Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

106b.

10. August.

Ich schreibe Ihnen dieses zweite Blatt viele Tage später. Wie viele? – weiss ich nicht! »Schon zähl' ich nicht die Tage mehr!« Da ist Alles ein trübes, dämmeriges Einerlei: Sorgen und Widerwärtigkeiten in immer neuer Form, aber immer dieselben: gänzlich freudlos. Aber nicht stürmisch: mehr schleichend. Dagegen Ruhe, völlige Resignation, nichts – erwarten, nichts – hoffen, kaum – wünschen. Mit den Launen meines Schicksals durchaus vertraut: still meiner Sendung mich fügend. Geduldig. Selbst gegen das Wetter. Und diess Wetter belehrt mich: es ist, man kann's nicht ändern, man muss sich dran gewöhnen; so mit allen moralischen Constellationen, die uns umgeben. Da hilft kein Wüthen: – nur Ertragen! –

Aber leuchtet's dann und wann im Innern auf: wie sich alles von Aussen, unbefriedigt, dahin zurückdrängt, so lebt's dann immer wärmer und leuchtender innen. Das ist wohl die Tristanische Nacht! »Barg im Busen uns sich die Sonne, leuchten lachend Sterne der Wonne!« – Alles scheint mir so nichtig, was ich Ihnen von meinem Dasein melden könnte: das ist wohl auch am allerschwersten zu verstehen. So ein Lebenslauf, namentlich wie der meinige, muss den Zuschauer immer täuschen: er sieht mich in Thaten und Unternehmungen, die er für die meinigen hält, während sie mir im Grunde ganz fremd sind; wer gewahrt oft den Widerwillen, der mich dabei beseelt? Das ist Alles nur zu verstehen, wenn einmal die Summe und das Facit vorliegen wird: dann wird man finden müssen, dass dieses Ungewöhnliche eben nur so zu bewirken war, und man wird – lernen, um die Lehre doch ein andermal wieder nicht anwenden zu können. Das ist nun einmal so! Ich suche Andren wenig mehr zu erklären, sondern, wie ich eben nur das Bewusstsein ununterbrochenen Leidens habe, leide ich auch diess, und – weiss, dass es so sein muss. Aber! Der Tag der Aufklärung wird einmal kommen. Es gestaltet sich danach. Und manches wird die Welt erblicken, wovon sie sich nichts träumen liess. Das sage ich, ohne mir im mindesten zu verbergen, welchen Unmöglichkeiten ich immer noch entgegengehe. Deutschland liegt mir nun offen: und nun erst graut mir! Ich habe noch keine Ahnung davon, wo Tristan geboren werden soll. Ach! nun wird sich ja wohl erst das Elend zeigen! So zerstreut mich der Pariser Tannhäuser, giebt mir Zeit, über Deutschland nachzudenken, nichts zu übereilen, und – was ungemein wichtig! – er giebt mir vielleicht die Mittel, gegen die deutschen Aufführungen meiner neuen Werke mich so zu verhalten, wie es einzig nöthig ist, um mit Ruhe und Geduld das Beste dort vorbereiten zu können. Glückte diess – wie wunderbar wäre dann das Exempel aufgegangen, dessen Zahlen jetzt jeden verwirren, weil sie keiner reimen kann. Und doch war – ich gestehe es bescheidentlichst –, so gar keine wahre Berechnung meinerseits dabei! –

Doch lassen wir diesen Irrlichtertanz weltlichen Wollens und Wähnens! Wir sind für wenig anderes dabei, als mit dem Leiden! –

