Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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114.

Mardi gras [12. Februar 1861].

Der fette Dienstag soll mir endlich einmal wieder einen ruhigen Morgen gewähren, um Ihnen, Freundin, ein weniges von mir sagen zu können.

Wenn ich den Kopf mit nichts voll habe, als mit den hundert Details, die mein jetziges Vorhaben in sich fasst, hat es für mich gar keinen rechten Sinn, Ihnen von mir zu sprechen. Das war ja eben immer das Ausgezeichnete unsres Verkehrs, dass der eigentliche Inhalt des Thuns und Denkens in geläuterter Form uns unwillkürlich einzig als beachtungswürdig erschien, und wir gewissermassen vom eigentlichen Leben uns sofort emanzipirt fühlten, sobald wir nur zusammentrafen. Jage ich allen Plunder aus dem Kopf, um ihn vollkommen frei für Sie zu bekommen, so kann eben nur noch das Beste übrig bleiben, und von der Plage ist nicht mehr zu reden: dagegen sich dann eine dämmernde Melancholie um die Seele lagert, die uns alles Uebrige im gebührenden nichtigen Lichte zeigt; denn recht werth ist eigentlich für denjenigen nichts, der da fühlt, wie viel er immer zu opfern hat, wenn er dem Schein der Realität Bedeutung geben will. –

Was mich bei der vielen Plage, die mir die Kunst macht, tröstet, ist, dass sie Ihnen immer in heitrem Lichte erscheinen kann. Sie haben und lieben Gemälde, lesen, studiren, hören: Sie erfassen davon, was Ihnen werth und edel dünkt, unberührt von dem, was Sie unbeachtet lassen dürfen. Alle, auch Ihre letzten Nachrichten aus diesem Winter, stimmen darin überein, dass Ihnen das Glück eines ruhigen, sanften Geniessens gegönnt ist. Die Bedeutung dieses Genusses wird Ihnen jetzt tief aufgegangen sein: vielleicht ist er für Sie, was für mich meine Thätigkeit, vielleicht meine Noth ist. Doch bilde ich mir oft ein, dass auch ich zu solchem Geniessen fähig wäre, und dass nur meine Sendung mich davon abhält. Wenn ich beachte, was ich wieder aushalten kann, muss ich mich wohl verwundern, und den oft so sehnlichen Wunsch nach stiller abgeschiedener Ruhe für ganz unberechtigt halten. Und doch begleitet mich stets eine gewisse innere Ruhe: es ist die der tiefsten und vollsten Resignation. Eine durchaus ungehässige, aber desto sicherere Ungläubigkeit hat sich meiner bemächtigt: ich hoffe so gar nichts mehr, und namentlich sind alle meine Beziehungen zu den Menschen, die sich mir nähern, trotz aller zeitweiligen Lüftung meines oft sehr mittheilsamen Naturells, auf so leichten Grund errichtet, dass unmöglich je eine Erschütterung darin vorgehen kann.

Ob ich Jemand, der sich heute lebhaft mir nahte, Monate – viertel ja halbe Jahre lang nicht wieder sehe, bringt auch nicht ein Stäubchen von Trübung in jene Beziehungen. Ich bin nie unfreundlich, aber unglaublich gleichgültig. Die Gewohnheit hängt sich nirgends mir an.

Sie frugen mich nach meinem Frauenumgang? Ich habe manche Bekanntschaft gemacht, bin aber mit keiner auch nur in Gewohnheit getreten.

Mad. Ollivier ist sehr begabt und sogar von blendendem Naturell, ... ich denke daran, wie es kommt, dass wir uns so sehr selten sehen ... Aehnlich verhält es sich mit allen meinen Bekanntschaften: die Chancen des Gewinnes bei einem mehr gepflegten Umgange sind so ungleich, dass ich gern nach allen Seiten hin resignire, und – je nach Laune – ganz mit dem vorlieb nehme, was mir der Zufall in's Haus bringt. Da ist unter andren ... ein Frln. von Meysenbug,Vgl. M. v. Meysenbug, Genius und Welt, in der Zeitschrift Cosmopolis 1896 (Augustheft). Aus diesen Erinnerungen erhalten wir ein anschauliches Bild der Pariser Tannhäusertage. Vgl. auch Glasenapp II, 2, 235 ff. die gegenwärtig als Gouvernante russischer Kinder sich hier aufhält: sie ... hatte, als sie mir zugeführt wurde, das für sich, dass ich vor Zeiten in London sie ... in einem Anfall böser Laune einmal sehr schlecht behandelt habe. Diese Erinnerung rührte mich nun, und sie befindet ... sich jetzt wohler in meiner Nähe ...

Aus der sogenannten höheren Welt hat diesmal eine Dame, die ich bereits früher oberflächlich kannte, mir grössere Aufmerksamkeit abgewonnen, als eben zuvor: diess ist Gräfin Kalergis,Marie Kalergis-Nesselrode, nachmals Frau von Muchanoff, an die die »Aufklärungen über das Judentum in der Musik« (Ges. Schriften 8, 299f.) gerichtet sind. Vgl. Glasenapp II, 2, 265. Nichte des russischen Staatskanzlers Nesselrode, von der ich Ihnen wohl früher schon einmal erzählte ...

