Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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89.

Luzern, 24. August 59.

Aber Kind, was giebt Ihnen ein, in mir einen »Weisen sehen oder wünschen zu wollen? Ich bin ja das tollste Subject, das man sich vorstellen kann? Nach dem Maassstabe eines weisen Mannes gemessen, muss ich geradesweges verbrecherisch erscheinen, und zwar grade, weil ich so vieles und manches weiss, und namentlich auch weiss, dass Weisheit so wünschenswerth und vortrefflich ist. Aber das giebt mir ja wieder den Humor, der mir andrerseits über Abgründe hinweghilft, die der weiseste gar nicht einmal gewahr wird. Dafür bin ich eben Dichter, und – was viel schlimmer ist, – Musiker. Nun denken Sie meine Musik, die mit ihren feinen, feinen, geheimnissvoll-flüssigen Säften durch die subtilsten Poren der Empfindung bis auf das Mark des Lebens eindringt, um dort Alles zu überwältigen, was irgend wie Klugheit und selbstbesorgte Erhaltungskraft sich ausnimmt, Alles hinwegschwemmt, was zum Wahn der Persönlichkeit gehört, und nur den wunderbar erhabenen Seufzer des Ohnmachtsbekenntnisses übrig lässt –: wie soll ich ein weiser Mann sein, wenn ich nur in solch rasendem Wahnsinn ganz zu Hause bin?

Aber ich will Ihnen etwas sagen. Zum Delphischen Tempel wanderten aus aller Welt Enden Fürsten und Völker, um Aufschluss über sich zu erhalten. Die Priester waren die Weisen, die ihnen diese Aufschlüsse ertheilten, aber sie selbst gewannen sie erst von der Pythia, wenn diese auf dem Dreifuss der Begeisterung bis zum wildesten Krämpfe in Verzückung gerieth und mit Wunderstöhnen die Götteraussprüche verkündete, welche die weisen Priester eben nur in die verständliche Sprache der Welt zu übersetzen hatten. – Ich glaube, wer einmal auf dem Dreifusse sass, kann nicht wieder Priester werden: er stand dem Gott unmittelbar nahe. –

Uebrigens bedenken Sie auch, dass Dante seine selten und leise redenden weisen Männer nicht – im Paradiese antraf, sondern an einem bedenklichen Mittelorte zwischen Himmel und Hölle. Aber am Kreuze konnte der Erlöser dem armen Schächer zurufen: noch heute sollst Du mit mir im Paradiese sein. –

Sie sehen, mir kommen Sie nicht bei: ich bin von durchtriebener Schlauheit, und habe entsetzlich viel Mythologie im Kopfe. Gestehen Sie mir das zu, so gestehe auch ich Ihnen, dass Sie – Recht haben, und noch mehr: dass es mich gar keine Ueberwindung kostet, Ihnen Recht zu geben, weil ich ja selbst, sobald ich mich auf dem ertappe, was Sie mir so besorgt zu Gemüthe führen, so böse auf mich, und so unzufrieden mit mir bin, dass ich höchstens nur dagegen noch empfindlich bin, wenn meine Selbstvorwürfe in der Weise verschärft werden, als zweifle man, dass ich sie nicht bereits empfände. Und doch wieder, Sie liebes Kind, ist das schliesslich meine schönste Erquickung, wenn ich erfahre, dass alle diese meine inneren Vorgänge so zart und innig mitempfunden werden. – Seien Sie mit mir zufrieden? Sind Sie's? –

Bedenken Sie nur, wie selten Sie mich jetzt nur noch sehen, und wie schwer es ist, grade in diesen selteneren Epochen, eben das zu sein, was man sein kann. Das ist jetzt schwer, denn – – –

So ist denn auch der Herbst recht schnell gekommen: auf einen verdorbenen, rauhen Frühling eine kurze Sommergluth und nun –. Wie kurz werden schon die Tage! Das ist doch Alles recht traumartig. Vor einigen Tagen war auch schon die Luft so rauh: alle guten Engel schienen gewichen. Nun ist doch noch etwas Nachwärme eingetreten. Ich geniesse sie als Reconvalescent, der sich aber noch etwas schonen muss. Ich bin gränzenlos faul, was wohl – wie ich meinem jungen Freunde letzthin sagte – von der grossen Reife kommen muss, in der jetzt mein Talent steht. Ich habe Correcturen bekommen, und starre träge hinein. Möglich, dass es das catarrhalische Fieber so zurückgelassen hat, dem ich zuletzt erlag: noch wollen sich meine Nerven nicht recht erholen; vielleicht liegt's in der Luft. Vreneli sagt mir, dass im Hotel bereits 4 Personen am Nervenfieber erkrankt sind. Nun, dagegen wäre ich wohl sicher. –

Im Uebrigen habe ich mir mein kleines Zimmer ganz geschickt arrangirt, so dass Sie sich darüber wundern würden, wenn Sie hinein träten. Ich machte es sogar möglich, den Flügel zu placiren: der steht also wieder da. –

Uebrigens komme ich mir schon wieder etwas ehrlicher und respectabler vor: gestern hat man mir den visirten Pass zugeschickt. – Des Weiteren bleibt es dabei, dass ich keinen eigenen Schwindel, sondern nur sympathetischen habe. Das sah ich wieder auf dem Pilatus, wo ich ruhig in den tiefsten Abgrund zu meinen Füssen hinabblickte, plötzlich aber von einer ganz wahnsinnigen Unruhe erfasst wurde, als ich auf meinen Begleiter sah, der, wie ich, am Abgrunde ging. So bin ich auch weniger um mich besorgt, als um den, der von mir abhängt. Ich kann dagegen nie ohne wahren Schwindel daran denken, dass meine Fahrlässigkeit einst Schuld an dem Tode jenes liebenswürdigen, mir so rührend anhänglichen Papagei's war, der mir noch vor Ihrer Bekanntschaft in Zürich starb. –

Kinder! Kinder! Ich denke der liebe Gott soll es einst gnädig mit mir machen. – Bitten Sie auch Wesendonk, dass er mir nicht böse ist, und behalten Sie lieb

Ihren
R. W.


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