Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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Tagebuch
17. August 1858 – 4. April 1859.
(Venedig, Luzern.)

*

Tagebuch
seit meiner Flucht aus dem Asyl
17. August 1858.

Genf.

21. August.

Die letzte Nacht im Asyl legte ich mich nach 11 Uhr ins Bett: andren Morgens um 5 Uhr sollte ich abreisen. Ehe ich die Augen schloss, ging es mir lebhaft durch die Seele, wie ich mich sonst immer an dieser Stelle in Schlaf gebracht durch die Vorstellung, eben da würde ich einst sterben: so würde ich liegen, wenn Du zum letzten mal zu mir trätest, wenn Du offen vor Allen mein Haupt in Deine Arme schlössest, und mit einem letzten Kusse meine Seele empfangest! Dieser Tod war mir die holdeste Vorstellung, und sie hatte sich ganz an der Localität meines Schlafzimmers ausgebildet: die Thüre nach der Treppe zu war geschlossen, Du tratest durch die Gardine des Arbeitszimmers; so schlangest Du Deinen Arm um mich; so auf Dich blickend starb ich. –Und wie nun? Auch diese Möglichkeit zu sterben war mir entrückt? Kalt, und wie gejagt, verliess ich diess Haus, in welchem ich mit einem Dämon eingeschlossen war, den ich nicht mehr bannen konnte als durch die Flucht. – Wo – wo werde ich nun sterben? – – So entschlief ich. –

Aus bangen Träumen erweckte mich da ein wunderbares Rauschen: mit dem Erwachen fühlte ich deutlich einen Kuss auf meiner Stirn: – ein schriller Seufzer folgte. Das war so lebhaft, dass ich auffuhr und um mich blickte. Alles still. Ich zündete Licht an: es war kurz vor 1 Uhr, am Ende der Geisterstunde. Hatte ein Geist in dieser bangen Stunde bei mir Wache gestanden? Wachtest Du oder schliefst Du um diese Zeit? – Wie war es Dir? – Kein Auge konnte ich nun wieder schliessen. Lange quälte ich mich vergebens im Bett, bis ich endlich aufstand, mich vollständig ankleidete, den letzten Koffer schloss, und nun, auf und abgehend, bald auf dem Ruhebett mich ausstreckend, bang den Tag erwartete. Er erschien diesmal später, als ich es von schlaflosen Nächten im vergangenen Sommer her gewöhnt war. Schamroth kroch die Sonne hinter dem Berge hervor. – Da blickte ich noch einmal lange hinüber. – O Himmel! Mir kam keine Thräne; aber mir war es, als erblichen alle Haare meiner Schläfe! – Nun hatte ich Abschied genommen. Jetzt war alles kalt und sicher in mir. – Ich ging hinunter. Dort erwartete mich meine Frau. Sie bot mir den Thee. Es war eine schreckliche, jämmerliche Stunde. – Sie begleitete mich. Wir stiegen den Garten hinab. Es war ein prachtvoller Morgen. Ich sah mich nicht um. – Beim letzten Abschied brach meine Frau in Jammer und Thränen aus. Zum ersten Male blieb mein Auge trocken. Noch einmal redete ich ihr zu, sich mild und edel zu zeigen und sich christlichen Trost zu gewinnen. Die alte rachsüchtige Heftigkeit loderte abermals in ihr auf. – Sie ist unrettbar! musste ich mir sagen. Doch – rächen kann ich mich an der Unglücklichen nicht. Sie selbst muss ihr Urtheil vollziehen. – So war ich furchtbar ernst, bitter und traurig. Doch – weinen konnte ich nicht. – So reiste ich fort. Und siehe! – ich leugne es nicht: mir ward wohl, ich athmete frei. – Ich ging in die Einsamkeit: da bin ich heimisch; dort in der Einsamkeit, wo ich mit jedem Athemzuge Dich lieben darf! – –

Hier habe ich nun noch keinen Menschen gesprochen, ausser Diener. Selbst Karl Ritter habe ich geschrieben, er möge mich nicht besuchen. Dass ich nicht sprechen darf, thut mir so wohl. – Dein Tagebuch las ich vorm ersten Schlafengehen seit meiner Abreise. Dein Tagebuch! Diese holden, tiefen Züge Deines Wesens! – Ich schlief gut.

