Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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Venedig – Mailand. 30. Sept. 1858 bis 25. März 1859.

Venedig,Urschrift fehlt. 30. Sept. 58.

An die Freundin Frau Eliza Wille.

Glauben Sie mir, liebe verehrte Freundin, ich muss mich recht zusammen halten, um eben auszuhalten! Fast jede Stunde habe ich Anlass, mir einmal zuzurufen: Straff! Straff! Sonst fällt Alles auseinander! – Was mir nun einzig übrig bleibt, ist Isolirung, vollständige Vereinsamung. Sie ist mein einziger Trost, meine einzige Rettung. Und doch ist sie so unnatürlich, namentlich mir auch, der sich so gern ganz und rückhaltlos mittheilt. Allein – unnatürlich ist nun einmal Alles an mir. Ich kenne nicht, was Familie, Verwandte – Kinder sind: meine Ehe war für mich nur eine Prüfung der Geduld und des Mitleids. – Mir ist kein Freund denklich, dem ich mich, ohne es zu bereuen, ganz mittheilen könnte; täglich erfahre ich mehr, wie eben ewig fein und grob ich missverstanden werde, und eine innere Stimme, der Ausdruck meines ächtesten Wesens, sagt mir, es sei besser, wenn ich schonungslos nach dieser Seite hin von jeder Illusion nicht nur mich, sondern auch meine Freunde befreite. –

Alle Welt ist eben nur praktisch; bei mir aber gewinnt das Ideale solche Realität, dass sie meine Wirklichkeit ausmacht, an der ich nichts gestört dulden kann. So muss ich denn nun endlich in meinem sechsundvierzigsten Jahre sehen, dass mein einziger Trost die Einsamkeit sein und ich nun ganz allein stehen muss. Es ist so, und ich kann mich nicht täuschen, das eben ist die Einsicht, die mir die Weichheit zurückdrängt; sowie ich dieser Einsicht zuwider handeln möchte, weiss ich, dass ich vollends verloren wäre: da würde Bitterkeit und Aerger Alles überfluthen. So heisst's denn eben, auszuhalten – schweigen! –

Ist endlich die Phantasie in vollem Spiele, dann geht's, und das geistige Schaffen entschädigt, so lange es ungestört vor sich geht. Aber aller Geist nährt sich doch am Ende aus dem Herzen: und wie öde steht es da um mich herum! –

Alles fremd, kalt umher! Keine Beruhigung, kein Blick, kein schmeichelnder Laut. Ich hab' geschworen, mir nicht einmal ein Hündchen anzuschaffen: es soll einmal nicht sein, dass ich das Traute mir nahe hätte.– Sie hat denn doch ihre Kinder! –

Ach, das ist aber kein Vorwurf! Nur eine Klage; und ich denke, sie nimmt mich gern, wie ich bin, und hört mich auch klagen. Ich hab' ja meine Kunst! Freilich, Freude macht mir die auch nicht, und nur Grauen kann mich überfallen, wenn ich von meiner Arbeit ab auf die Welt blicke, der sie doch angehören soll, und die sie nur in der widerlichsten Verstümmelung sich zu eigen machen kann! –

Nun, daran darf ich aber nicht denken, wie an so Vieles nicht: ich weiss es. Darum will ich's auch nicht, und desshalb rufe ich mir immer auch zu: – straff! straff! Es muss sein! Es muss gehen – und es wird gehen! –

Sie hilft mir ja so lieblich! Was war das wieder für ein himmlischer Brief, den Sie mir heute von ihr schickten! Das theure holde Wesen – möge es getröstet sein! Ihr Freund ist ihr treu, lebt nur von ihr aus – und hält darum aus! – Ja! es muss gehen, und – es wird gehen! – Ich bilde mir ein, dass Venedig mir dazu helfen wird und glaube, die Wahl war vortrefflich. Ich wollte eigentlich Wille etwas von meinem hiesigen Leben schreiben; doch Sie müssen auch das für sich annehmen: er hat mir schon das unerhörte Opfer eines Briefes einmal gespendet, in welchem er mir eben nur zu verstehen gab, welches Opfer es ihn koste; das war und machte sich sehr schalkhaft und artig, doch will ich ihn nicht wieder zu der Pein verleiten; am Liebsten unterhalten wir uns wieder einmal auch von Venedig auf dem Kanapée in seiner rothen Stube mit den schönen Antiken. Grüssen Sie ihn daraufhin Allerschönstens! –

