Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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100.

Paris, 28. Januar 1860.

Endlich, mein theures Kind, muss ich mich entschliessen, Euch flüchtig und aufgeregt von mir Nachricht zu geben. Mitten im Drangsal war es meine Labung, zu denken, wie ich mich sammeln würde, um recht ruhig und gemächlich Euch von allem Ausgestandenen zu berichten. Aber noch bin ich nicht zu Ende, und werde es nun auch nie wieder sein. Deshalb kein fruchtloses Zögern mehr, und dafür einige Zeilen der Gewissheit.

Alles Erlebte will nichts sagen, gegen eine Wahrnehmung, eine Entdeckung, die ich in der ersten Orchesterprobe zu meinem Conzerte machte, weil sie über den ganzen Rest meines Lebens entschieden hat, und ihre Folgen mich nun tyrannisch beherrschen werden. Ich liess zum ersten Mal das Vorspiel zu Tristan spielen; und – nun fiel mir's wie Schuppen von den Augen, in welche unabsehbare Entfernung ich während der letzten 8 Jahre von der Welt gerathen bin. Dieses kleine Vorspiel war den Musikern so unbegreiflich neu, dass ich geradesweges von Note zu Note meine Leute wie zur Entdeckung von Edelsteinen im Schachte führen musste.

Bülow, der zugegen war, gestand mir, dass die in Deutschland versuchten Aufführungen dieses Stückes nur auf Treu' und Glauben vom Publikum seien hingenommen worden, an sich aber gänzlich unverständlich geblieben wären. Es gelang mir, diess Vorspiel dem Orchester und dem Publikum zum Verständniss zu bringen, ja – man versichert mich, es habe den tiefsten Eindruck hervorgebracht: aber, wie ich diess zu Stande gebracht habe, danach fragt mich nicht! Genug, dass es nun hell und klar vor mir steht, dass ich an weiteres Schaffen nicht denken darf, ehe ich nicht die furchtbare Kluft hinter mir ausgefüllt habe. Ich muss meine Werke erst aufführen. Und Was heisst das? –

Kind, das heisst mich in einen Pfuhl des Leidens und der Aufopferungen stürzen, in dem ich wohl zu Grunde werde gehen müssen. Alles, Alles kann möglich werden; aber nur dadurch, dass ich zu Allem reiche Zeit und Müsse habe; Schritt vor Schritt mit Sängern und Musikern vorwärts gehen kann; nichts zu übereilen habe, nirgends aus Mangel an Zeit etwas abbrechen muss, und stets Alles zu meiner Bereitschaft habe. Und was heisst das? Die Erfahrungen dieses Conzertes mit der knapp zugemessenen Zeit, haben es mir gesagt: ich muss reich sein; ich muss rücksichtslos tausende und tausende aufopfern können, um mir Raum, Zeit und Bereitwilligkeit zu erkaufen. Da ich nicht reich, nun so muss ich mich reich zu machen suchen: ich muss meine älteren Opern hier französisch geben lassen, um durch die daraus erwachsenden bedeutenden Einnahmen mich in den Stand zu setzen, meine neuen Werke der Welt zu erschliessen. – So steht es vor mir: ich habe keine andere Wahl! Und somit – auf Tod und Untergehen! Das ist noch meine Aufgabe, und dafür erhielt mich der Dämon noch am Leben! Thorheit, wollte ich noch an etwas Weiteres denken! Ich sehe nichts wie diesen schrecklichen Krämpfen der Weltgeburt meiner letzten Werke entgegen. –

O, bleiben Sie in Rom! Wie glücklich bin ich, Sie so aus der Welt zu wissen! Schauen Sie, betrachten Sie, sinnen Sie schön und lieblich! Sie thun es für mich, und es wird mein Labsal sein, diese tiefen innigen Bilder von Ihnen mir zugeführt zu erhalten! Das wird Kühlung und Erquickung sein dem vor Fieber Schauernden! Jetzt und so – sind Sie mein letzter Trost! –

Und noch zwei Worte über die äusseren Vorgänge. Nach unerhörtester Qual, Noth und Bemühung gelangte ich vorigen Mittwoch zu meiner ersten Conzertaufführung.Glasenapp II, 2, 239. Der Abend war nun wohl ein Fest, ich kann's nicht anders sagen. Das Orchester war bereits zu hellem Enthusiasmus begeistert und hing an meinem Auge, meinem Winke.

Ich wurde von ihm und vom Publikum mit unendlichem Jubel empfangen, und Glanz, Staunen, Hingerissenheit, trug jedes meiner Musikstücke. Das Aufsehen ist ganz ungeheuer, wunderbare Erfahrungen, Bekehrungen, Feuilletonisten (Patrie) die zu mir stürzten, um mir die Hand zu küssen. – Ich war zum Tode erschöpft. An diesem Abende erhielt ich meine letzte Leidensweihe: ich muss, muss vorwärts, – das war eben noch meine letzte Aufgabe. Die Blume soll sich der Welt erschliessen und vergehen: bewahren Sie die keusche Knospe! –

Viel innige Grüsse an Otto! Sagen Sie ihm, dass ich ihn liebe! Leben Sie wohl, mein theures, edles Kind! Leben Sie sanft und innig dahin, und stärken Sie mich dadurch! Mit treuer Liebe

Ihr
R. W.


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