Andren Tags bezog ich eine Wohnung, die ich wochenweise miethete. Ich bin da still und ungestört, sammle mich und warte, bis die Hitze vorüber, um nach Italien gehen zu können. Den ganzen Tag bin ich zu Hause. –

Gestern schrieb ich an meine Schwester Kläre,Der Brief wurde in der Täglichen Rundschau vom 23. Sept. 1902 veröffentlicht. Vergl. auch die Einleitung, wo er wieder abgedruckt ist. die Du vor zwei Jahren kennen lerntest. Sie wollte brüderlichen Aufschluss von mir; meine Frau hatte ihr geschrieben und sich angekündigt. Ich deutete ihr an, was Du mir seit sechs Jahren warest und bist: welchen Himmel Du mir bereitetest, und mit welchen Opfern und Kämpfen Du mich beschütztest; und wie diess Wunderwerk Deiner edlen, hohen Liebe nun so roh und plump angetastet worden sei. Ich weiss, sie versteht mich: sie ist eine enthusiastische Natur in etwas vernachlässigter Schale. Ein wenig Aufklärung musste ich nach jener Seite geben. Aber, wie mir Herz und Seele erbebte, als ich diess schrieb, und Deine hohe, edle Reinheit mit zarten Zügen schildern durfte! – Gewiss, wir werden Alles, Alles vergessen und verschmerzen, und nur ein Hochgefühl wird bleiben, das Bewusstsein, dass hier ein Wunder vorging, das die Natur nur in Jahrhunderten einmal webt, das ihr so edel aber vielleicht noch nie gelang. Lass' allen Schmerz! Wir sind die Glücklichsten! Mit wem wollten wir tauschen? –

23. August. 5 Uhr Morgens.

Ich sah Dich im Traume auf der Terasse: Du warst in Männerkleidung und hattest eine Reisemütze auf dem Kopfe. Du spähtest nach der Richtung, in welcher ich verreist war; ich aber nahte von der entgegengesetzten: so wandtest Du den Blick immer von mir ab, und ich suchte vergebens, Dir meine Nähe anzuzeigen, bis ich denn leise rief: Mathilde! dann lauter, immer lauter, bis mein Schlafzimmer davon erklang, und ich vom eigenen Rufen erwachte. – Als ich dann wieder ein wenig zum Einschlafen und Träumen kam, las ich Briefe von Dir, die mir eine Jugendliebe bekannten; Du hattest dem Geliebten entsagt, doch priesest Du mir seine guten Eigenschaften; ich wurde dabei wie einer genommen, der Dich eben nur trösten sollte, – was mich etwas verdross. Ich wollte diesen Traum nicht weiter aufkommen lassen, und stand auf, um diese Zeilen zu schreiben. – Den Tag über hatte ich heftige Sehnsucht gehabt, und eine schmerzliche Lebensungeduld hatte sich meiner wieder bemächtigt. –

24. August.

Gestern fühlte ich mich tief elend. Warum noch leben? Warum leben? Ist es Feigheit – oder Muth? – Warum dieses unermessliche Glück, um so gränzenlos unglücklich zu sein? – – Die Nacht hatte ich dann guten Schlaf. – Heute ging es besser. – Ich habe mir hier ein schönes Portefeuille zum Verschliessen machen lassen, eigens um Deine Andenken und Briefe darin zu verwahren: es kann sehr viel fassen, und was da hinein kommt, wird bösen Kindern nicht wieder herausgegeben. Desshalb sieh Dich recht vor, was Du mir noch sendest: Du bekommst nichts davon wieder – als nach meinem Tode, wenn Du mir es nicht mit ins Grab geben willst. – Morgen reise ich nun gerade nach Venedig. Es treibt mich dahin, wo ich mich nun still nieder zu lassen gedenke. Das Reisen an sich ist mir höchst zuwider. – Heute waren es acht Tage, dass ich Deine Terrasse zum letzten mal sah! –

Venedig den 3. September.

Gestern schrieb ich Dir und unsrer Freundin.Frau Wille. Die Briefe sind nicht vorhanden. So lange war ich durch die Reise und meine hiesige Einrichtung abgehalten. Nun soll das Tagebuch recht regelmässig besorgt werden. – Die Reise ging über den Simplon. Die Berge, namentlich das lange Walliser Thal, drückten mich. Eine schöne Stunde verbrachte ich auf der Gartenterrasse der Isola bella. Ein wundervoll sonniger Morgen. Ich kannte diesen Platz und entliess sogleich den Gärtner, um da allein zu bleiben. Es kam eine schöne Ruhe und Erhebung in mich, so schön – dass sie nicht lang dauern konnte. Doch, was mich erhob, was bei mir und in mir war, das dauerte: das Glück, von Dir geliebt zu sein!

