Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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97.

Paris, 29. Nov. 59.

Wie grosse Freude haben Sie mir wieder gemacht, Freundin! Glauben Sie, dürfte ich mich nur aus dem Spiegel erkennen, den die Welt und alle meine Freunde darin mir zeigen, ich müsste bald mit Abscheu mich von jedem Umschauen zurückwenden. Ich kann auch mit Niemand ganz offen und wahr sein: es bleiben überall Flecken und blinde Stellen, wo ich nicht weiss, wie ergänzen? Antworten nun Sie mir einmal, wie nobel komm' ich mir dann vor; Alles, und ich selbst dünkt mir dann edel: ich weiss mich geborgen. Kinder, dass wir Drei sind, ist doch etwas wunderbar Grosses! Es ist unvergleichlich, mein und Euer grösster Triumph! Wir stehen unbegreiflich hoch über der Menschheit, unbegreiflich hoch! Das Edelste musste einmal Wahrheit werden: und das Wahre ist so unbegeiflich, weil es so ganz für sich ist. Geniessen wir diess hohe Glück: es hat keinen Nutzen, und ist zu nichts da – nur genossen kann es werden, und nur von denen, die selbst es sich sind. –

Nun seien Sie schön willkommen auf französischem Boden: hier tritt Ihnen der Dichter der Nibelungen entgegen, und reicht Ihnen die Hand. Ich begrüsse Sie sehr freudig auf der Wanderung nach Italien; Sie gehen einer Wohlthat, die ich nicht geniessen soll, entgegen, und die ich Ihnen deshalb doppelt gönne. Geniessen Sie den milden Himmel, das poetische Land, das lebendige Vergangene für mich mit, und seien Sie so dadurch zwiefach erfreut. Wie unglaublich gern wäre ich bei Euch! –

Mir bleibt jetzt nichts übrig, als einen endlichen energischen Versuch zu machen, ein ewiges Lebenshinderniss für mich ein für allemal zu beseitigen. So verwüstet und verwirthschaftet meine Lebensverhältnisse sind, habe ich doch eingesehen, dass Vieles sich darin erträglich und annehmbar gestalten kann, wenn ich mich mit den nöthigen äusseren Mitteln versehen kann, um jeder Zeit über meine Lebensweise, mein Vorhaben, Thun und Lassen nach Bedürfniss und Gutdünken verfügen zu können, ohne immer und ewig in dem einen Punkte gehemmt zu sein, der nun einmal einzig heut' zu Tage Freiheit giebt, und dessen Erledigung von unsrem Thun und Lassen alles Bedenkliche abstreift. Ich habe das jetzt wieder stärker wie je – und eigentlich war es doch immer so – erfahren, dass ich jedes Misslingen, jede Enttäuschung, jedes Verschliessen aller Aussicht, Alles – Alles mit grosser, verächtlicher Gleichgültigkeit ertragen kann, jene von mir gemeinten Plagen mich aber wüthend ungeduldig machen. Alles verachten, durch nichts vom inneren Quelle abgelenkt zu werden, jeder Anerkennung, jedem Erfolge, selbst der Möglichkeit der Selbstaufführung meiner Werke entsagen können, aber zähneknirschend meine Füsse an dem Knüppel wund schlagen zu müssen, der meinem ruhigen abgeschiedenen Gange vom Schicksal zwischen die Beine geworfen wird, das – kann ich nun einmal nicht ändern, ich bin und bleibe in der äussersten Empfindlichkeit dagegen, und – da ich nun einmal so bin, und – so lange ich überhaupt aushalten soll – nichts an mir hierin ändern kann, so setze ich nun einmal, wie in äusserster Ungeduld, Alles daran, um mir diesen Knüppel ein für allemal aus dem «Weg zu räumen. – Glücklicherweise kann ich mir gerade jetzt weiss machen, es stimme vollständig zu meiner inneren Lage, mich eine Zeitlang ausschliesslich nach Aussen zu wenden. Wahrscheinlich lassen Sie sich nicht ganz dadurch täuschen, und wenn Sie annehmen sollten, ich könnte es unbedenklich vorziehen, in einer angenehmen Abgeschiedenheit, in trauter Umgebung, wie z. B. bei Euch, meine innere Sammlung zu pflegen, und – schliesslich gleichgültig gegen ihre äusseren Schicksale – immer wieder dem Schaffen neuer Werke mich hingeben, so lassen Sie sich gesagt sein, dass Sie ganz richtig annehmen, (doch das so ganz unter uns! versteht sich!) Aber, wie gesagt, ich glaube, es wird mir jetzt möglich werden, das Andre mir weiss zu machen; und dazu tragen sehr viel, ja fast entscheidend viel, meine neuesten Relationen mit meiner ganzen sogenannten deutschen Freundschaftswelt bei. Es ist wirklich unglaublich, wie es damit steht, so unglaublich, dass ich's Ihnen gern verschweige, weil Sie es am Ende eben nicht glauben würden. So bin ich z. B. überzeugt, dass Sie mich der Uebertreibung und falschen Auffassung zeihen würden, wenn ich Ihnen deutlich machen wollte, wie wirklich feindselig, und mindestens vollständig gewissenlos dieser Ed. Devrient an mir gehandelt hat: nur das sage ich Ihnen, dass ich lange darauf vorbereitet war, und schliesslich nicht mehr durch das letzte Innewerden überrascht wurde. Gern entschuldige ich ihn aber: jeder hat sein Steckenpferd, und das seinige ist ein wohlgeregeltes normales Theaterinstitut, ohne Ausschweifungen in das Gebiet, das nicht alltäglich betreten werden dürfte. In diesem Sinne war er instinctmässig stets gegen meine Werke, und nur die enthusiastische Forderung der jungen Grossherzogin trieb ihn – kopfschüttelnd und halb mürrisch – vorwärts damit. Jetzt hat er nun gesiegt. Er sagt offen: ich sei bis an's Unmögliche gelangt. – Ob das junge enthusiastische Frauenherz dem erfahrenen, besonnenen Manne – wenn Sie wollen, dem »weisen Manne« – nun nicht erschüttert und in sich gehend gegenüberstehen wird? Was meinen Sie? Der junge Grossherzog wird's gewiss. –

