Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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124.

Paris, 19 Quai Voltaire
21. Dez. 1861.

Glaubten Sie wohl, ich würde Ihnen nicht zum Geburtstag gratuliren? Das wussten Sie wohl, dass Weihnacht um einen Tag voraus gerückt ist! –

Glück und Gedeihen von ganzem Herzen! –

Ich habe mich wieder in die Arme meiner alten Geliebten geworfen: – die Arbeit hat mich wieder, und zu ihr rufe ich nun: »gieb Vergessen, dass ich lebe!« –

Vor drei Wochen reiste ich von Wien ab, sofort nach Paris. Niemand wollte mich. Vor einem Jahr kann ich den Tristan nicht aufführen. Wie und wohin diess Jahr? Ich hatte keine schönen Tage. Metternich's Einladung blieb mir einzig treu. Nur war, in Folge des plötzlichen Todes der Schwiegermutter, unversehens ein Verwandter nach Paris gekommen, der das mir bestimmte Appartement in Beschlag hielt. Erst Anfang Januar kann ich einziehen. In Wien konnte ich nicht bleiben. Nirgends sonst war ich willkommen. So reiste ich schon Anfang Dezember nach Paris, und helfe mir bis Januar mit einem kleinen Zimmer am Quai Voltaire. Ich bin so weit, die Aufnahme in ein wohlgepflegtes Haus mit guter Bedienung und ohne nöthigen Aufwand für bequemen Lebensunterhalt, als ein mir bevorstehendes segenswerthes Glück anzusehen. Gewiss gönnen Sie mir's! –

Hier gebe ich mir die grösste Mühe, mich zu verläugnen. Gelingt mir's nicht ganz, so stelle ich mich doch wenigstens vor mir so, als wüsste man nichts von meiner Anwesenheit. Jetzt gelang mir's doch schon drei Tage hintereinander, mit Niemand sprechen zu müssen. (Das böse Sprechen!) Beim Restaurant sah ich Royer, den Director der grossen Oper; stellte mich aber, als bemerkte ich ihn nicht. Als ich ihn bald darauf wieder sah, hatte ich während dem die Anzeige einer von ihm erschienenen Uebersetzung verschollener Theaterstücke des Cervantes gelesen: plötzlich interessirte mich der Mensch. Nun war es drollig, dass ich auf ihn zuging, mich eine volle halbe Stunde mit ihm unterhielt, und dabei den Opern-Director so vollständig ignorirte, dass zwischen uns nur einzig von Cervantes die Rede war. Er schickte mir andren Tages sein Buch. Ueber alle Maassen rührte mich die Vorrede des Dichters. Welch tiefe Resignation! –

Ich muss oft laut auflachen, wenn ich von meinem Arbeitsplane auf den Blick auf Tullerien und Louvre mir gegenüber richten muss! Sie müssen nämlich wissen, dass ich mich jetzt eigentlich in Nürnberg herumtreibe, und dabei mit ziemlich eckigem, derbem Volk zu thun habe. Es blieb mir nichts andres übrig, als mich unter solche Gesellschaft zu machen. Die Rückreise von Venedig nach WienGlasenapp II, 2, 350. Der Meister hatte Wesendonks in Venedig auf einige Tage besucht, im November 1861. war recht lang: zwei volle, lange Nächte und einen Tag sass ich zwischen Einst und Jetzt hilflos eingeklemmt, und fuhr so recht in's Graue hinein. Eine neue Arbeit musste es sein, sonst – war's zu Ende! Leider werden meine Gesichtsfunktionen immer stumpfer: meinen Blick fesselt gar nichts, und alles Lokale, so wie Alles was dran haftet oder haften kann, und wären's die grössten Meisterbilder der Welt, zerstreut mich nicht, ist mir gleichgültig. Ich hab' das Auge nur noch, um Tag oder Nacht, hell oder düster, zu unterscheiden. Es ist wirklich ein Absterben gegen aussen und nach aussen: ich sehe nur noch innere Bilder, und die verlangen nur nach Klang.