In Mailand nur Nachtaufenthalt. Am 29. August Nachmittags in Venedig angekommen. Auf der Fahrt den grossen Canal entlang zur Piazetta melancholischer Eindruck und ernste Stimmung: Grösse, Schönheit und Verfall dicht neben einander. Doch erquickt durch die Reflection, dass hier keine moderne Blüthe, somit keine geschäftige Trivialität vorhanden. Marcusplatz von zauberischem Eindruck. Eine durchaus ferne, ausgelebte Welt: sie stimmt zu dem Wunsch der Einsamkeit vortrefflich. Nichts berührt unmittelbar als reales Leben; Alles wirkt objectiv, wie ein Kunstwerk. Ich will hier bleiben, – und somit werde ich es. – Am andren Tag, nach langer Ueberwindung Wohnung genommen am grossen Canal, in einem mächtigen Palast, in dem ich für jetzt noch ganz allein bin. Weite, erhabene Räume, in denen ich nach Belieben umher wandle. Da mir die Wohnung, als das Gehäuse meines Arbeitsmechanismus', so wichtig, verwende ich alle Sorgfalt darauf, sie mir nach Wunsch herzurichten. Um den Erard habe ich sofort geschrieben. Er muss in meinem grossen, hohen Palastsaale wundervoll klingen. Die grosse, durchaus eigenthümliche Stille des Canales stimmt mir vortrefflich. Erst Abends 5 Uhr verlasse ich die Wohnung, um zu speisen; dann Promenade nach dem öffentlichen Garten; kurzer Aufenthalt auf dem Marcusplatz, der durchaus theatralisch anregt durch seine ganz besondre Eigenthümlichkeit und das mir ganz fremde, mich gänzlich unberührende, nur die Phantasie zerstreuende Menschengewoge. Gegen 9 Uhr Heimkehr in der Gondel; treffe die Lampe angezündet und lese ein wenig bis zum Schlaf. –

So wird mein Leben äusserlich dahin fliessen, und so ist es mir recht. Leider ist bereits mein hiesiger Aufenthalt bekannt; doch ein für alle mal habe ich Ordre gegeben, Niemand zu empfangen. – Diese Einsamkeit, hier fast einzig mir möglich, – und zwar so angenehm möglich, schmeichelt mir und meinen Hoffnungen. – Ja! Ich hoffe, für Dich zu genesen! Dich mir erhalten, heisst mich meiner Kunst erhalten. Mit ihr – Dir zum Troste leben, das ist meine Aufgabe, diess stimmt mit meiner Natur, meinem Schicksale, meinem Willen, – meiner Liebe. So bin ich Dein; so sollst auch Du durch mich genesen! Hier wird der Tristan vollendet – allem Wüthen der Welt zum Trotz. Und mit ihm, darf ich, kehre ich dann zurück, Dich zu sehen, zu trösten, zu beglücken! So steht es vor mir, als schönster heiligster Wunsch. Nun wohlan! Held Tristan, Heldin Isolde! helft mir! helft meinem Engel! Hier sollt ihr ausbluten, hier sollen die Wunden heilen und sich schliessen. Von hier soll die Welt die erhabene, edle Noth der höchsten Liebe erfahren, die Klagen der leidenvollsten Wonne. Und hehr wie ein Gott, heil und klar sollst Du mich dann wiedersehen, Deinen demüthigen Freund!

5. September.

Diese Nacht war ich schlaflos und wachte lange. Mein süsses Kind meldet mir nicht, wie es ihm geht? – Wunderbar schön der Canal zur Nacht. Helle Sterne, letztes Mondviertel. Eine Gondel gleitet vorbei. Aus der Ferne rufen Gondoliere singend sich an. Diess ist ausserordentlich schön und erhaben. Die Stanzen des Tasso sollen dazu nicht mehr rezitirt werden; die Melodien sind aber jedenfalls uralt, so alt als Venedig, und gewiss älter als die Stanzen des Tasso, die man ihnen seinerzeit jedenfalls nur angepasst hat. Somit hat sich in der Melodie das ewig ächte erhalten, während die Stanzen wie ein vorübergehendes Phänomen in ihr aufgenommen und endlich verschlungen worden sind. Diese tief melancholischen Melodien, mit tönender, mächtiger Stimme gesungen, von der Ferne über das Wasser hergetragen, in noch weiterer Ferne verhallend, haben mich erhaben bewegt. Herrlich!Vgl. Gesammelte Schriften 9, 92 in der Beethovenschrift.

