Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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113.

Zum 23. Dezember 1860.

Da finde ich noch einen Bogen von meiner Farbe:Der Meister schrieb gewöhnlich auf lila Briefpapier; vgl. das Tristanfaksimile am Schluß des Bandes. der soll Ihnen, Freundin, meine Geburtstagsgratulation bringen!

Was soll ich Ihnen wünschen? Was darbieten? Ein höchst mühseliges, ruheloses Dasein, lässt mich als das Wünschenswerthe – Ruhe erscheinen! Ich verlange so sehnlich nach ihr, dass ich auch Andern, und namentlich dem Liebsten, sie einzig als höchstes Gut wünsche. Sie ist so schwer zu gewinnen: wem sie nicht angeboren, dem wird sie kaum je zu Theil, und nur die gänzliche Brechung des eigentlichen Charakters kann ihm diesen Siegespreis zuführen. Wer so im Leben bleibt, und seine Natur immer wieder an dieses Leben dran setzt, der kann im Grossen und Ganzen über Vieles sehr, fast vollkommen ruhig geworden sein; das kleine Lebenswesen von heute zu morgen wird aber immer wieder sein Temperament aufreizen, ihn ungeduldig, unruhig machen. Wie sonderbar geht es mir nun! Ich bleibe kalt und unberührt von Allem, was fast ausnahmslos die Welt in Bewegung setzt. Ruhm hat gar keine Macht über mich: Gewinn nur so weit, als er mich zur Noth unabhängig erhalten soll. Für beide ernstlich etwas unternehmen, wäre mir nie möglich. Rechtbehalten ist mir auch gleichgültig, seit ich weiss, wie unglaublich wenig Menschen dazu gemacht sind, den Andern erst nur zu verstehen. Das mir so sehr natürliche und verzeihliche heftige Verlangen, von jedem meiner Werke eine vollkommen entsprechende Aufführung zu erleben, hat sich endlich doch auch sehr abgekühlt, und diess namentlich noch in dem letzten Jahre. Das erneute Befassen mit Musikern, Sängern u. s. w. hat mir wieder tiefe Seufzer entpresst, und meiner Resignation auch nach dieser Seite hin eine sehr erkräftigende Nahrung gegeben. Ich muss immer mehr einsehen, wie ganz unermesslich weit ich von dieser – in unsrem modernen Leben ganz unveränderlichen – Basis auch meiner Kunstbildungen mich entfernt habe. Gern gestehe ich, dass ich – wenn ich jetzt plötzlich auf meine Nibelungen, auf den Tristan blicke – wie aus einem Traum aufschrecke, und mir sage: »wo warst du? – Du hast geträumt! Schlag die Augen auf und erkenne: hier ist Wirklichkeit!« – Ja, ich läugne nicht, dass ich meine neuen Werke eigentlich geradesweges für unausführbar halte. Wenn nun aber doch der innere Drang, auch hier eine Möglichkeit zu verwirklichen, sich wieder belebt, so ist diess immer wieder nur dadurch möglich, dass ich mein Gehirn wieder in das Traumreich streifen lasse. Dann müssen mir unerhörte, nie dagewesene hülfreiche Verhältnisse sich als möglich darstellen, und ich muss mir die enorme Kraft zutrauen, diese Verhältnisse herbeizuführen. Gegenüber den ununterbrochenen Erfahrungen von unglaublicher Schwäche und Oberflächlichkeit aller der Personen und Beziehungen, auf welche die Möglichkeit meiner Annahmen sich stützte, macht auch hier die Resignation sich immer mehr geltend, und giebt mir jene Trägheit ein, die mit Scheu vor unnützem Trachten sich abwendet. Ich denke sehr wenig nur noch daran.–

Wenn mich nun etwas für die hiesige Tannhäuser-Unternehmung belebt, so ist diess eigentlich nur die unvertilgbare Eigenschaft meiner Natur, sich unter den Einflüssen künstlerischer Zwecke zu erregen. Mit Mühe zwinge ich mich den ganzen Tag über, mich für die Sache zu interessiren: bin ich dann aber in der Probe, so nimmt das Unmittelbare der Kunst seine Gewalt über mich ein: ich vergeude mich und meine Kräfte, und zwar – eigentlich für eine Sache, die mich ausserdem gleichgültig lässt. –

So ist mir's in Wahrheit! –

Und nun – wie himmelweit verschieden hiervon, und ganz anders, sieht nicht nur die Welt, nein, alle meine Bekannte, ja der mir ergebenste Freund mich an! Ich kann sagen, dass ich fast einzig an dieser wahnsinnigen unvertilgbaren Meinung Jedes, der sich mir naht, leide! Ich kann predigen, Beredsamkeit, Gram, Zorn und Wuth verschwenden, – da antwortet mir immer nur das Lächeln des Bedauerns über eine augenblickliche Verstimmung! Könnten die Menschen dann mein Schweigen errathen, wenn ich plötzlich Einhalt thue, bleich und anscheinend gleichgültig mich in mich zurückziehe!

O, mein Kind! Wo finde ich dann meinen einzigen, einzigen Trost? – Ich habe einmal das Herz und die Seele gefunden, die in diesen Augenblicken mich ganz verstand, und denen ich lieb ward, weil sie mich so verstanden und verstehen durften! Sehen Sie, zu dieser Seele flüchte ich dann, wie ein Todtmüder lasse ich die Glieder sinken, und senke mich in den weichen Aether dieses freundlichen Wesens. Alle meine Erlebnisse, die unerhörten Rührungen, Sorgen und Leiden aus jener Vergangenheit lösen sich, wie aus Sturmgewölk, in einen erfrischenden Thau auf, der mir die brennenden Schläfe benetzt: da fühle ich Erfrischung, und endlich Ruhe, süsse Ruhe: ich bin geliebt – erkannt! –

Und diese Ruhe, ich trage sie Ihnen zu! Lassen Sie in dem holden Bewusstsein, was Sie mir sind – der Engel meiner Ruhe, die Hüterin meines Lebens, auch sich den edlen Quell finden, der die Dürren Ihres Daseins berieselt! Theilen Sie meine Ruhe, und empfangen Sie sie heute ganz, wie ich sie in diesem Augenblicke geniesse, da ich ganz in Sie mich versenke! Diess mein Wunsch, mein Geschenk!

R. W.


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