Ein eigentliches Leben lebe ich hier noch nicht; davon kann erst die Rede sein, wenn ich wieder in der Arbeit bin: den Flügel erwarte ich aber noch! Somit genüge Ihnen die Beschreibung des Terrains, auf dem ich zu leben mir bestimmen musste. Schrieben Sie mir nicht, Sie kennten diese Gegend? Mein Palast liegt ungefähr auf der Hälfte Weges von der Piazzetta zum Rialto, nah am Knie, das hier der Canal macht, und das am schärfsten der Palast Foscari (jetzt Caserne) neben mir bildet; schräg gegenüber der Palast Grassi, den gegenwärtig Herr Sina sich restauriren lässt. Mein Wirth ist ein Oesterreicher, der mich, mit meinem berühmten Namen, enthusiastisch aufnahm, und sich in Allem ausserordentlich gefällig gegen mich erweist. (Er ist auch Grund davon, dass meine Ankunft dahier sogleich in die Zeitungen kam.) Sie haben gelesen, dass man mein Hiersein für einen politischen Schachzug ansah, um mich durch Oesterreich behutsam nach Deutschland durchzulügen. Selbst Freund LisztBriefwechsel zwischen Wagner und Liszt, II, 207/8. war dieser Meinung, warnte mich, rieth mir aber auch ab, auf die Erfolge meiner Opern in Italien, die ich doch jedenfalls im Sinn hätte, etwas zu geben: da sei doch nicht mein Terrain, und er wundere sich, dass ich das nicht einsehen wollte. Die Antwort darauf ward mir recht schwer! –

Auch nach Wien sollte ich schon kommen, das wissen Sie wohl auch, glaubten es aber doch nicht? –

Noch bin ich der einzige Gast (Miether) in meinem Palaste, und bewohne Räume, vor denen ich anfänglich erschrak. Viel Wohlfeileres fand ich jedoch nicht, bequemer gar nicht, und so zog ich in meinen grossen Saal ein, der grade noch einmal so gross ist, als der Wesendonk'sche, mit einem passablen Deckengemälde, herrlichem Mosaikfussboden und sicher prachtvollem Klang für den Erard. Das Steife, Ungemüthliche der Einrichtung gab ich mir sofort Mühe zu besiegen; die Zwischenthüren zwischen einem mächtigen Schlafzimmer und einem daran stossenden kleinen Cabinet mussten alsbald ausgehoben werden, und dafür kamen Portièren hin, aber von keinem so schönen Stoff als meine letzten im Asyl; vor der Hand muss es Baumwolle verrichten, die Theater-Decoration herzustellen. Die Farbe musste diesmal roth ausfallen, weil so das Uebrige bereits möblirt war; nur das Schlafzimmer ist grün. Ein immenser Flur giebt mir Raum zur Morgenpromenade; auf der einen Seite stösst er mit einem Balkon auf den Canal, mit der andren auf den Hof mit kleinem gutgepflasterten Garten. Da bringe ich denn meine Zeit zu bis gegen 5 Uhr Abends; meinen Thee des Morgens bereite ich mir selbst: ich habe zwei Tassen, von denen ich die eine mir hier kaufte, und aus der Ritter zu trinken bekommt, wenn ich ihn Abends mit mir nehme; aus der andren, die sehr gross und schön ist, trinke ich selbst. Auch ein recht Wassertrinkgeschirr habe ich, das ich mir nicht hier gekauft habe: das ist weiss mit goldenen Sternen, die ich aber noch nicht gezählt habe, vermuthlich werden's wohl mehr als sieben sein! –