6. September.

Gestern sah ich die Ristori als Maria Stuart. Vor einigen Tagen sah ich sie zuerst als Medea, worin sie mir sehr gefiel, ja – einen ziemlich bedeutenden Eindruck machte. Ungemeine Virtuosität, und eine bisher von mir noch nicht in dieser Vollendung gekannte Sicherheit der Gebärde im wechselnden Affekt. Was ich im Voraus vermisste, da es übrigens der Medea fremd zu bleiben hatte, das erkannte ich nun aber deutlich als Hauptmangel ihrer Kunst, da es in Maria Stuart unerlässlich gefordert wird. Hier ist Idealität, Enthusiasmus, tiefe, schwärmerische Wärme nöthig. Es war demüthigend, wie kläglich die Künstlerin hier erlag, und ich fühlte mit einigem Stolze die Bedeutung und Höhe der deutschen Kunst, als ich mich entsann, dass ich schon von mehreren deutschen Schauspielerinnen gerade diese Aufgabe sehr erwärmend, ja hinreissend hatte ausführen sehen; während die Ristori, im jähen Abspringen von raffinirter Prosa zu fast animalisch plastischem Affekt, zeigte, dass sie die Aufgabe nicht entfernt nur ahnte, geschweige denn ihr gewachsen war. Es war wahrhaft kläglich und tief verstimmend. Dieser ideale Nerv der deutschen Kunst ist es aber, der meine Musik, und durch sie meine Dichtung möglich macht. Wie fern stehen diese französisch-italienischen Evolutionen dagegen von allem ab, was ich je ersinnen kann! Und doch wirkt unbewusst das ideale Element dann hinreissend auf Italiener und Franzosen selbst, wenn es von aussen her auf sie eindringt, so dass ich es durchaus nicht etwa nur als eine spezifisch deutsche Charakter-Einseitigkeit gelten lassen darf. Ich habe das selbst an den Wirkungen meiner Aufführungen an Einzelnen erfahren. – Worin besteht nun aber der Unterschied zwischen der gemeinten Idealität und jenem realistischen Spiele des Affectes? Sieh Dir die Scene im dritten Akt der Maria Stuart an, wo sie im Garten die Freiheit begrüsst, und denke, dass die Ristori hier das meiste, ja fast alles ausliess, was nicht, als Ausgang zu einer Pointe des Hassgefühles gegen Elisabeth, ihr Anlass zur Entwicklung ihres rapid wechselnden Affectenspieles gab. – Doch, das wird Dir es nicht ganz klar machen. Gewiss aber weisst Du schnell was ich meine, wenn ich Dich an unsre Liebe erinnere ...

7. September.

Heute schrieb mir Frau Wille. Es waren die ersten Nachrichten, die ich über Dich erhielt. Du sei'st gefasst, ruhig und entschlossen, die Entsagung durchzuführen! Aeltern, Kinder – Pflichten. –

Wie mich das in meiner heilig, ernst-heitren Stimmung doch fremd anklang! –

Dachte ich an Dich, nie kamen mir Aeltern, Kinder und Pflichten in den Sinn: ich wusste nur, dass Du mich liebtest, und dass alles Erhabene in der Welt unglücklich sein muss. Von dieser Höhe aus erschreckt es mich, genau bezeichnet zu sehen, Was uns unglücklich macht. Ich sehe Dich dann plötzlich in Deinem prächtigen Hause, sehe alles Das, höre alle Die, denen wir ewig unverständlich bleiben müssen, die fremd – uns nahe sind, um ängstlich das Nahe von uns fern zu halten. Und mich fasst Grimm, sagen zu sollen: Diesen, die nichts von Dir wissen, nichts von Dir begreifen, aber Alles von Dir wollen, sollst Du Alles opfern! – Ich kann und mag das nicht sehen und hören, wenn ich mein Erdenwerk würdig vollenden soll! Nur aus dem Tiefsten des Inneren kann ich die Kraft gewinnen, aber – von Aussen regt mich Alles zur Bitterkeit auf, was sich meiner Entschlüsse bemächtigen will. –

