Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

112.

[Paris, Dez. 60.]

Nur wenige Zeilen, die Ihnen genug sagen werden, Freundin! –

Ich thue mein Aeusserstes, um – mit grösster Schonung – den täglichen Proben regelmässig beiwohnen zu können. Dieses fange ich folgendermaassen an: –

Um 10 Uhr gehe ich zu Bett, bleibe in der Regel 3, 4 bis 5 Stunden schlaflos, stehe dann – sehr schwach gegen 10 Uhr des Morgens wieder auf, strecke mich nach dem Frühstück wieder aus, unternehme nichts, schreibe keine Zeile, lese ein sehr weniges, kleide mich dann an, fahre in die Oper – um 1 Uhr –, wohne der Probe bei, komme zwischen 4 und 5 Uhr todtmüde nach Haus, strecke mich von Neuem aus, suche ein wenig zu schlafen, speise 5 ½ Uhr, ruhe dann wieder etwas, empfange ausser dem Arzt keinen Menschen – um nicht zu sprechen, lese ein wenig, und fange endlich wie oben gemeldet wieder an. – Daraus sehen Sie, wie tief krank meine armen Nerven sind. Nie darf ich wieder singen; wie ich bisher, wenn auch nur selten, ganze Acte aus meinen Opern vortrug, davon kann nun nie mehr die Rede sein.

Es waren diess jedesmal übermenschliche Anstrengungen, die ich nun zu büssen habe. Auch wie ich sonst Orchester dirigirte, das kann nicht mehr vorkommen! – Wie ich demnach meine Lebensaufgabe zu Ende führen werde, weiss ich nicht. –

Doch ist viel von Ruhe, Schonung und von Allmählichkeit zu erwarten, und besser werden wird es jedenfalls. –

Es ist Ihrer würdig, daran gedacht zu haben, jetzt sich mir Armen zu nähern: doch glaube ich auch, Frau Vernunft hat Recht. Kommen Sie zum Tannhäuser, und vielleicht nicht einmal zu den ersten Aufführungen, sondern wenn ich mich bereits etwas erholt habe: in einem ähnlichen Zustande, wie meinem jetzigen, bin ich rein gar nicht vorhanden. Gehen Sie schön mit Otto zu Rathe! –

Höchst lieb war mir, was Sie mir von Frau Wille sagten: ich dachte mir's wohl, und bin ihr in nichts mehr böse. Ich weiss doch, was sie werth ist, wenn sie auch nicht zum Handeln gemacht ist. Oft bedürfen wir aber dieser Energie gar nicht, sondern nur Verständniss und Mitgefühl: und welchen Werth hat es, diess gefunden zu haben! – Grüssen Sie sie herzlich von mir! –

Und innige Grüsse an die Familie mit dem guten Papa! Schwach und wehmüthig, aber immer treu und dankbar, bleibe ich der Ihrige.

R. W.


 << zurück weiter >>