Vorigen Sommer war sie einige Zeit in Paris, suchte mich auf, und brachte es dahin, dass ich Klindworth aus London kommen liess, um mit ihr zu musiziren. Ich sang mit der Garzia-ViardotVgl. Bayreuther Blätter 1890 S. 176 in der »Einladung zur Aufführung des Tristan in München« 1865. den zweiten Act aus Tristan: ganz unter uns, nur Berlioz war mit dabei. Auch aus den Nibelungen wurde musizirt. Es war diess überhaupt das erste Mal, seit ich von Ihnen fort bin. – Was mich näher auf diese Frau aufmerksam machte, war die Wahrnehmung eines sonderbaren Ueberdrusses, einer Weltverachtung und eines Ekels, der mir gleichgültig hätte erscheinen können, wenn ich nicht zugleich ihre ganz offenbare tiefe Sehnsucht zur Musik und Poesie wahrgenommen hätte, die unter diesen Umständen mir von Bedeutung erschien. Wie auch ihr Talent hierfür bedeutend war, blieb endlich die Frau nicht ohne Interesse für mich. Auch war sie die erste mir begegnende Person, die mich – sehr spontan – durch eine wirklich grossartige Auffassung meiner Lage überraschte ...Als rein persönliche Huldigungsgabe erstattete Gräfin Kalergis aus eigenen Mitteln dem Meister die bei den Pariser Konzerten eingebüßte Summe. Dafür erhielt sie zum Danke die Orchesterskizzen des Tristan.

Frau v. Pourtales, preussische Gesandtin, scheint nicht ohne Tiefe zu sein und jedenfalls einen edlen Geschmack zu haben. –

Eine ganz kernige Natur habe ich in der Frau des Sächsischen Gesandten, Frau v. Seebach, entdeckt ... Ich war von einem gewissen zarten Feuer überrascht, das hier unter der Lava glimmt. Sie begriff nicht, wie Jemand die ungeheure Gluth meiner Conzeptionen übersehen könne, und hielt es für bedenklich, ihre junge Tochter mit in den Tannhäuser zu nehmen. Solch curiose Bekanntschaften macht man nun! Aber es sind eben – Bekanntschaften! ...

Ach! Kind –, lassen wir das Alles! Und glauben Sie mir, man schleppt sich eben nur so durch, mühsam, mühsam – und giebt sich kaum gern davon Rechenschaft, wie man's thut. Alles Wünschen ist eitel: thun und sich plagen ist das Einzige, worüber man sein Elend vergisst.

Ihr Entschluss, mein Kind, nicht zum Tannhäuser zu kommen, hatte mich – Sie können sich das wohl denken! – sehr betrübt, einfach – weil er mir die Freude raubte, Sie bald einmal wieder zu sehen. Die Gründe dafür, wie sie sich alle in Ihnen zusammen gestellt hatten, musste ich für Ihr Inneres gelten lassen, denn ich verfuhr ja immer am Sichersten, wenn ich mich Sie zu verstehen bemühte, und mein eigenes Gefühl durch Aneignung des Ihrigen bereicherte, ja oft berichtigte. Ich war traurig – und schwieg. –

Nun schrieb mir Otto kürzlich, Sie würden doch noch mitkommen, um dem Ereigniss beizuwohnen. Sehen Sie, das freute mich so schmerzlich innig! Ich wusste, dass Sie sich Unrecht thaten, und das machte mich so glücklich, dass ich kaum wagte, auf die Erfüllung der Verheissung zu hoffen. – Soeben nun schreibt mir Otto wieder – Sie würden nicht mitkommen. Nun beunruhigt mich das wieder unsäglich! Das denken Sie sich wohl? –

Lassen Sie sich vom Freunde, der nun eben viel wieder durchkämpfte, ein ruhiges Wort sagen: –

Diese erste Tannhäuserzeit wird viel über meinen Hals bringen: ich halte diese Zeit nicht für segenreich für das stille Bedürfniss unsrer Seelen. Viel Unnöthiges wird unabweislich sein, und Alles wird eine äusserliche, unerquickliche Richtung haben. Ich müsste es demnach für besser halten, auf Ihren Sinn einzugehen, und eine beruhigtere Zeit abzuwarten, um zum ersten Male ein volles Werk von mir mit so sorgfältiger Vorbereitung ausgeführt Ihnen vorzuführen, wie es diesmal mit diesem Tannhäuser hier der Fall ist: die Aufführung selbst muss und wird Ihnen dann, und bei ruhiger Stimmung, viel bieten, und wir werden es ruhig geniessen. –

Diess Alles sage ich, und gestehe es Ihnen zu. Soll ich Ihnen aber verschweigen, dass Alles und Jedes verschwindet vor dem Gedanken, Sie endlich – auch eine Stunde – einmal wieder sehen zu können? – Nein! mein Kind, das soll Ihnen nicht verschwiegen sein. Und – kämen Sie dennoch, auf die Gefahr mich und meine rechte Art wenig vor sich zu haben, so würde ich dennoch – ich Egoist! – die Stunde selig preisen, in der ich Ihnen einmal wieder in das Auge blicken könnte! –

Und nun genug! Sie wissen das Alles besser wie ich! – Augenblicklich habe ich etwas Ruhe, nämlich nicht die täglichen Proben. Durch mannigfaltige Nacharbeiten ist meine Zeit aber immer auf das Aeusserste in Anspruch genommen. Die Proben gehen mit einer unerhörten, mir oft unbegreiflichen Sorgfalt vor sich, und eine durchweg ungemeine Aufführung steht jedenfalls bevor. Niemann ist durchweg erhaben; er ist ein grosser Künstler der allerseltensten Art. Das Gelingen der übrigen Partien wird mehr ein künstliches Resultat sein: doch hoffe ich, dass es der äussersten Sorgfalt gelingen wird, die Fäden zu verbergen. –

Und nun tausend Herzensgrüsse! Danken Sie Otto schönstens für seine treue Ausdauer: wie er's hier auch treffen möge, er wird's ertragen, und gewiss einen bedeutenden Eindruck mit zurücknehmen.

Adieu, Freundin!

Die Vorstellung steht immer noch auf Freitag 22. fest. Doch möge sich Otto auch erst auf Montag 25. gefasst halten!


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