? Lassen Sie bald hören! Ich bedarf der Nachricht von Ihnen! –

Leben Sie wohl! Seien Sie gesegnet und innig verehrt! –

Ihr
R. W.


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