Du hoffst mich den Winter einige Stunden in Rom zu sehen? Ich fürchte – Dich nicht sehen zu können! Dich sehen, – und zur behaglichen Zufriedenheit eines Andren dann von Dir scheiden, – ob ich das jetzt schon kann? Wohl nicht! –

Auch keine Briefe willst Du? –

Ich habe Dir geschrieben, und – hoffe sicher, mit diesem Briefe nicht zurückgewiesen zu werden; – ja, ich bin Deiner Antwort gewiss! –

Fort mit diesen thörigen Vorstellungen! – Ich hoffe. –

8. Sept.

»O blinde Augen!
Blöde Herzen!«

10. Sept.

Gestern war ich recht krank, hatte Fieber. Abends erhielt ich auch einen neuen Brief von Frau Wille: – darin ward mir mein Briefchen an Dich – uneröffnet zurückgeschickt. –

Das hätte doch nicht geschehen sollen! – Das nicht! –

Heute habe ich noch nichts für das Tagebuch. Nicht Gedanken, – nur Gefühle. Die sollen erst zur Klarheit kommen. –

Dass Du Dich erholst und kräftig fühlst, ist mein Trost! Auch habe ich noch einen Trost, der fast einer Rache ähnlich sieht: – Du wirst einst auch diesen zurückgewiesenen BriefDer Brief ist nicht vorhanden. lesen, – und fühlen, welch graunvolles Unrecht mir mit dieser Zurückweisung gethan! – Und es ist mir doch schon so ähnlich recht oft geschehen.–

11. Sept.

Ach! – eine unmittelbare Ansprache von Dir! Drei Worte – nichts weiter! –

Vermittler, und wären es die verständnissvollsten, vertrautesten, können doch nichts ersetzen. Wie schwer ist es, dass Zwei ganz sich verstehen: wie nothwendig ist es selbst hierzu, dass diese bei der Mittheilung glücklichgleicher Stimmung sind, wie doch nur das vollste Gefühl der ganzen Liebes-Gegenwart sie hervorbringt. Der Dritte bleibt doch immer fern. Wer wollte sich und seine besondere Stellung so ganz verläugnen können, dass er nur Antheil an zwei Anderen wäre? Dass Frau Wille sich, ganz für sich, nicht dazu verstehen zu dürfen glaubt, Dir Briefe von mir zuzustellen, muss ich begreiflich finden. Da kann ja nicht mehr auf den Inhalt gesehen werden, nicht beachtet, wie beruhigend, wie nöthig daher solche Mittheilungen sind; – genug, es sind Briefe, und sie kann und muss vielleicht Anstand nehmen, sie zuzustellen. Was kann sonst überhaupt auch die »Freundin« rathen? Doch nur, was ihre Stellung zu Allen Betheiligten ihr ermöglicht, und gewiss im besten, edelsten Sinne ermöglicht? – Aber :– sie handelte auch nach Deinem Wunsche! Also – eine Religion zwischen uns? – Genug heute! – Ruhe! Ruhe! –

13. September.

Ich war so traurig, dass ich selbst dem Tagebuche nichts anvertrauen wollte. Da kam heute Dein Brief – der Brief an Frau Wille. – Dass Du mich liebst, wusste ich wohl: Du bist auch wie immer gut, tief und sinnig; ich musste lächeln, und fast über mein letztes Ungemach mich freuen, da Du mir nun ein solch' edles Wohlgefühl bereitest. Ich verstehe Dich, – auch da, wo ich Dir ein leises Unrecht gebe, – denn gegen mich ist alles Unrecht, was mir als Abwehr der Zudringlichkeit gelten muss. Ich dächte doch, ich hätte wieder zu allerletzt durch diesen schrecklichen Fortgang von Zürich bewiesen, dass ich – weichen kann, und darf somit Zweifel an meinem resignirenden Zartgefühl als unverdiente, tiefe Kränkungen empfinden. – Doch wozu jetzt das noch? – Die erhabene Schönheit meiner Stimmung war zerstört; sie muss sich nun mühsam erst wieder erheben. Verzeihe mir, wenn ich noch strauchle! – Ich will wieder heiter sein, – so gut es geht. An Frau Wille werde ich bald auch schreiben; aber auch mit den Briefen an sie will ich mässig sein. Gott! es ist nun einmal Alles so schwer, und das Höchste gewinnt sich doch nur durch Mässigung. – Ja! es ist gut, und wird Alles gut werden. Unsre Liebe ist über jedes Hinderniss erhaben, und jede Hemmung macht uns reicher, geistvoller, edler, und immer mehr auf den Inhalt und auf das Wesen unsrer Liebe gerichtet, immer gleichgültiger gegen das Unwesentliche. Ja, Du Gute, Reine, Holde! wir werden siegen, – wir sind schon mitten im Siege. –