Aber kein passionirtes Bild wollte mir auf jener grauen Reise mehr hell werden: es kam mir die Welt recht wie Spielware vor. Und das brachte mich denn wieder nach Nürnberg, wo ich im vergangenen Sommer einen Tag zugebracht hatte. Da ist viel Hübsches zu sehen.

Jetzt klang mir's nach, wie eine Ouvertüre zu den Meistersingern von Nürnberg. Als ich in meinem Wiener Gasthof wieder angekommen, arbeitete ich mit sonderbarer Hast den Plan schnell aus; es wurde mir ganz wohl, dabei zu bemerken, wie klar mein Gedächtniss geblieben, wie willig und ergiebig meine Phantasie im Erfinden war! Es war eben eine Rettung, wie eintretender Wahnsinn ja auch das Leben retten kann! Nun schloss ich links und rechts ab, schob den Jahresriegel vor Tristan, dankte schön für einige Einladungen zu Triumphen in verschiedenen Städten meines herrlichen deutschen Vaterlandes, und – gelangte dahin, wo ich bin, um »zu vergessen, dass ich lebe!« –

Ihre Heimreise über den heiligen Gotthardt wird auch nicht lieblichster Art gewesen sein! Doch war mir's lieb, Sie nicht an meiner Seite auf der Reise über Wien zu wissen: ich war für diesmal so engherzig geworden, mir zu gratuliren, keine Mitschuld an einem Uebelbehagen für Sie und Ihren Gemahl mir zumessen zu müssen. Auch kam Iphigenie am vermutheten Tage richtig nicht heraus. Dagegen beruhigte es mich, Sie bald auf dem grünen Hügel angelangt zu wissen, wo Sie nun wieder der Kinder sich erfreuen konnten.

Ihres Mannes Befinden thut mir sehr leid. Er ist auffallend Hypochonder. Ob die Züricher Zurückgezogenheit ihm vortheilhaft ist, muss doch bezweifelt werden. Man will bemerkt haben, dass er bei Zerstreuung in grossen Städten, bei viel Gesellschaft u. s. w. bei weitem weniger auf sich selbst achtet, und dann sich ganz gut befindet. Wohl ist er nicht gemacht, mit Erfolg sich mit sich selbst zu beschäftigen: Lectüre kann ihm nicht viel helfen; es fehlt ihm da zuviel von dem, was man in früherer Jugend sich gewinnen muss, und was später nicht nachzuholen ist. So geräth er in müssiges Grübeln und peinliche Zweifelhaftigkeit. Ich glaube, liebe Freundin, es ist wichtig, dass Sie hierfür mit der Zeit an eine Aenderung denken: denn ersichtlich ist es besonders demjenigen, der eine Zeitlang ferne von Ihnen war, dass es sich hier um Krankheiten handelt, die nicht nur im tiefen, sondern fast mehr noch im kleinen Leiden ihren Grund haben. –

Vielleicht lachten Sie über meine Besorgniss und meinen Rath? Ach! Wohl bin ich nicht eigentlich berufen dazu. – Wenn man aber darüber ist, sich selbst so zu helfen, wie ich es eben mit mir thue, wird man völlig übermüthig, und traut sich wohl zuviel zu, indem man auch andren helfen will: dieser Uebermuth ist aber wenigstens wohl gutmüthig. Zürnen Sie mir also darum nicht! –

Auch vergeben Sie mir jetzt meine Nürnberger Meistersinger! Sie werden einen ganz artigen Sinn bekommen, und schnell, wohl schon zu Anfang nächsten Winters über die deutschen Theater gehen, wo ich mich dann nicht viel um sie bekümmern werde.

Die Aufführung des Tristan bleibt mein Hauptaugenmerk: ist diese geglückt, dann habe ich nicht viel mehr auf dieser Welt zu thun, und gern lege ich mich dann zu Meister Cervantes schlafen. Dass ich den Tristan geschrieben, danke ich Ihnen aus tiefster Seele in alle Ewigkeit! –

Nun leben Sie wohl! Walten Sie ruhig fort, lernen und lehren Sie! Geduld haben Sie ja: die lernte nun auch ich! Tausend schöne Grüsse zum Geburtstag!

Ihr
R. W.


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