Sehen Sie, Kind, diess und Aehnliches ist es nun aber, was meine alte Kampflust wieder ein wenig aufreizt: thörig bin ich, aber – schon dass ich lebe, ist eine Thorheit; das müssen Sie zugeben. Mich könnte schon das Unmögliche reizen; und dass ich mich z. B. hier mit Paris einlasse, hat mir am meisten lange für unmöglich gegolten. Doch habe ich für das Unmögliche einen ganz besonderen Messer, und dieser zeigt bei mir nach Innen: ob ich es durchführe, werde ich einzig aus meiner Stimmung, aus meiner Neigung zur Ausdauer erfahren, und unmöglich wird mich daher dasjenige dünken, wozu ich endlich die Lust verliere. Damit kann es leicht gehen; der Ekel hat bei mir eine furchtbare Macht und ist, zeigt er sich einmal deutlich, unüberwindlich. Gegen diesen kämpfe ich daher nicht und ihm gehört das Urtheil über das mir Mögliche an. Ich spüre ihn oft, und er wirft mich dann auf elende Tage darnieder. Dann stillt ihn wieder dieses oder jenes verwundernde Entgegenkommen, Theilnahme, keimendes Verständniss, wo ich sie nie verhofft: dann webt sich Maja's Schleier wieder dicht, ein blitzgleicher Augenblick voller ausgestrahlter Wahrheit steht vor mir; Hindernisse reizen, Wagnisse befeuern – und – wir wollen sehen, wer auf dem Platze bleibt, der Ekel oder – die Streitlust? – Ich kann's noch nicht bestimmen. Wäre ich aber einer jener Glücklichen, denen das Schicksal Gold und Silber mitgab, als es ihm Stolz und Talent gab, so würde ich jetzt am allerliebsten auf 2 schöne Monate zu Ihnen nach Rom kommen. Das weiss ich. Nun geht Ihr Kinder hübsch allein: ich will sehen, wie ich mein Schicksal zwinge; dann komme ich auch einmal mit. Glück auf die Reise! Tausend schöne, innige Grüsse! –

R. W.


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