16. Sept.

Da bin ich wohl und heiter. Dein Brief erfreut mich immer noch. Wie ist doch alles von Dir so sinnig, schön und lieblich! – Fast dünkt mich nun unser persönliches Schicksal gleichgültig. Innerlich ist ja Alles so rein, unsrem Wesen und der Notwendigkeit zugleich so ganz angemessen. Mit diesem schönen Gefühle wünsche ich mich nun meiner Arbeit wieder zuzuwenden, und erwarte den Flügel. Der Tristan wird noch viel kosten; ist er aber einmal ganz beendigt, so dünkt es mich, als ob dann eine wunderbar-bedeutende Lebensperiode bei mir abgeschlossen sein müsste, und ich dann mit neuem Sinne, ruhig, klar und tief bewusst in die Welt, und durch die Welt zu Dir auf schauen würde. Darum drängt es mich jetzt auch so sehr nach der Arbeit. –

Einstweilen habe ich allerhand fatale und weitschweifige Correspondenzen, die meine Zeit fortnehmen; aber immer erquickst Du mich dabei, und ganz wunderherrlich hilft Dir Venedig, mich zu erheitern. Zum ersten Male athme ich diese immer gleiche, wonnige, reine Luft; die zauberhafte Beschaffenheit des Ortes hält mich in einem melancholisch-freundlichen Zauber, der seine Macht noch immerfort wohlthätig übt. Wenn ich des Abends eine Gondelfahrt nach dem Lido mache, umtönt es mich wie solch' ein langgehaltener weicher Geigen-Ton, den ich so liebe, und mit dem ich Dich einst verglich; nun kannst Du ermessen, wie mir da im Mondlicht auf dem Meere zu Muthe ist! –

18. September.

Heut' vor'm Jahre vollendete ich die Dichtung des Tristan, und brachte Dir den letzten Akt. Du geleitetest mich nach dem Stuhl vor dem Sopha, umarmtest mich, und sagtest: »nun habe ich keinen Wunsch mehr!« –

An diesem Tage, zu dieser Stunde wurde ich neu geboren. – Bis dahin ging mein Vor-Leben: nun begann mein Nach-Leben. In jenem wundervollen Augenblicke lebte ich allein. Du weisst, wie ich ihn genoss? Nicht aufbrausend, stürmisch, berauscht; sondern feierlich, tief durchdrungen, mild durchwärmt, frei, wie ewig vor mich hinschauend. – Von der Welt hatte ich mich, schmerzlich, immer bestimmter losgelöst. Alles war zur Verneinung, zur Abwehr in mir geworden. Schmerzlich war selbst mein Kunstschaffen; denn es war Sehnsucht, ungestillte Sehnsucht, für jene Verneinung, jene Abwehr – das Bejahende, Eigene, Sich-mir-vermählende zu finden. Jener Augenblick gab es mir, mit einer so untrüglichen Bestimmtheit, dass ein heiliger Stillstand sich meiner bemächtigte. Ein holdes Weib, schüchtern und zagend, warf muthig sich mitten in das Meer der Schmerzen und Leiden, um mir diesen herrlichen Augenblick zu schaffen, mir zu sagen: ich liebe Dich! – So weihtest Du Dich dem Tode, um mir Leben zu geben; so empfing ich Dein Leben, um mit Dir nun von der Welt zu scheiden, um mit Dir zu leiden, mit Dir zu sterben. – Nun war der sehnsüchtige Zauber gelöst! – Und diess Eine weisst Du auch, dass ich seitdem nie mehr im Zwiespalt mit mir war. Verwirrung und Qual konnte über uns kommen; selbst Du konntest vom Trug der Leidenschaft hingerissen werden: – ich aber – das weisst Du! – ich blieb mir nun stets gleich, und meine Liebe zu Dir konnte nie, durch keinen noch so schrecklichen Augenblick, mehr ihren Duft, ja nur ein zartes Stäubchen dieses Duftes verlieren. Alle Bitterkeit war mir geschwunden; ich konnte irren, mich leidend, gequält fühlen, aber immer blieb es mir licht, und klar wusste ich immer, dass Deine Liebe mein Höchstes sei, und ohne sie mein Dasein ein Widerspruch mit sich selbst sein müsste. –

