Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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63.

Mailand, 25. März 59.

So habe ich denn in Ihrem Namen, Freundin, Abschied genommen von meinem träumerischen Venedig. Wie eine neue Welt umfängt mich das Strassengeräusch, der Staub und die Trockenheit, und Venedig dünkt mich bereits wie ein Märchentraum. –

Sie werden einmal einen Traum hören, den ich dort zum Klingen gebracht habe! Wenige Nächte vor meiner Abreise hatte ich aber in Wahrheit noch einen wunderlieblichen Traum, so schön, dass ich ihn Ihnen noch mittheilen muss, wie wohl er viel zu schön war, um mitgetheilt werden zu können. Alles was ich davon beschreiben kann, war ungefähr folgendes. Eine Scene, die ich in Ihrem Garten (der aber nur auch wieder etwas anders war) vorgehen sah. Zwei Tauben kamen über die Berge her; die hatte ich abgeschickt, um Ihnen meine Ankunft zu melden. Es waren zwei Tauben: warum Zwei? Das weiss ich eben nicht. Sie flogen als Paar dicht neben einander. Wie Sie sie erblickten, schwebten Sie plötzlich in die Luft auf, ihnen entgegen, in der Hand schwangen Sie einen mächtigen buschigen Lorbeerkranz; mit dem fingen Sie das Taubenpaar, und zogen das flatternde nach sich, den Kranz mit den Gefangenen neckend hin und her schwenkend. Dazu fiel plötzlich, ungefähr wie beim Sonnendurchbruch nach dem Gewitter, ein so blendender Lichtglanz auf Sie, dass ich davon erwachte. – Nun mögen Sie sagen, was Sie wollen: das hat mir geträumt, aber nur noch unendlich schöner und anmuthiger, als man's beschreiben kann. Mein armer Kopf hätte so etwas nicht mit Absicht erfinden können! –

Sonst bin ich müde, und war zuletzt, vermuthlich vom jähen Frühjahr, sehr aufgeregt, mit starkem Herzklopfen und Blutwallen. Als ich Ihr Veilchen zur Hand nahm, um mir etwas zu wünschen, zitterte das arme zwischen meinen heissen Fingern. Da kam mir schnell der Wunsch: ruhig Blut! Ruhig Herz! Und nun vertraue ich dem Veilchen; es hat meinen Wunsch vernommen. – Heut' war ich in der Brera, und habe den heiligen Antonius von Ihnen gegrüsst. Es ist ein herrliches Bild. Nicht weit davon sah ich auch den heiligen Stephanus von Crespi; der schöne Märtyrer zwischen den beiden Kerlen, die ihn steinigen, Realismus und Idealismus so unmittelbar neben einander: tief bedeutungsvoll! Ich begreife nicht, wie nicht von je diese Sujets, bei dieser wundervollen Ausführung, als der erhabenste Gipfel der Kunst von Allen erkannt worden sind, während Viele, und selbst Göthe, sie als der Malerei widerstrebend auffassten. Es ist gewiss die höchste Glorie der neueren Kunst, dass sie, was die Philosophie nur verneinend, als Weltentsagung, auffassen kann, in so positiver, ergreifender Wahrheit, und zugleich so schön geben konnte, dass ich alle lebensfreudigen Gestalten und alle Venuse armselig und dürftig finde, gegen diese heilige Todeswonne der Märtyrer, wie van Dyck, Crespi, Raphael u.s.w. sie darstellen. Ich finde nichts höheres, tiefer befriedigendes und schöner verklärendes. –

Auch in und auf dem Marmordom stieg ich herum. Der ist doch bis zur Langweiligkeit grossartig! –

Und nun, bekomme ich keine Briefe mehr nach Venedig! Das Wetter begünstigt mich, und der Schnee des Gotthard soll mich erfrischen. Bald bin ich nicht mehr weit von Ihnen. Ich freue mich ungemein auf Luzern, und verspreche mir von allwöchentlichen Ritten auf den Rigi, Pilatus, Seelisberg u.s.w. grosse Erfrischung. Eine herrliche Wirthschaft will ich dort aufschlagen, und Sie müssen mich einmal mit der ganzen Wesenschaft von Wesenheim dort besuchen. Freund SchwanDer Erardflügel. ist schon unterwegs. –

Wenn Sie zur Erinnerung an unser HausconzertVom 31. März 1858; Glasenapp II, 2, 177. nächstens recht grosse Gesellschaft bei sich haben, gedenken Sie auch ein wenig meiner dabei! –

Segne Sie Antonio und Stefano, und alle Heiligen! Herzliche Grüsse an Wesendonk und meine kleine Correspondentin! Lebewohl kann ich nicht recht sagen, da ich Ihnen so nahe komme, dass ich fast nur: Gegrüsst! gut finden kann.

Morgen geht's auf die Alpen los! Adieu, Freundin!

Ihr
R. W.

»Luzern, posterestante.«


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