Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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104.

23. Mai 60. Paris.

Im Bett erbrach ich heut' früh Ihren letzten römischen Brief, und schaute, was er enthielt. Maurice kam wieder, um mir das Bad anzukündigen: er fand mich in Thränen gebadet, und zog sich schweigend zurück. –

Mein Kind, die Götter ehrten mich gestern mit dem schönsten Tage dieses Jahres. Nie war es noch vollkommen heiter und klar geworden. Zum ersten Mal grüsste mich gestern bei meinem frühen Morgenspatziergang ein ganz reiner Himmel und dazu ein erquickender Ostwind: alles grün und leuchtend. Ohne den mindesten Grund zum Erfreutsein über meine individuelle Lage, von heut' zu morgen in der schwankendsten Ungewissheit hinlebend, gezwungen wie ein Belagerter gegen fortgesetzte Angriffe gegen meine Ruhe täglich mich zu verteidigen, – war mir doch wohl und heiter. Die Götter liebten mich: das machte mich lächeln. Nichts begegnete mir, nichts trat mir grüssend entgegen, als der Himmel und der schöne Wind, die mir so lange ausgewichen. Das war aber genug, und schöne Bilder reihten sich vor meiner Seele. Gewiss musste es heut' überall schön sein, und – empfinge ich auch keine Grüsse, mancher würde wohl an mich denken und sich sagen: die Götter lieben ihn doch! Wie so kindisch ich noch bin, wie gern ich mir schmeicheln lasse: der Himmel und die Lüfte, die Sonne und das Maiengrün nahmen Ihnen diesmal die Sorge ab, das bange Sinnen mir von der Stirn zu scheuchen. Danken Sie ihnen ein wenig! –

Was ich sonst nur im erhabenen Affecte kannte, ward mir diessmal zu still klarem Triebe: mich durch eine, Andren zugewandte edle Regung zu erfreuen. Zu Haus fand ich die neueste Nummer des Journal des Débats: darin ein Artikel von Berlioz über Fidelio. Ich hatte seit meinen Conzerten Berlioz nicht wieder gesehen: er hatte sich seitdem zu immer grösseren Feindseligkeiten und hämisch versteckten Ausfällen verleiten lassen: ich musste den Unglücklichen um so mehr aufgeben, da alle Versuche im anderen Sinne von ihm eigentlich nur als Beleidigungen empfunden werden mussten. Nun war ich durch diesen Artikel über Fidelio sehr erfreut, und aller Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit eines gänzlichen Missverständnisses seiner Seits trotzend, schrieb ich ihm etwa Folgendes: »Soeben las ich Ihren Aufsatz über Fidelio. Seien Sie tausendmal dafür bedankt! Es ist für mich eine ganz besondere Freude, die reinen und edlen Accente des Ausdruckes einer Seele, einer Intelligenz zu vernehmen, welche die innigen Geheimnisse der Schöpfung eines andren Heros der Kunst vollkommen versteht und sich aneignet. Es giebt Augenblicke, wo mich das Innewerden eines solchen Actes der Würdigung fast mehr entzücken kann, als das gewürdigte Werk selbst, wohl weil hierdurch es sich deutlich bezeugt, dass eine ununterbrochene Kette grosse Geister zusammenfasst, welche einzig durch dieses Band davor geschützt sind, jemals in das Unbegriffensein zu verfallen.«Bayreuther Blätter 1900 S. 3/4, wo Wagner in einem Brief an Liszt dasselbe mitteilt.

Wie soll mich's freuen, wenn er das gut aufnimmt. Als ich nochmals den Artikel durchlas, bemerkte ich zwar, wie unendlich viel Berlioz selbst in dieser Würdigung Beethovens noch von mir entfernt steht; seinerseits noch viel zu viel Beachtung der äusserlichen Momente des Kunstwerkes, und demzufolge noch eine mir ganz unbegreifliche Aufmerksamkeit auf die Beifallsbezeugungen, womit dieses Kunstwerk aufgenommen wird. Immerhin aber sah ich, wie einsam selbst auf dieser Stufe Berlioz noch steht, und wie thörig er ist, sich der einzigen Erquickung in solcher Stellung durch rückhaltloses Erfassen des Verwandten zu berauben. Aber der Neid –: mein Gott!!