Um 5 Uhr wird dem Gondolier gerufen, denn ich wohne so, dass, wer zu mir will, über's Wasser muss (was mir auch etwas angenehm abgesperrtes giebt)! Durch die engen Gässchen links und rechts aber (Sie wissen!) »sempre dritto!« nach dem Markusplatz zum Restaurant, wo ich in der Regel Ritter treffe. Von dort »sempre dritto« in die Gondel, gegen den Lido oder den Giardino publico zu, wo ich gewöhnlich meine kleine Promenade mache, und dann wieder in der Gondel zur Piazzetta zurückkehre, um da noch ein wenig auf und ab zu schlendern, im Café de la Rotunde mein Glas Eis zu nehmen, und dann mich zum Traghetto zu begeben, der mich über den melancholisch nächtlichen Canal in meinen Palast zurückbringt, wo mich um 8 Uhr die angezündete Lampe erwartet! – Der wunderbare Contrast, mit der stillen und melancholischen Erhabenheit meiner Wohnung und ihrer Lage, gegen den ewig heitren Glanz des Platzes und was damit zusammenhängt, das so angenehm indifferent lassende Menschengewoge, die ewig zankenden und lärmenden Gondoliere, endlich die stille Fahrt in der Abenddämmerung und während der hereinbrechenden Nacht, – verfehlt fast nie einen wohligen, schliesslich angenehm beruhigenden Eindruck auf mich zu machen. Und hieran habe ich mich bisher einzig noch gehalten; noch fühlte ich kein Bedürfniss, die Kunstschätze in Augenschein zu nehmen; ich behalte mir das für den Winter vor: jetzt bin ich froh, diesen angenehmen Auf- und Niedergang meines Tages noch mit gleicher Befriedigung geniessen zu können! – Den Mund öffne ich einzig gegen Ritter, der schweigsam genug ist, um mich nie zu stören; er ist ebenfalls allein, seine Frau ist zurückgeblieben. Am Traghetto verlässt er mich jeden Abend, und meine Wohnung betritt er nur höchst selten. – Es ist unmöglich, dass ich einen Ort gewählt haben könnte, der meinen jetzigen Bedürfnissen besser zusagte. An einem kleinen, unbedeutenden, an sich uninteressanten Orte, durchaus allein, hätte ein animal-soziales Bedürfniss mich doch am Ende irgend eine Gelegenheit zum Umgang ergreifen lassen müssen, und ein solcher, aus solchen Bedürfnissen entstehender und endlich sich consolidirender Umgang ist eben das, was Einem schliesslich zur Pein wird. Dagegen kann ich nirgends zurückgezogener leben, als grade hier; denn das interessante, theatralisch fesselnde Schauspiel, das sich mir hier täglich erneuert und den Contrast frisch erhält, lässt den Wunsch, eine bestimmte individuelle Rolle in diesem Schauspiel zu spielen, gar nicht aufkommen, weil ich fühle, dann sogleich den Reiz des Schauspiels, der sich mir nur als objectivem Beobachter bietet, verloren gehen zu sehen. So ist denn mein Leben in Venedig bis jetzt ein ganz treues Bild zu meinem ganzen Verhalten zur Welt überhaupt, wenigstens wie diess meiner Erkenntniss und meinem resignirten Bedürfnisse nach, sein soll und muss; wie habe ich jedesmal zu beklagen, wenn ich aus ihm herausschreite! –

Als man Abends auf dem Markusplatz, wo Sonntags die Militär-Musik sich hören lässt, Stücke aus Tannhäuser und Lohengrin spielte, war mir diess, bei allem Aerger über das schleppende Tempo, doch eigentlich, als ob es mich gar nichts anginge. Uebrigens kennt man mich schon überall; namentlich die oestreichischen Offiziere deuten mir diess mit oft sehr überraschend zarten Aufmerksamkeiten an: doch ist bekannt geworden, dass ich durchaus zurückgezogen bleiben will, und nachdem einige Visiten consequent abgewiesen worden sind, lässt man mich in Ruhe. Mit der Polizei stehe ich vortrefflich; zwar verlangte man nach einiger Zeit nochmals meinen Pass, so dass ich schon an beginnende Maassregeln dachte; bald aber ward er mir, mit feierlicher Adresse, und der Versicherung, dass meinem ungestörten Aufenthalt in Venedig durchaus kein Bedenken entgegenstehe, wieder zugesandt. Somit gewährt mir Oesterreich entschieden Asyl, was denn doch auch anerkennenswerth ist. –

Was meinem Leben nun noch von Innen heraus einen so eigenthümlichen, fast träumerischen Charakter giebt, ist die vollständige Zukunftslosigkeit desselben. Humboldt's und der FreundinEs sind gemeint W. v. Humboldts Briefe an eine Freundin, 1847. Vgl. oben S. 82. Empfindung ist ganz die meinige. Wenn ich Abends auf dem Wasser fahre, über die Meerfläche blicke, die spiegelhell und unbewegt sich am Horizont so an den Himmel anschliesst, dass durchaus kein Unterschied zu erkennen, die Abendröthe des Himmels mit dem Spiegelbild im Wasser sich vollständig vereinigt, so habe ich ganz treu im Bilde meine Gegenwart vor mir: was Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft, ist so wenig zu unterscheiden, wie dort Meer und Himmel. Doch zeigen sich dann Streifen; es sind die flachen Inseln, die da und dort Zeichnung geben; auch taucht ein ferner Schiffsmast am Horizont auf: der Abendstern blinkt, die hellen Sterne strahlen, dort am Himmel und hier im Meer: – was ist Vergangenheit, was Zukunft? Ich sehe nur Sterne und reine, rosige Klarheit, und zwischendurch gleitet mein Nachen, geräuschlos, mit sanftem Plätschern des Ruders. – Das mag dann wohl die Gegenwart sein. –

Grüssen Sie den theuren Engel viel tausendmal; und auch die sanfte Thräne, die mir rinnt, soll sie nicht verschmähen! Und geniessen Sie das Alles mit, durch die Kraft Ihrer edlen Freundschaft. Wir sind doch glücklich! –

Leben Sie wohl!
Ihr R.W.


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