Aber vom Parzival kann ich Ihnen heute auch nicht weiter erzählen: da geht Alles noch sehr embryonisch und unaussprechlich her. Dafür will ich Ihnen eine alte Geschichte erzählen, die vor einiger Zeit ihrer Eigenthümlichkeit und tiefen Charakteristik wegen grossen Eindruck auf mich machte. In einem Band des Gr. v. Villemarqué »Les contes des anciens Bretons«, worin ich, nach dem Mabinogion, die ältesten Gestaltungen der später von französischen Dichtern behandelten Sagen z. B. von Artus, Parcival, Tristan u. s. w. fand, traf ich auch auf das Gedicht von Erec und Enide, welches ich nach einer mittelalterlichen deutschen BearbeitungDem Gedichte des Hartmann von Aue, der Kristian von Troyes folgte. in meiner ehemaligen Dresdener Bibliothek noch »besitze« – ohne es gelesen zuhaben. Der Hergang ist ungefähr folgender: Erec hat nach langen Kämpfen Enide als Weib heimgeführt; sein von Feinden befehdetes Land hat er nach allen Seiten hin gesichert, so unerhörte Wunder der Tapferkeit verrichtet, dass er eben sich und Allen als der unbesieglichste Held gelten muss, keinen Grund zu kämpfen mehr findet, und nun einzig der Liebe zu seinem schönen Weibe lebt, friedlich und wonnig. Das ängstigt sein Volk und seine Freunde: sie fürchten, er werde sich verweichlichen und seine Kraft verlieren, und bezüchtigen den zu starken Einfluss des liebenswürdigen Weibes. Diese selbst beginnt sich zu ängstigen, und wirft sich vor, der Grund dieser (wie Allen dünkt) bedenklichen Aenderung des Wesens Erec's zu sein. Eines Morgens erwacht sie sorgend, blickt wehmüthig auf den schlummernden Geliebten, und auf seine nackte Brust, aus der ihr die Tapferkeit gewichen scheint, fallen zwei heisse Thränen. Im Erwachen hört er noch ihre Worte: »Oh, muss ich Schuld sein, dass die Heldenkraft aus ihm wich?« Erstaunt, glaubt er – mit der ungemeinen Empfindlichkeit einer edlen Natur – ihrer Klage den Sinn unterlegen zu müssen, als begehre sie eines würdigeren Helden Weib zu sein – oder gar zu werden. Dieser sonderbar feine, eifersüchtige Wahn bestimmt ihn sofort. »Verhüte Gott, dass ich Dir wehren wolle, über Deines Gatten Leiche einem Würdigeren Deine Hand zu reichen!« – ruft er. Sofort lässt er für sich und Enide satteln, nimmt von Allen schnellen Abschied, reitet mit ihr allein in die Welt, und gebietet ihr, ihm stets voran zu reiten, und – möge sie hören und sehen was immer – nie sich nach ihm umzukehren und nie zu ihm zu sprechen, ausser wenn er sie frage. Im fernen Walde kommen drei Räuber auf sie zugeritten: sie kann nicht umhin Erec zu warnen. »Habe ich Dir nicht Schweigen geboten?« herrscht er sie an, bekämpft die Räuber, erlegt sie, giebt ihre Rosse, zusammengebunden, in Enide's Hut, und gebietet ihr, die Pferde vor sich treibend, weiter ihm voran zu ziehen. So geht es schweigend fort. Dasselbe Abenteuer, nur mit immer stärkerer Steigerung der Gefahr, der Angst Enide's, des Zornes Erec's und der tapferen Anstrengung des Siegers, wiederholt sich. Die furchtbarste Ermüdung Enide's von der langen Fahrt ohne Ruhe und Erquickung, darf sie sich kaum gestehen, denn wie viel schrecklicher muss die Erschöpfung Erec's sein, der die ungeheuersten Kämpfe rastlos zu bestehen hat. Endlich gebietet er einmal Halt: auf einer blumigen Aue bietet er ihr Erfrischung, ein Landmann bringt Nahrung, Wein u. s. w. Er geht bei Seite, während sie sich erquickt, und netzt an einem Quell nur seine glühenden Lippen. Er lässt sie schlummern, und wacht. Dann geht es wieder fort und weiter, zu den unerhörtesten, gefahrvollsten Abenteuern, immer in gleicher Weise.

Endlich, nach einem Kampfe mit einem entsetzlichen Riesen, kommt Erec zum Tode erschöpft zu Enide's Rastplatz zurück, und sinkt zusammen. Nun ihre Klagen! Da kommt ein Ritter mit reichem Gefolge – ein Feind Erec's. Dieser rafft sich auf zum abermaligen Kampf: für tot stürzt er hin. Der Graf, von Liebe zu Eniden entbrannt, führt sie mit der Leiche auf sein Schloss. Enide muss sich in den Festsaal gesellen: der Graf wirbt um sie: ausser sich vor Weh schreit sie auf! »Oh Erec, lebtest Du noch, wer dürfte es wagen, um mich zu werben.« Da springt die Thüre auf: Erec hat den Nothschrei vernommen, vom Tode erweckt, überblickt er den Vorgang, erschlägt den Feind, zieht Enide an seine Brust, bittet sie, nun künftig nicht mehr an ihm zu zweifeln, wenn er auch nicht immer drein schlüge, und zieht mit der Ueberseeligen heim! –

Was sagen Sie dazu? Sind das nicht ganze Menschen? So unglaublich zart, dass wir sie heute gar nicht mehr begreifen können; die furchtbarsten Kraftäusserungen aus übermässigem Feingefühl! –

Nun ist auch der 2. Bogen voll! – Leben Sie wohl! Grüssen Sie Wesendonk schön! Ich werde ihm bald schreiben! Tausend Dank und stete Liebe!

R. W.


 << zurück weiter >>