– Ich sann nun viel ruhig und hell vor mich hin. Auch an Liszt dachte ich. Von dem kenne ich doch nun keinen Zug, der mir ihn nicht eigentlich liebenswürdig darstellte: die Schatten seiner Natur liegen nicht in seinem Charakter, sondern hier und da einzig in seinem Intellect; er wird von dieser Seite her leicht beeinflusst, und verliert sich in Schwäche. Seit lange habe ich ihm nicht mehr geschrieben: selbst mein grosses Leid über den Verlust seines Sohnes, ist ihm nur durch Andere bezeugt worden. Ich kann einem so lieben Menschen nur intim schreiben: Geschäfte habe ich nicht mit ihm. Nun aber gewiss zu sein, unsre Innigkeiten immer vor ZweiVgl. Glasenapp II, 2, 230; Bayreuther Blätter 1900, 85 ff. eröffnet zu sehen, das ist doch nicht zu ertragen; es wird ja da Alles auf einmal Gaukelei und Absicht. So ist's hier aber: Liszt ist ein gänzlich geheimnissloser Mensch geworden, und nicht seine innige Einheit, sondern seine offenbar gemissbrauchte Schwäche haben ihn in eine unschöne Abhängigkeit gebracht. Ich habe ihm – oder, leider! vielmehr den Beiden – endlich traurig, aber bestimmt erklärt, ich könne ihm (oder ihnen!) nicht mehr schreiben. Der Arme opfert nun schweigend Alles, und leidet Alles: er glaubt nicht anders zu können. Aber er liebt mich immerfort, wie er mir immer ein edler, höchst theurer Mensch bleibt. Nun denken Sie sich, wie rührend sich dann und wann ein Gruss zu uns stiehlt: wir finden Mittel, im Vertrauen uns dann und wann die Hand zu drücken, wie ein durch die Welt getrenntes Liebespaar. So kam denn auch gestern der feurigste Glückwunsch zu meinem Geburtstage durch den Telegraphen an. Wie lächle ich da, und freue mich! –

So verging der Tag: ich verblieb in ungetrübter Laune, und genoss fast zum ersten Mal geistig das Glück und das Wohlgefühl des körperlich ganz Gesunden, der sich keines Grundes zu seinem Behagen bewusst ist, eben weil es aus einer harmonischen Uebereinstimmung seiner Lebenskräfte hervorgeht. Und Ihnen habe ich sogar nicht nöthig zu sagen, aus welchem Quelle dieses Gefühl mir quillt: das eben giebt mir diese Gesundheit. Aber das ist etwas wunderbar Köstliches, und noch fühle ich, dass nur selten ein schöner Tag mir diese ungestörte Harmonie noch geben kann. Aber am Abend leuchtete der Jupiter wundervoll strahlend auf mich zu: er steht jetzt in seinem vollsten Glanze. Der soll ja der Stern des Fünfzigers sein (nach unsres Schopenhauers launiger Deutung): noch habe ich drei Jahre bis dahin. Ich werde sie durchleben: wird mir der Jupiter dann treu und unwandelbar leuchten? O, es werden noch sternenlose Nächte kommen, ich kenne sie alle, die Bangen und Peinen, durch die ich zu steuern habe: und eine grässlichste Nacht steht vor mir. Werde ich dann den Stern wieder gewahren: wird Jupiter mir leuchten, wenn ich den Leitstern am nöthigsten habe? Das frug ich: und der wundervolle Abend antwortete mir mild und weich, und kühlte mir das Auge. –

