Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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80.

Luzern, 23. Juni 59.

Schönsten Dank, Freundin!

Ich bin im Zug, und habe mir vorgenommen, falls mich Gott nicht ganz verlässt, nicht eher zu Ihnen zu kommen, als bis ich Ihnen die rothe Mappe mit complettem Inhalt überreichen kann. So mein Wunsch. Ob er erfüllt werden kann, weiss ich nicht. Denn von was man bei solch heiklem Vorhaben leicht verstimmt werden kann, weiss ich zur Genüge, und ich glaube, meine jetzige gute Arbeitslaune habe ich nur dem verzweiflungsvollsten Missmuthe zu verdanken, der ihr unmittelbar voraus ging. Was ich Ihnen bei der Gelegenheit über Herwegh geschrieben habe, muss sehr confus gewesen sein: ich hatte eine Ahnung davon, als ich den Brief abgesandt, und las noch einmal den H.'schen Artikel durch, was mir zeigte, dass ich in meinem Briefe eigentlich wen anderes als H. gemeint hatte. Lassen wir das, und denken wir wieder an Shakespeare's »Kinnwackeln«. Diess, und das »Ohrenschmalz statt des Gehirnes« sind diese Witzworte, die mir bei Sh. so drastisch sind, und nur einer konnte sie so originell erfinden, dem die Hohlheit der Welt immer so gegenwärtig ist.

Doch lassen wir auch das, denn selbst hierbei kann die subjektive Stimmung unsrer Seits zu stark mitthätig sein. Die Hauptsache, die ich Ihnen sagen wollte, ist, dass ich mir einbilde, jetzt so in einem Sturme die Composition meines Actes beendigen zu können; gestern ging mir vollends alles wie im Gewitterlicht hell auf. Gewiss freuen Sie sich dieses Grundes für mein Zuhausebleiben, und wünschen mir Glück zu dem Muthe, Ihrer Einladung nicht zu folgen. Es ist auch etwas Schwelgerei-Absicht dabei: mir ist nämlich, als ob ich plötzlich unglaublich wohl sein müsste, sobald der Tristan fertig ist: da ich nun sehe, ich komme doch nicht anders zu Wohlgefühl, will ich mir's auf diese raffinirte Weise garantiren. Alles drängt dazu. Mit meiner Wohnung wird's immer schwieriger. Es stellen sich Klaviere um mich her ein, Fremde über Fremde, Achselzucken des Wirthes: ich biete bereits Summen über Summen, um mir noch die nöthige Ungestörtheit zu garantiren und sehe mich doch im sorglichen Geiste schon wieder als herumirrende Latona, die nirgends die Stätte fand, den Apollo zu gebären, bis ihr Zeus die Insel Delos aus dem Meere aufsteigen liess. (Beiläufig: die Fabeln haben das Gute, dass man nur in ihnen endlich noch zu etwas kommt; in der Wirklichkeit bleibt die Insel immer schön im Meer, – oder in Mariafeld – kurz irgendwo! Ja, mein Kind! Man macht mir's schwer, und ich hab's nicht leicht; dafür giebt's aber auch nur ein Wesen, dem ich gestatten kann, mir einmal den Tristan zu loben, und dieses Eine – hat es nicht nöthig. Niemand soll mir daher einmal »Bravo!« sagen. Und – Sie haben Recht, es ist doch ein würdigeres Leben in meiner Verbannung als dort; nur mit den 7–8 Jahren haben Sie Unrecht, denn es geht nun schon in das 11te. – Aber davon wollte ich ja auch nicht prahlen, sondern als drängende Gründe für meine Arbeit nur auch noch Härtels anführen, deren Schmollen mich gleichgültig gelassen haben würde, die mich aber jetzt durch ihre grosse Freude über die erste Manuscript-Sendung vom 3ten Act so gerührt haben; es war ihnen zugekommen, dass ich mich für lange wieder unterbrechen wollte. – Also – also! Wenn Sie mich zu sich kommen sehen, so ist's nur mit der rothen Mappe oder – in Verzweiflung. Wählen Sie! – Ich hoffe auf die rothe Mappe –: aber noch ein wenig Geduld muss ich haben; schnell geht's nicht. Wenn's nur geht!

Heute Morgen trieb sich der liebe Gott persönlich hier auf den Strassen herum. Es war Frohnleichnamsfest, die ganze Stadt machte Procession vor den leeren Häusern, angeführt von den Pfaffen, die sich dazu sogar goldene Schlafröcke angezogen hatten. Doch wirkte der Zug der Kapuzinermönche sehr ergreifend: mitten in diese unsäglich widerliche Flitterreligionskomödie auf ein Mal dieser ernst-melancholische Zug. Ein Glück, dass ich sie nicht zu nah' sah. Doch sind mir schon einmal ein paar einfältige, aber ehrwürdige Physionomien in den hiesigen Kapuzen begegnet. Auch das Crucifix fesselt mich stets. Gestern Abend, als die Schlauen am Wind schon wussten, dass wir heut' schön Wetter haben würden, mussten die Kinder in den Kirchen darum beten. So war auch dieser wundervolle, wolkenlose Morgen eigentlich nur eine Comödie. Ich liess mir ihn aber dennoch behagen, und wusste wohl, dass das Wetter eigentlich für mich gemacht worden war: ich weiss auch, wer's gemacht hat. Schönsten Dank! –

Sind Sie mir böse, dass ich nicht komme? Müssen Sie nicht vielmehr Luzern auch endlich noch einmal bei schönem Wetter sehen? Hierher zu kommen, ist Niemand verboten! –

Viele schöne Grüsse an Cousin Wesendonk, Bäs'chen und Vetterchen! Haben Sie mich Alle recht lieb, ich will auch recht fleissig sein! – Adio!

Ihr
R. W.

Bitte, sehen Sie doch einmal der Post gegenüber in der Kunsthandlung: da gab es vor Jahren von den grossen goldenen Federn; vielleicht liegt's noch da.


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