Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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123.

Wien, 28. Sept. 61
Kaiserin Elisabeth Weihburg Gasse.

O mein edles, herrliches Kind! –

Ich sollte fast nichts als diesen Ausruf heute niederschreiben. Es ist Alles so nichtig, was ich dem hinzu setzen kann! Die Musik macht mich nun einmal eigentlich ganz nur zum exclamativen Menschen, und das Ausrufungszeichen ist im Grunde die einzige mir genügende Interpunction, sobald ich meine Töne verlasse! Das ist auch der alte Enthusiasmus, ohne den ich nicht bestehen kann; und Leiden, Kummer, ja Verdruss, üble Laune nimmt bei mir diesen enthusiastischen Charakter an, – weshalb ich denn auch gewiss andren so viel Noth mache! –

Was man doch Alles in Zürich zu Stande bringt! Wien, Paris und London kann man durchstöbern, um so etwas photographisches zu finden, als da der Herr Keller zu Stande gebracht hat! Ach, Kind, was sind Sie schön! Das ist gar nicht zu sagen!! – Ja Gott! in diesem Herzen muss es königlich hergehen: der elendeste Bettler, der darin wohnt, muss bald sein Haupt in die Wolken ragen fühlen! – Auch die Geburtswehen der höchsten Geburt sind auf diese Wangen geschrieben, die einst so kindisch lächelten! – Ja! Nun wohnt Gott in dem Kinde! – Verneigt Euch tief!! – – –

Sie meinen, ich komme heute spät mit meinem Danke? – Wahrlich, ich komme eben erst heut' zu irgend etwas. Ich tauche eben erst nur einmal wieder auf aus allerhand Trübsal, von der die stolze Frau möglichst wenig wissen soll. Nun bin ich auch einmal wieder umgezogen: ein Bekannter, der mir – weil er mit seiner Familie abwesend war – seine Wohnung bisher zu Gebot gestellt, kommt in diesen Tagen zurück; und da mich Unglücklichen nun einmal das Loos einer anständigen Gastfreundschaft durchaus nicht treffen will (ich muss den liebenswürdigen preussischen Gesandten in Paris ausnehmen), so blieb mir nichts übrig, als mich wieder einmal in einen Gasthof einzunisten. Hier habe ich mich nun für einige Monate eingerichtet, und hier erst packte ich meinen kleinen fliegenden – Holländer – Hausstand aus. Da kam denn auch erst die grosse grüne Mappe wieder zum Vorschein. Die hatte ich seit Luzern verschlossen gehalten. Nun suchte ich den Schlüssel hervor, um den Schatz in Augenschein zu nehmen. Himmel, wie ward mir da! Zwei Photographien, die Geburtsstätten des Tristan: der grüne Hügel mit dem Asyl und der venetianische Palast. Und nun die Geburtsblätter mit ersten Skizzen, wunderlichen Embryonen, auch den Widmungsversen, mit denen ich dem Kind einmal die vollendeten Bleistiftskizzen des ersten Actes zusandte: wie freute ich mich dieser Verse! Sie sind so rein und treu!– Auch das Bleistiftblatt des Liedes fand ich, aus dem die Nachtszene entstanden. Weiss Gott! Mir gefiel diess Lied besser als die stolze Szene! Himmel, das ist schöner als Alles, was ich gemacht! Ich erbebe bis in den tiefsten Nerv, wenn ich's höre! – Und ein solch allgegenwärtiges Nachgefühl im Herzen tragen, ohne überselig zu sein!! Wie wäre diess möglich? – Ich schloss die Mappe schön wieder zu: aber den letzten Brief mit dem Bild öffnete ich wieder: – und da kam nun der Ausruf!! Verzeihung! Verzeihung – ich will nicht wieder rufen! –

Und am wenigsten sollte ich es jetzt, wo ich meine Zeilen an Sie nach Düsseldorf richte, dort, wohin Sie gingen, einer schwerleidenden Mutter beizustehen! – Wie tief betrübt mich der Gedanke, ihr von gar keinem Trost sein zu können! Ich danke ihr so Unsägliches, und vielleicht muss selbst mein Name vor der Kranken nicht ausgesprochen werden! Ich fürchte dies in höchster Bescheidenheit, das können Sie wohl glauben!! Sagen Sie ihr aber an dem Tage, wo Sie sie nach diesem Briefe zuerst wieder sehen, dass Sie heute aus doppeltem Herzen ihr Geduld, Besserung und Genesung wünschten!–

Nun sehe ich dem 20. October entgegen. Nicht wahr? – Ich denke an allerhand Gutes, das ich Euch hier bereiten will: den Holländer und den Lohengrin sollt Ihr alsbald und öfter hören, und auch zum Tristan ist nun Hoffnung da. Mein Sänger ist wieder im Besitz seiner Stimme, voll Hoffnung und Eifer. So soll es denn endlich nun ernst an das Studium gehen.

Nun seid gesegnet, meine Lieben!

Viele schöne Grüsse an Otto und die Kinder, die doch wohl mit sind? Alles Edle und Ewige der Königin!

R. W.


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