Ein paar junge Deutsche, die ich mir ganz nach Zufall ausgesucht, kamen Abends. Sie liessen mir vor dem Fortgehen keine Ruhe: ich musste ihnen noch das Vorspiel zu Tristan spielen, auf welches das junge Volk nun einmal ganz versessen ist, besonders, wenn dann der neue Schluss kommt. Den Schluss musste ich noch ein paar Mal spielen: dann schickte ich sie fort und legte mich nieder. Nun erwache ich heut', und Ihr Brief wird mir an's Bett gebracht. Nun aber, Kind, nun kann ich nicht mehr beschreiben – und deshalb kein Wort über Eure Porträts! – Ihr werdet das meinige erhalten, so bald ich weiss, wann ich es nach Zürich dirigiren soll. Es ist das beste meiner Porträts. Besonders ist mir es dadurch merkwürdig, dass es unter sehr ungünstigen Umständen so gut gelungen ist, und namentlich so einen ruhigen unbefangenen Ausdruck der Physiognomie erhalten hat. Ich war sehr verdriesslich, und von den Brüsseler Musikern geplagt, ihnen mit meiner Photographie ein Andenken zu hinterlassen. Es regnete (Otto weiss, dass es in Brüssel immer regnete) und ich wollte nicht in das Atelier gehen. Endlich, spät am Tage, werde ich doch noch geholt, hatte keinen Parapluie, sollte Abends noch dirigiren, musste fünf Treppen steigen, und äusserte dem Künstler meine volle Entrüstung, unter solchen Umständen etwas Erträgliches zu Stande bringen zu wollen. Die Zuversicht, mit der mir der – (allerdings ausgezeichnete) Künstler begegnete, machte mich wirklich guter Laune, und mit der Erklärung: »nun das wäre wirklich die Möglichkeit, wenn Sie etwas zu Stande brächten«, nahm ich ganz verwundert meine Stellung, und dachte mir, »nun für die Brüsseler wird's am Ende wohl auch noch gut genug ausfallen!« Jetzt entsinne ich mich übrigens, doch noch inne geworden zu sein, wie ganz unglaublich schnell die Gehirnfunctionen mit den sie leitenden Stimmungen von Statten gehen, und das Fernste schnell mit dem Nächsten sich verbinden kann. Man hatte mich zuvor in Paris photographirt, und der Unmensch von Künstler hatte es für geeignet gehalten, mir, ohne dass ich dessen inne werden konnte, eine recht affectirte Stellung, mit nach der Seite hin verdrehtem Auge, zu geben: mir ist das daraus entstandene Porträt höchst zuwider, und ich erklärte, ich sähe darauf wie ein sentimentaler Marat aus. Dieses unglückliche ConterfeiDas Brüsseler Bild ist diesem Buche vorangestellt, das Pariser Bild findet man bei Chamberlain, Richard Wagner S. 73. wurde für die Illustration benutzt, und – noch grässlich verzerrt – macht es seitdem durch derlei illustrirte Blätter (jetzt auch in England) die Runde. Mein Widerwille dagegen bestimmte mich nun, bei der Brüsseler Operation, unwillkürlich für einen anderen, anständigeren Ausdruck zu sorgen, damit ich, recht unaffectirt, ein ruhiges, vernünftiges Ansehen gewinne: die Ironie dieses ganzen Vorganges gab mir denn mit Blitzesschnelle auch die rechte Stimmung: Alles verschwand mir, und ich sah ruhig über die Welt hinweg, als ginge sie mich nicht das Mindeste an: nur der Wunsch war vielleicht da, den Jupiter zu sehen. Vielleicht kommt es Ihnen vor, als hätte er mir wirklich ein wenig geschimmert.

Nun habe ich Ihnen meinen Geburtstag erzählt, und Alles, was damit zusammenhängt, erklärt. Sie haben gestern in der Fontäne geschöpft, und auch mir einen Heilsbecher geleert: oh, mein Kind! was Schönes haben Sie mir damit gewünscht! Glauben Sie, nichts Lieberes könnten mir die Götter erfüllen, als von Ihnen mir den Willkommen an jener Quelle trinken zu lassen, um durch sie die schönen Geheimnisse Rom's kennen zu lernen, denen ich schon ein so grosses Glück zu danken habe, da sie Ihnen so lieb und wohlthätig geworden sind. Nun! hoffen wir denn auf den Jupiter! –


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