Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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106 a.

[Paris] [Anfang August 1860]

Was für ein Dichter bin ich doch! Hilf Himmel, ich werde ganz anmassend! – Diese nie endende Uebersetzung des Tannhäuser hat mich schon so eingebildet gemacht: grade hier, wo Wort für Wort durchgegangen werden musste, kam ich eigentlich erst dahinter, wie concis und unabänderlich schon diese Dichtung ist. Ein Wort, ein Sinn fortgenommen, und meine Uebersetzer,Charles Nuitter; Glasenapp II, 2, 271. Die französische Tannhäuser-Übersetzung behandelt ein besonderer Aufsatz von W. Golther, Musik II, 3, 271 ff. wie ich, wir mussten gestehen, dass ein wesentlicher Moment geopfert werde. Ich glaubte anfangs an die Möglichkeit kleiner Aenderungen: wir mussten alle und jede als unmöglich aufgeben. Ich wurde ganz erstaunt, und fand dann im Vergleich, dass ich wirklich nur sehr wenig kenne, dem ich die gleiche Eigenschaft zusprechen kann. Kurz, ich musste mich vor mir selbst entschliessen anzuerkennen, dass gerade schon die Dichtung gar nicht besser hätte gemacht werden können. Was sagen Sie dazu? In der Musik kann ich eher verbessern. Hie und da gebe ich namentlich dem Orchester ausdrucksvollere und reichere Passagen. Nur die Scene mit Venus will ich ganz umarbeiten. Frau Venus habe ich steif erfunden; einige gute Anlagen, aber kein rechtes Leben. Hier habe ich eine ziemliche Reihe von Versen hinzugedichtet: die Göttin der Wonne wird selbst rührend, und die Qual Tannhäusers wird wirklich, so dass sein Anruf der Maria wie ein tiefer Angstschrei ihm aus der Seele bricht. So etwas konnte ich damals noch nicht machen. Für die musikalische Ausführung brauche ich noch sehr gute Laune, von der ich noch gar nicht weiss, wo sie herbekommen! –

Es soll bald eine Prosa-Uebersetzung der vier Stücke: Holländer, Tannhäuser, Lohengrin und Tristan, herausgegeben werden, zu der ich eine Vorrede»Zukunftsmusik«, Ges. Schriften 7, 121 ff. schreiben will, die meinen hiesigen Freunden etwas Aufschluss namentlich über das Formelle meiner Kunsttendenzen geben soll. Diese Uebersetzungen ging ich soeben durch, und war eben dabei wieder genöthigt, meine Dichtungen mit allem Detail mir genau wieder vorzuführen. Gestern ergriff mich der Lohengrin sehr, und ich kann nicht umhin, ihn für das allertragischeste Gedicht zu halten, weil die Versöhnung wirklich nur zu finden ist, wenn man einen ganz furchtbar weiten Blick auf die Welt wirft.

Nur die tiefsinnige Annahme der Seelenwanderung konnte mir den trostreichen Punkt zeigen, auf welchen endlich Alles zur gleichen Höhe der Erlösung zusammenläuft, nachdem die verschiedenen Lebensläufe, welche in der Zeit getrennt neben einander laufen, ausser der Zeit sich verständnissvoll berührt haben. Nach der schönen buddhistischen Annahme wird die fleckenlose Reinheit des Lohengrin einfach daraus erklärlich, dass er die Fortsetzung Parzifals – der die Reinheit sich erst erkämpfte – ist. Ebenso würde Elsa in ihrer Wiedergeburt bis zu Lohengrin hinanreichen. Somit erschien mir der Plan zu meinen »Siegern« als die abschliessende Fortsetzung von Lohengrin. Hier erreicht »Sawitri« (Elsa) den »Ananda« vollständig. So wäre alle furchtbare Tragik des Lebens nur in dem Auseinanderliegen in Zeit und Raum zu finden: da aber Zeit und Raum nur unsre Anschauungsweisen sind, ausserdem aber keine Realität haben, so müsste dem vollkommen Hellsehenden auch der höchste tragische Schmerz nur aus dem Irrthum des Individuums erklärt werden können: ich glaube, es ist so! Und in voller Wahrheit handelt es sich durchaus nur um das Reine und Edle, das an sich schmerzlos ist. –

Ich kann Ihnen nichts andres schreiben, als solches Geplaudre: das einzig lohnt der Mühe! Und mit Ihnen einzig plaudre ich solche Dinge gern! Da schwindet denn Zeit und Raum, die ja nichts wie Qual und Noth enthalten! Und – ach! wie selten bin ich zu solchem Plaudern aufgelegt! –

