Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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61.

Venedig 2. März 59.Urschrift fehlt.

Schönsten Dank der lieben Märchen-Frau! Sie erzählt so schön, und hat doch noch lange nicht so erfahrene Runzeln wie die Grimm'sche! Guter Laune macht mich das Gelingen des zweiten Aktes. Letzthin Abends bekamen mich Ritter und WinterbergerAlexander Winterberger, Pianist und Organist, Schüler von Liszt. dazu, nach und nach die Hauptsachen zu spielen. Da hatte ich denn 'was Schönes angerichtet! Alle meine frühern Arbeiten, die armen, wurden bei Seite geworfen gegen diesen einen Akt! So wüthe ich gegen mich selbst, und bringe meine Kinder allemal bis auf Eines um. –

– Ach, lieber Himmel! Du weisst was ich will! Es ist rein, klar und durchsichtig wie Du, wenn Du Deinen schönsten Krystall über mich ausspannst! Aus meinem wahrsten Inneren steigt kein Wölkchen mehr, das irgend einem Menschen den Anblick meiner Klarheit verhüllen könnte! Sie wehen sie aus sich über mich hin, diese Wolken; wie lange muss ich sie noch scheuchen, um ihnen zu zeigen, dass ich am Ende doch ein guter, reiner Mensch bin? Und nicht um meinetwillen scheuche ich die Wolken; ich würde bleiben, was ich bin; aber sie verbergen sich mir selbst hinter diesen Wolken, und ich kann sie nicht erfreuen! –

Freundin, was habe ich's schwer, oh, – sehr schwer! Aber mein guter Engel winkt mir denn doch auch. Er tröstet mich und giebt mir Ruhe, wenn ich ihrer am höchsten bedarf. So will ich denn ihm danken, und mir sagen: »So musste es eben sein, damit es – so sein konnte! –« Die Palme kennt nur, wer den Dornenkranz trug: und sie ruht so weich, so schwebend in der Hand, und wölbt sich über dem Haupte wie der duftigste Engelflügel, der uns Kühlung und höchstes Erquicken zufächelt! – –

Unsre Briefe kreuzten sich: der Ihrige kam, als ich den meinigen eben auf die Post gegeben! –

Ich bin seit länger ganz allein. Karl Ritter verliess mich, um seiner kranken Mutter zum Geburtstag zu gratuliren. Als er ging, war ich eben in der Genesung von einer Krankheit begriffen, die mich in meiner Arbeit – kaum begonnen – unterbrochen; ich versprach ihm, wenn er wiederkäme, wieder ein gross Stück vom Tristan fertig zu haben. Aber aufs Neue musst ich mich dazu bequemen, das Zimmer zu hüten –, und, in Folge einer äussern Verletzung am Bein, diesmal sogar im Stuhl festgebannt, auf dem ich mich in's Bett tragen lassen musste. Das hat so ungefähr bis jetzt gedauert; seit einigen Tagen fahre ich erst wieder in der Gondel aus. Ich theile Ihnen das mit, um an diese Leidensgeschichte die Mittheilung zu knüpfen, dass ich nicht einen Augenblick die Geduld verloren habe, sondern, obwohl ich die Arbeit wieder aufgeben musste, stets den Geist frei und heiter erhielt. Ich sah in dieser Zeit keinen Menschen, als meinen Arzt, Louisa – meine Donna di servente, die mich sehr gut pflegte und verband, und Pietro, der viel heizen musste, mir zu essen holte, und früh und Abends, mit Hülfe eines Gondoliers, mich auf dem Stuhl aus dem Bett und in das Bett trug: was ich immer den »Traghetto« nannte, und wozu ich immer mit dem in Venedig üblichen »Poppeh« aufrief. Louisa und Pietro waren immer verwundert und erfreut, mich guter Laune anzutreffen; besonders gefiel ihnen, als ich ihnen begreiflich machte, warum ich mich so schlecht mit ihnen unterhalten könnte, nämlich, weil sie den venezianischen Dialekt hätten, während ich nur reines Toskanisch spräche und verstände. –

Einmal besuchte mich ein gutmüthiger und recht gebildeter intelligenter Mensch, ein Fürst Dolgorucki;Glasenapp II, 2, 195; vgl. auch oben S. 80/1. es war mir recht, als er kam, aber noch lieber war mir's, als er wieder ging. Ich fühle mich so zufrieden, wenn ich nicht unterhalten und zerstreut werde. – Viel Leetüre hatte ich aber auch nicht; ich lese auch in solchen Lagen, jedoch wenig. Doch liess ich mir W. v. Humboldt's Briefe kommen; die haben mich nicht sonderlich befriedigt, ja, es wurde mir schwer, viel davon zu lesen. Das Beste daraus kannte ich schon im Auszug: vier Zeilen davon waren mir lieber als Alles Uebrige, Breite und Unklare. Ob Sie wohl die vier Zeilen errathen? –

