Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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94.

Paris, 23. Oct. 59.

Mein theures Kind!

Der Meister hat seit der vorjährigen Allerseelen-Nacht nun einmal wieder den Tod gesehen: diesmal als freundlichen Wohlthäter.

Vor einiger Zeit suchte ich Berlioz auf. Ich traf ihn soeben zu sich nach Hause kommend in einem jammervollen Gesundheitszustande; er hatte sich soeben electrisiren lassen, als letztes Mittel gegen seinen leidenden Nervenzustand. Er schilderte mir seine Qualen, die mit dem Erwachen beginnend immer wachsend sich seiner bemächtigen: ich erkannte ganz meine eigenen Leiden, und die Quelle, aus der sie sich endlich bis zum Uebermaass nähren, worunter ich namentlich die jedem andren Menschen völlig fremden unglaublichen nervösen Anstrengungen beim Dirigiren oder sonstigem leidenschaftlichen Vortrage rechne. Ich wusste, dass ich noch leidender als Berlioz selbst sein würde, wenn ich nicht nur so sehr selten noch mich jenen Anstrengungen aussetzte, denn ich fühle, dass sie schon jetzt immer zerstörender auf mich wirken. Bei Berlioz ist leider bereits der Magen auf das Aeusserste affizirt; und – so trivial es klingt – so hat doch Schopenhauer sehr recht, wenn er als physiologisches Erforderniss für das Genie unter andern namentlich auch einen guten Magen nennt. Durch meine ausserordentliche Mässigkeit habe ich dieses Requisit mir meistens in dienlichem Zustande erhalten. Doch sah ich in Berlioz' Leiden die wahrscheinlich auch mir bestimmten voraus, und verliess den Armen überhaupt in schauriger Stimmung.

Meinen Franzosen hatte ich noch den Tannhäuser zur Hälfte zum Besten zu geben. Die Anstrengung war gross, die moralisch bittre Affection dabei vorherrschend; andren Tages ein kleiner Diätfehler (1 Glas Rothwein zur Bouillon beim zweiten Frühstück), und bald darauf eine wahre Katastrophe, die mich plötzlich ganz darnieder warf. Wie ich so in vollster Schwäche ausgestreckt lag, am eigentlichen Mark des körperlichen Centrum's angegriffen, da ward mir plötzlich himmlisch wohl. Fort war aller Aerger, jeder Kummer, jede Sorge, jedes Wollen und Müssen: vollkommenster Einklang meiner tief innersten Stimmung mit meinem physischen Zustande: Schweigen alles Lebensaffectes: Ruhe, vollständiges Fahrenlassen des krampfhaft gehaltenen Lebenszügels. –

Zwei Stunden genoss ich dieses grosse Glück. Dann belebte es sich wieder: die Nerven zuckten wieder; Schmerz, Bedürftigkeit, Verlangen, Wollen stellten sich wieder ein; Unbehagen, Mangel – Zukunft standen wieder da. Und ich erwachte so allmählich wieder vollkommen, bis zur Sorge für meine neue – Einrichtung. –

So ist's: ich richte mich wieder einmal ein – ohne Glauben, ohne Liebe und Hoffnung, auf dem bodenlosen Grunde traumhafter Gleichgültigkeit! –

So lasst's denn geschehen! Man gehört nicht sich, und wer es vermeint, der wähnt es eben nur. –

Ich bin noch nicht wieder ganz wohl, (was man so wohl nennt!) – doch will ich Ihnen noch eine neueste Nachricht geben. Das dramatische Idyll in Karlsruhe ist vollständig zu Ende und aufgegeben,Glasenapp II, 2, 225f. und die Anmerkung zu Brief 92, S. 183. Devrient selbst hat mich der Pein überhoben, seine Sängerin meinerseits refüsiren zu müssen; sie selbst hat erklärt, der Isolde nicht gewachsen zu sein. Das mag denn nun gut sein. Jedenfalls ist das ganze Tristanabenteuer auf längere Zeit hinausgeschoben, und die Thüre für andre sich herandrängende Glücksfälle steht nun weit wieder offen. Verträumen Sie die Zeit schön in Sicilien: Sie werden darüber nichts versäumen. Was wünsche ich Ihnen von ganzem, tiefstem Herzen Milde, Wärme, Stärkung, Genesung! Ihr Plan ist vortrefflich, und Vetter Wesendonk soll dafür gepriesen und gelobt sein. –

Der grüne Hügel ist angekommen: – warum mir jetzt diess stille Bild der Unschuld und der Ruhe!! –

Adieu, für heute! Bald hört Ihr mehr!

Tausend Grüsse der Freundin!

R. W.


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