Dank Dir, du holder, liebevoller Engel! –

23. September.

Das Trinkgeschirr und die Tasse ist angekommen. Das war einmal wieder das erste freundliche Zeichen von Aussen. Was sag' ich? »von Aussen?« Wie kann mir etwas von Aussen kommen, das mir von Dir kommt? Und doch, – es kommt da aus der Ferne her; aus der Ferne, wo jetzt meine Nähe ist. Nun hab' tausend Dank, Du erfindungsreiches, liebes Wesen! So schweigend, wie sagen wir uns deutlich, was uns so unaussprechlich ist? –

26. Sept.

Selbst zum Tagebuch komme ich jetzt nicht, so widerwärtig viel Briefe voll Sorgen und Besorgungen habe ich zu befördern. Wie thörig bin ich doch! Diese stete, unedle Sorge für's Leben, – und im Grunde einen so tiefen Ekel vor dem Leben, das ich mir immer nur künstlich zurecht legen muss, um es nicht stets in seiner Widerlichkeit vor mir zu sehen! Wer da immer wüsste, was zwischen mir und meiner endlich möglichen Arbeitsruhe liegt! – Doch, ich will aushalten, denn ich muss. Ich gehöre nicht mir, und meine Leiden und Bekümmernisse sind die Mittel eines Zweckes, der all' dieser Leiden spottet. Straff! Straff! – es muss sein! –

29. Sept.

Nun kommt der abnehmende Mond erst spät. Als er in seiner Fülle war, hat er mir schöne Tröstungen bereitet durch angenehme Empfindungen, deren ich bedurfte! Ich fuhr nach Sonnenuntergang auf der Gondel ihm regelmässig dem Lido zu entgegen. Der Kampf zwischen Tag und Nacht war stets ein wundervolles Schauspiel am reinen Himmel. Rechts, mitten im dunkelrosigen Aether blinkte traulich hell der Abendstern; der Mond, in voller Pracht, warf sein funkelndes Netz nach mir im Meere aus. Nun wandt' ich ihm zur Heimkehr den Rücken. Dem Blicke, der dahin schweifte, wo Du weilest, von wo Du nach dem Monde sähest, trat, dicht über dem verwandten Siebengestirn,Wagners selbstgewähltes Familienwappen; Glasenapp III, 1, 169 und 444. ernst und hell, mit wachsendem Lichtschweife, der Komet entgegen. Mir hatte er nichts Schreckendes, wie mir überhaupt nichts mehr Furcht einflösst, weil ich so gar kein Hoffen, gar keine Zukunft mehr habe; ich musste sogar recht ernst über die Scheu der Leute vor dem Erscheinen solchen Gestirnes lächeln, und wählte es mit einem gewissen übermüthigen Trotze zu meinem Gestirn. Ich sah in ihm nur das Ungewöhnliche, Leuchtende, Wunderbare. Bin ich so ein Komet? Brachte ich Unglück? – War das meine Schuld? – Ich konnte ihn nicht mehr aus den Augen verlieren. Schweigend und ruhig langte ich an der lustig erleuchteten, ewig heiter durchwogten Piazzetta an. Dann geht es den ernsten melancholischen Kanal hinab: links und rechts herrliche Paläste: Alles lautlos: nur das sanfte Gleiten der Gondel, das Plätschern des Ruderschlages. Breite Mondesschatten. An dem stummen Palaste wird ausgestiegen. Weite Räume und Hallen, von mir allein noch bewohnt. Die Lampe brennt; ich nehme das Buch zur Hand, lese wenig, sinne viel. Alles still. – Da Musik auf dem Canal: eine buntbeleuchtete Gondel mit Sängern und Musikern: mehr und immer mehr Kähne mit Zuhörern schliessen sich an: die ganze Breite des Canals schwimmt das Geschwader, kaum bewegt, sanft gleitend, dahin. Schöne Stimmen, passable Instrumente, tragen Lieder vor. Alles ist Ohr. – Da endlich biegt es, kaum merklich, um die Ecke und verschwindet noch unmerklicher. Lange noch höre ich, von der Nachtstille veredelt und verklärt, die Töne, die als Kunst mich nicht wohl fesseln könnten, hier aber zur Natur geworden. Alles verstummt endlich: der letzte Klang löst sich wie in das Mondlicht auf, das, wie die sichtbar gebliebene Klangwelt, sanft fortleuchtet. –

