Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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133.

Biebrich, 9. Juni 1862.

Liebe Freundin!

Ich wollte dieser Tage immer schon der Myrrha schreiben, um ihr für den Antheil an dem schönen Kissen, den ich gewiss ihr zusprechen muss, zu danken. Auch sie muss sich aber an meine Undankbarkeit gewöhnen, die nicht im Undanke selbst liegt, sondern in der so oft unterlassenen Bezeugung desselben. Solche Bezeugungen sind angenehme, schmeichelnde Ergiessungen, mit denen man sich selbst am meisten erfreut und schmeichelt. Ich komme selten nur noch zur Ausführung so behaglicher Vorhaben. Bei mir geht Alles nur auf einen letzten, ernsten Abschluss hinaus. So kann ich auch auf die Blume, die auf diesem letzten Wege mir gestreut wird, nur noch mit Wehmuth blicken.

Das Gedicht, das Sie mir heut' schickten, ist sehr schön, ich glaube, wirklich meisterhaft.

Der Witz der Sage erscheint mir nur jetzt anders. Dem Neck wird dort die schmeichelnde Hoffnung gegeben: ich für mein Theil verstehe keine Hoffnung mehr, und für nichts bin ich unzugänglicher geworden, als für ihren Zuspruch. Dagegen verstehe ich jetzt die Seligkeit, die wir wirklich nicht erst zu erhoffen haben, sondern deren wir Herr sind. Vielleicht entsinnen Sie sich, wie ich Ihnen schon früher einmal mittheilte, im Laufe meines Lebens immer lebhafter inne geworden zu sein, dass die Kunst mir erst dann ungeahnteste Seligkeit bereiten würde, wenn alles und jedes Gut des Lebens mir entrissen, Alles, Alles verloren, und jede Möglichkeit des Hoffens abgeschnitten wäre. Ich entsinne mich noch, um mein dreissigstes Jahr herum, mich innerlich zweifelhaft befragt zu haben, ob ich denn wirklich das Zeug zu einer höchsten künstlerischen Individualität besässe: ich konnte in meinen Arbeiten immer noch Einfluss und Nachahmung verspüren, und wagte nur beklommen auf meine fernere Entwickelung, als durchaus originell Schaffender zu blicken. Damals, als ich Ihnen jene Mittheilung machte, in den Zeiten wunderbarer Leidenschaft, war mir eines Tages – auf einsamem Spatziergange – plötzlich die Möglichkeit des Verlustes eines Gutes erschienen, dessen möglicher Besitz mir von je undenklich hatte scheinen müssen. Da fühlte ich, dass die Zeit kommen würde, wo mir die Kunst eine ganz neue, ganz wunderbare Bedeutung erhalten müsste: die Zeit, wo keine Hoffnung mehr das Herz zu umstricken im Stande sein würde.

So erhält mir denn auch die alte Messias-Sage endlich ihre volle Bedeutung. Sie erwarteten ihn, den Befreier und Erlöser, aus dem Samen David's, ein König Israels: alles traf zu; ihm wurden Palmen gestreut; – nur die Wendung war überraschend, dass er ihnen sagte: »mein Reich ist nicht von dieser Welt!«Glasenapp, II, 2, 376 f. – So erstreben und ersehnen die Völker alle ihren Messias, der ihnen die Wünsche des Lebens erfüllen soll. Er kommt, und sagt ihnen: gebt das Wünschen selbst auf! – Das ist die letzte Lösung des grossen Wunsch-Räthsels, – die allerdings Ihr Freund Hütten, u. A., nicht verstand.

Ich wünsche nur noch arbeiten zu können: selbst auf die Aufführungen meiner Werke erstrecken sich jetzt meine Wünsche nicht mehr, und die Nöthigung hierzu acceptire ich als eine unerlässliche Calamität. Von Wien bin ich nun definitiv für Herbst zur Aufführung des Tristan eingeladen worden: diess stört mich jetzt. Doch peinigt es mich auch, in meiner Arbeit gedrängt zu werden: wie ich jetzt arbeite, kann ich nicht schnell arbeiten. Gesicherte Musse wäre mein Wünschenswerthestes: kann ich sie nicht erreichen, so muss ich wohl des Lebens Qual noch empfinden; doch steigert sie mir bereits den Genuss meines Schaffens. Ich wünschte ein Asyl in allervollkommenster Einsamkeit: das ist sehr schwer zu erreichen. –

Nehmen Sie meine Glückwünsche! Grüssen Sie und danken Sie Myrrha, so wie Ihrem Mann, dem ich für sein letztes Schreiben noch herzlichen Dank schulde!

Von Herzen der Ihrige

Richard Wagner.


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