Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

137.

221. Penzing bei Wien.

28. Juni 1863.

Freundin!

Heute kam eine schöne, wunderschöne Mappe an: sie ist für die Meistersinger bestimmt. Bis jetzt half ich mir mit der grünen noch ganz vortrefflich. Letzthin packte ich sie wieder aus (– ich habe mich ja einmal wieder angesiedelt! –): da waren allerhand Skizzen und wunderbare Blätter drin, ganz wo in der Ecke. Lieber Himmel, es sah noch recht nach Tristan drin aus! Es half aber nichts, die Meistersinger mussten mit hinein. Nun seien Sie mir einmal nicht bös: ein rechter Meister bin ich noch nicht, ich hab' es auch mit der Musik noch nicht viel über die Lehrbuben gebracht; wie das demnach wird damit, weiss Gott! also, das ganz Fertige soll immer in die neue Mappe kommen: da soll's prangen, und wenn ich drauf hinblicke, so will ich mir sagen: »nun bist du schon ein Stück Meister, – wenn auch noch lange nicht soviel als die, die dir die Meistermappe schickte!« Einstweilen aber soll das Unfertige (ach! und wie viel ist in und an mir unfertig!) in der grossen grünen Mappe sich herumtreiben, mit allen Resten aus alten wunderbaren Zeiten zusammen. Ich bin einmal doch treuer, als Sie vielleicht glauben, und als es Ihnen vielleicht auch manchmal weis gemacht wird, dass ich's wäre. Die Meistersinger, soll was dran sein, müssen partout noch in der alten Mappe zur Welt kommen: Gott weiss, wie's ihnen glücken wird. Aber, wie gesagt, was nachher ganz in Ordnung ist, das kommt in die neue braune: jetzt sind schon 40 Seiten Partitur drin.

Aber wie's glücken wird? das weiss ich noch gar nicht.

Wie soll ich Ihnen das verständlich machen? – Gestehen Sie, so ein unfertiger Meistersinger hat es schwer, Ihnen zu schreiben. Wenn ich Ihnen nun sagte z. B. ein Meister muss Ruhe haben, so müsste ich sogleich auch bekennen, dass ich keine habe, und – das ist das Schlimme! – auch wohl nie haben werde. Das ist das Garstige, worüber ich mir jetzt recht klar geworden bin: ich hab' keine Ruhe! Ich fliehe die Menschen, die Verhältnisse, endlich jeden Verkehr – auf das Vollständigste, weil im Grunde mich Alles martert – ich bin nun einmal so! – Nun richte ich mir eine schöne stille Wohnung ein: jede Ecke muss mir recht sein; wie ein Fieber quält's mich, mir's darin ungeheuer behaglich und lieblich zu machen, weil ich mir sage, darin sollst du stecken, alle Zeit zubringen (im glücklichsten Falle!) und ganz mit dir allein sein! Alleinsein! Ach – welche Wonne durchschauert mich oft, wenn ich mir diess sage, sobald ich eben nicht allein bin. Gut! Nun bin ich allein: – ich Thor! Als ob mein Herz nicht bei mir wäre! – und nun erst geht die Unruhe recht los, bald in der Gestalt der Sorge, bald des Verlangens. Da ersehne ich denn eine Gegenwart; denn eben nur Gegenwart kann beruhigen! Glauben Sie mir, der Gott der Seligkeit und Ruhe heisst »Gegenwart«! – Ja! nun muss es gehn ohne Gegenwart. Da halt' ich mich denn zuerst an die Dienstleute, die mich schnell lieben: dann kommt ein Hund daran. Doch hab' ich mir noch keinen angeschafft: ich bange und zage jetzt sehr vor allem Neuen, vor neuen Verhältnissen, selbst mit einem Hunde. Kürzlich brachen aber Diebe bei mir ein, und stahlen mir eine goldene Dose, die mir das Moskauer Orchester zum Andenken geschenkt. Das ergriff meinen alten Baron, der unter mir wohnt: er stellte mir seinen alten Jagdhund zur Verfügung, der schläft nun Nachts in meinen Zimmern, und will mich auch Tags nicht mehr verlassen: auf Tritt und Schritt werd' ich ihn nicht mehr los. Er heisst Pohl,Pohl erlebte noch die ganze Münchener Zeit und starb im Januar 1866 in Genf; vgl. Glasenapp III, 1 im Namenregister. ist braun und stark: aber, wie gesagt, schon alt: bald wird er sterben, wie Fips und Peps. Es ist ein Elend! – – Wie gesagt, ich glaube zu keiner eigentlichen Ruhe zu gelangen: auch auf die Meistersinger bin ich noch misstrauisch, so ernst und ruhig mich auch die braune Mappe ansieht. – Otto ist mir wohl böse, weil ich ihm so lange nicht geschrieben hatte? Nun schrieb ich ihm, als mein Geburtstag, – der so bedeutungsvoll erwartete 50steVgl. oben S. 235. – vorbei war, damit er nicht denken sollte, ich schrieb ihm nur, wenn ich ihn mit was quälen wollte. Wenn Sie nicht wären, so wüsste ich nun am Ende gar nicht, ob er meinen Brief erhalten. Wie geht es mit seiner Gesundheit? Quält ihn sein Halsleiden noch? Ich hoffe auf gute Nachrichten von ihm.

Wie steht es um die schöne Schweiz? Ist der See noch so licht grün und blau? Und die Gebirge mit den Schneefeldern? – Kinder, Ihr habt Euch doch ein schönes Land erwählt, und manchmal kommt mir recht die Sehnsucht nach ihm an. Ich hoffte einmal einst dort zu sterben! Im Ganzen ist's mir, als ob ich doch dort oft ruhiger war, als ich es jetzt bin. So eine Schweizer Gegend hat wirklich etwas Beruhigendes! Einen Sonnenuntergang kenne ich gar nicht mehr: zuletzt noch ein paar mal am Rhein. Da wollte es sich aber mit keiner Wohnung machen: jetzt sitz' ich hier, einiger schönen, hohen Bäume wegen, die ich im Garten habe. Auch ist die Wohnung ruhig, – aber nicht ich! Doch, das sagte ich Ihnen schon. – Und wie geht es Ihnen? Ihnen wurde der Hans Sachs leicht; mir fällt er noch schwer. Auch die Kunst kann ernst sein – nicht nur das Leben! Adieu, Freundin!

Bleiben Sie gütig

Ihrem
R. W.


 << zurück weiter >>