Mehr interessire ich mich für Schiller: mit diesem beschäftige ich mich jetzt ungemein gern: Göthe hatte es schwer, sich neben dieser ungemein sympathischen Natur zu erhalten. Wie hier Alles nur Erkenntniss-Eifer ist! Man glaubt, dieser Mensch habe gar nicht existirt, sondern immer nur nach Geistes Licht und Wärme ausgeschaut. Seine leidende Gesundheit stand ihm scheinbar hier gar nicht im Wege: zur Zeit der Reife scheint er doch auch von bewältigenden moralischen Leiden ganz frei gewesen zu sein. Es scheint da Alles erträglich mit ihm gestanden zu haben. Und dann gab es für ihn so viel zu wissen, was damals, wo Kant noch so Wichtiges im Unklaren gelassen hatte, schwierig zu erwerben war, namentlich für den Dichter, der sich auch im Begriffe recht klar werden will. Eines fehlt diesen Allen: die Musik! Aber sie hatten sie eben im Bedürfniss, in der Ahnung. Deutlich drückt sich das oft aus, namentlich in der höchst glücklichen Substituirung des Gegensatzes von »plastischer« und »musikalischer« Poesie, für den von »epischer« und »lyrischer«. Mit der Musik ist nun aber eine Allmacht gewonnen, gegen welche die Dichter jener so wundervoll suchenden, strebsamen Entwickelungsepoche mit ihren Arbeiten sich doch nur wie Skizzenzeichner verhielten. Desshalb gehören sie mir aber so innig an: sie sind mein leibhaftiges Erbstück. Aber glücklich waren sie – glücklicher ohne die Musik! Der Begriff giebt kein Leiden; aber in der Musik wird aller Begriff Gefühl; das zehrt und brennt, bis es zur hellen Flamme kommt, und das neue wunderbare Licht auflachen kann! –

Dann trieb ich viel Philosophie, und bin darin auf grosse, meinen Freund SchopenhauerGlasenapp II, 2, 197; vgl. oben S. 79 f. ergänzende und berichtigende Resultate gelangt. Doch ruminire ich so etwas lieber im Kopfe als dass ich es aufschriebe. Dagegen stellen sich dichterische Entwürfe wieder sehr lebhaft vor mich hin. Der Parzival hat mich viel beschäftigt: namentlich geht mir eine eigenthümliche Schöpfung, ein wunderbar weltdämonisches Weib (die Gralsbotin) immer lebendiger und fesselnder auf. Wenn ich diese Dichtung noch einmal zu Stande bringe, müsste ich damit etwas sehr Originelles liefern. Ich begreife nur gar nicht, wie lange ich noch leben soll, wenn ich all' meine Pläne noch einmal ausführen soll. Wenn ich recht am Leben hinge, könnte ich mir durch diese vielen Projecte noch ein recht langes Dasein gewährleistet glauben. Doch trifft's nicht nothwendig ein. – Humboldt erzählt, dass Kant noch eine Masse Ideen ausführlich zu bearbeiten vorhatte, woran ihn im hohen Alter aber der Tod sehr natürlich verhinderte. –

Schon gegen die Vollendung des Tristan merke ich diesmal einen ganz fatalistischen Widerstand; das kann mich aber doch nicht dazu bringen, ihn flüchtiger zu arbeiten. Im Gegentheil componire ich so daran, als ob ich mein Lebenlang an nichts Andrem mehr arbeiten wollte. Dafür wird er aber auch schöner, als was ich je gemacht; die kleinste Phrase hat für mich die Bedeutung eines ganzen Aktes, mit solcher Sorgfalt führ' ich sie aus. Und da ich gerade vom Tristan spreche, so muss ich Ihnen doch sagen, dass es mir Freude macht, noch zur rechten Zeit ein erstes Exemplar des neugedruckten Gedichtes erhalten zu haben, um es Ihnen zum Angebinde zu senden. –

Da ich mich immer sehr schlecht befinde, ohne grade krank zu sein, trieb es mich letzthin zu einem Ausflug auf's Land. Ich wollte nach Vicenza, der abgehende Zug ging aber in andrer Richtung, und so kam ich nach Treviso. Nach einer kläglichen Nacht machte ich mich bei Sonnenschein zu einer tüchtigen Fusswanderung von ziemlich drei deutschen Meilen auf. Ich ging aus dem Thor grade auf die Alpen los, die schön und stolz ihre Kette mir entgegensperrten. Da dachte ich viel. Müde kam ich Abends in die Lagunenstadt zurück, und frug mich über den Haupteindruck dieses Ausflugs auf dem festen Lande aus. Ich war so melancholisch, nur den Staub und die gemarterten elenden Pferde, die ich wieder angetroffen, in der Erinnerung zu bewahren. Traurig blickte ich auf meinen stummen Canal hinab. »Staub« und »gemarterte arme, elende Pferde« – nun, die hast Du hier nicht? – aber sie sind auf der Welt. – Da löschte ich meine Lampe aus, bat meinen Engel um seinen Segen, – und da verlosch auch mir das Licht, – Staub und Qual verwehte. –

Andren Tags ging's wieder an die Arbeit. –

Und dann hatte ich Briefe zu schreiben. Aber das habe ich schon erzählt. Nun will ich morgen wieder arbeiten. Aber dieser Brief musste erst geschrieben werden. Durch ihn gleite ich hinüber, dahin in die Nacht, wo das Licht erlöscht, Staub und Qual verschwindet. –

Haben Sie Dank, Kind! – für dieses Geleite. Sollte es mir wer nicht gönnen? –

Und tausend Grüsse! Tausend gute, schöne Grüsse!

R. W.


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