Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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62.

Venedig, 10. März 1859.

Meine liebe Myrrha!Tochter von Frau Wesendonk, geb. 7. August 1851 in Zürich, gest. 20. Juli 1888 als Freifrau von Bissing in München.

Das war ja ein ganz wunderschöner, wirklich geschriebener Schreibebrief, den Du mir geschrieben hast! Wer es nicht glauben will, der möge ihn selbst sehen! Mein Kind, so schön kann ich nicht schreiben; dazu bin ich schon viel zu alt! Wenn Du daher in meiner Antwort etwas nicht verstehen kannst, so bitte die Mama, wie sie Dir mit schönem Erfolge im Schreiben Unterricht ertheilt habe, möge sie Dir nun auch im Lesen beistehen. Zwar giebt es manches, was Du auch ohne die Mama wirst lesen können, das bezweifle ich keinen Augenblick; aber mit einem Briefe von mir wird es schon deshalb viel schwerer gehen, weil ich noch nie einer Myrrha das Schreiben gelehrt habe. So habe ich mich denn gewöhnt, ganz auf meine Weise zu schreiben, die Dir wohl etwas undeutlich vorkommen wird. Aber Mama soll helfen. –

Nun danke ich Dir recht sehr, meine liebe Myrrha, und es war recht schön von Dir, dass Du nicht gezweifelt hast, auch ich habe mit Euch um den lieben Guido geweint. Wenn Du ihm wieder Blumen schenkst, grüsse ihn auch von mir! Sehr gefreut hat es mich, von Dir zu erfahren, dass der Karl so schön wächst. Dass er nicht dasselbe Gesicht hat, wie der liebe Guido, möge Dich nicht abhalten, ihn dennoch ganz wieder für den Guido zu nehmen. Glaube mir, er ist auch ganz und gar der Guido wieder, nur – hat er eben ein andres Gesicht, Weil er nun ein andres Gesicht hat, wird er auch vielleicht einmal in der Welt die Sachen etwas anders ansehen, als sie Guido angesehen haben würde. Aber das macht auch den ganzen Unterschied aus, und im Grunde kommt darauf nicht so viel an, als man gewöhnlich glaubt, wenn auch mitunter dadurch etwas Verwirrung entsteht, die meistens daher kommt, dass die Menschen sich alle mit andren Gesichtern sehen, und deshalb glauben, sie wären auch alle etwas anderes, und jeder für sich wäre eigentlich der einzige Rechte. Indess geht das auch vorüber, und wenn's zur Hauptsache kommt, zum Weinen oder Lachen, da weint oder lacht Einer mit seinem Gesichte doch so gut wie der Andere, und wenn wir einmal todt sind, was doch endlich auch geschehen kann, da wollen wir nur alle froh sein, wenn wir jeder so ein Gesicht haben, wie Papa mir geschrieben hat, dass der liebe Guido es hatte. Somit siehe den Karl nur immer fest und treu für den Guido an; der wollte sein Gesichtchen nur früher so recht in die schöne Ruhe bringen, die die meisten Menschen erst nach sehr vielem Weinen und Lachen, und andren Gesichtskrämpfen sich aneignen können. Aber endlich bringt's doch jeder dahin, zumal wenn er recht gut und freundlich ist. Der Karl will nun erst noch recht weinen und lachen, das hat er für den Guido übernommen, und deshalb sieht sein Gesicht noch anders aus. Ich gönne ihm von Herzen, dass er recht damit lachen möge; denn das Weinen stellt sich schon ganz von selbst ein, und tüchtig lachen können hilft über manches hinweg. Das glaube Du mir! –

Nun überlege Du Dir das recht, meine liebe Myrrha; und da Du mich so schön einlädst, Dich einmal zu besuchen, so will ich wirklich bald einmal kommen, um mit Dir diese Dinge weiter zu besprechen. – Und grüsse auch Papa und Mama recht schön; an Mama, die immer so gut ist zu schreiben, was bei Euch vorgeht, gieb den beiliegenden Brief, und bitte sie recht schön, ruhig und heiter zu sein, wogegen Du ihr versprechen kannst, nun auch im Lesen recht fleissig sein zu wollen, damit Du bald meine garstigen Buchstaben ohne Hülfe lesen könnest. Dann bleiben wir Beide gehörig im Briefwechsel! –

Und nun leb' wohl, liebe Myrrha! Hab' nochmals Dank und grüsse den Karl auch noch recht schön von Deinem

Freunde und Onkel
Richard Wagner.


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