Der Tristan ist und bleibt mir ein Wunder! Wie ich so etwas habe machen können, wird mir immer unbegreiflicher: wie ich ihn wieder durchlas, musste ich Auge und Ohr weit aufreissen! Wie schrecklich werde ich für dieses Werk einmal büssen müssen, wenn ich es mir vollständig aufführen will: ganz deutlich sehe ich die unerhörtesten Leiden voraus; denn, verhehle ich es mir nicht, ich habe da Alles weit überschritten, was im Gebiet der Möglichkeit unsrer Leistungen liegt; wunderbar geniale Darsteller, die einzig der Aufgabe gewachsen wären, kommen nur unglaublich selten zur Welt. Und doch kann ich der Versuchung nicht widerstehen: wenn ich nur das Orchester höre!! –

Viel ist wieder der Parzival in mir wach gewesen; ich sehe immer mehr und heller darin; wenn Alles einmal ganz reif in mir ist, muss die Ausführung dieser Dichtung ein unerhörter Genuss für mich werden. Aber da können noch gute Jahre darüber hin gehen! Auch möchte ich's einmal bei der Dichtung allein bewenden lassen. Ich halte mir's fern, so lange ich kann, und beschäftige mich damit nur, wenn mir's mit aller Gewalt kommt! Dann lässt mich dieser wunderbare Zeugungsprozess aber mein ganzes Elend vergessen. – Soll ich davon plaudern? Sagte ich Ihnen schon einmal, dass die fabelhaft wilde Gralsbotin ein und dasselbe Wesen mit dem verführerischen Weibe des zweiten Actes sein soll? Seitdem mir diess aufgegangen, ist mir fast alles an diesem Stoffe klar geworden. Diess wunderbar grauenhafte Geschöpf, welches den Gralsrittern mit unermüdlichem Eifer sclavenhaft dient, die unerhörtesten Aufträge vollzieht, in einem Winkel liegt, und nur harrt, bis sie etwas Ungemeines, Mühvolles zu verrichten hat, – verschwindet zu Zeiten ganz, man weiss nicht wie und wohin? –

Dann plötzlich trifft man sie einmal wieder, furchtbar erschöpft, elend, bleich und grauenhaft: aber von Neuem unermüdlich, wie eine Hündin dem heiligen Grale dienend, vor dessen Rittern sie eine heimliche Verachtung blicken lässt: ihr Auge scheint immer den rechten zu suchen,– sie täuschte sich schon – fand ihn aber nicht. Aber was sie sucht, das weiss sie eben nicht: es ist nur Instinct. –

Als Parzival, der Dumme, in's Land kommt, kann sie den Blick nicht von ihm abwenden: wunderbares muss in ihr vorgehen; sie weiss es nicht, aber sie heftet sich an ihn. Ihm graust es – aber auch ihn zieht es an: er versteht nichts. (Hier heisst's – Dichter, schaffe!) Nur die Ausführung kann hier sprechen! – Doch lassen Sie sich andeuten, und hören Sie so zu, wie Brünnhilde dem Wotan zuhörte. – Dieses Weib ist in einer unsäglichen Unruhe und Erregung: der alte Knappe hat das früher an ihr bemerkt zu Zeiten, ehe sie kurz darauf verschwand. Diesmal ist ihr Zustand auf das höchste gespannt. Was geht in ihr vor? Hat sie Grauen vor einer abermaligen Flucht, möchte sie ihr enthoben sein? Hofft sie – ganz enden zu können? Was hofft sie von Parzival? Offenbar heftet sie einen unerhörten Anspruch an ihn? – Aber alles ist dunkel und finster: kein Wissen, nur Drang, Dämmern? – In einem Winkel gekauert wohnt sie der qualvollen Scene des Anfortas bei: sie blickt mit wunderbarem Forschen (sphinxartig) auf Parzival. Der – ist auch dumm, begreift nichts, staunt – schweigt. Er wird hinausgestossen. Die Gralsbotin sinkt kreischend zusammen; dann ist sie verschwunden. (Sie muss wieder wandern.)

Nun rathen Sie, wer das wunderbar zauberische Weib ist, die Parzifal in dem seltsamen Schlosse findet, wohin sein ritterlicher Muth ihn führt? Rathen Sie, was da vorgeht, und wie da Alles wird. Heute sage ich Ihnen nicht mehr! –


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