Nun hat der Mond abgenommen. –

Ich bin nicht ganz wohl seit einigen Tagen: die Spatzierfahrt am Abend musste ich einstellen. Mir ist nichts verblieben, als die Einsamkeit, und mein zukunftsloses Dasein! –

Auf dem Tisch vor mir liegt ein kleines Bild. Es ist das Porträt meines Vaters, das ich Dir nicht mehr zeigen konnte, als es ankam. Es zeigt ein edles, weiches, leidend sinnendes Gesicht, das mich unendlich rührt. Mir ist es sehr werth geworden. – Wer zu mir tritt, vermuthet zunächst gewiss das Bild einer geliebten Frau zu treffen. Nein! Von der habe ich kein Bild. Aber ihre Seele trage ich in meinem Herzen. Da schaut hinein, wer's kann! – Gute Nacht! –

30. September.

Heute erlebte ich viel. Da erfuhr ich von der Sorge meiner Lieben um mich, und ein gar schöner Brief lag bei. Ich hab' ihn beantwortet, Vgl. den Brief an Frau Wille vom 30. Sept. 1858. so gut es ging, traurig und froh, wie mir's zu Muth war! –

Ich habe wieder einen rechten Abscheu vor den jugendlichen Ehen bekommen; ausser bei ganz unbedeutenden Personen, ist mir noch keine begegnet, in der mit der Zeit nicht ein tiefer Irrthum zu Tage kam. Welches Elend dann! Seele, Charakter, Anlagen – Alles muss verkümmern, wenn nicht ausserordentliche, und dann doch nur sehr leidenvolle, neue Beziehungen hinzutreten. So ist doch Alles recht jammervoll um mich herum; was nur irgend von einiger Bedeutung ist, leidend und hülflos: und nur das Unbedeutende will sich durchaus des Daseins freuen. Doch was kümmert das Alles die Natur? Die geht ihren blinden Zwecken nach und will durchaus nur die Gattung: d. h. immer von Neuem leben, immer wieder anfangen, breit, breit – recht breit; das Individuum, dem sie alle Schmerzen des Daseins aufbürdet, ist ihr eben ein Sandstäubchen in dieser Breite der Gattung, das sie jeden Augenblick, eben wenn sie nur recht auf die Gattung hält, tausend- und millionenfach ersetzen kann! O, ich höre es ungern, wenn wer sich auf die Natur beruft: bei Edlen ist es edel gemeint, aber eben deshalb etwas Anderes darunter verstanden; denn die Natur ist herz- und fühllos, und jeder Egoist, ja jeder Grausame, kann sich mit mehr Sicherheit und Verständniss auf sie berufen, als der Gefühlvolle. – Was ist nun solch' eine Ehe, die wir in taumelnder Jugend auf die erste Regung des Gattungstriebes hin für das Leben eingehen? Und wie selten werden Aeltern durch ihre eigene Erfahrung weise; sondern, wenn sie selbst endlich aus dem Elend sich in das Behagen gerettet haben, wissen sie nichts mehr davon, und lassen gedankenlos ihre Kinder wieder in dasselbe Geleise sich stürzen! – Doch ist es hier, wie mit Allem in der Natur: sie bereitet dem Individuum Elend, Tod und Verzweiflung, muss ihm aber überlassen, sich aus ihnen zu erheben, bis ihm die höchste Resignation gelingt: – das kann sie nicht wehren; sie sieht dann erstaunt zu, und sagt sich vielleicht: »hätte ich das eigentlich gewollt?« –

Ich bin noch nicht recht wohl, hoffe aber viel von dieser Nacht, wenn ich in ihr sanft schlafe. Das gönnst Du mir wohl? – Gute Nacht! –

1. October.

Vor kurzem fiel mein Blick von der Strasse in den Laden eines Geflügelhändlers; gedankenlos übersah ich die aufgeschichtete, sauber und appetitlich hergerichtete Ware, als, während seitwärts Einer damit beschäftigt war, ein Huhn zu rupfen, ein Andrer soeben in einen Käfig griff, ein lebendes Huhn erfasste und ihm den Kopf abriss. Der grässliche Schrei des Thieres, und das klägliche, schwächere Jammern während der Bewältigung, drang mit Entsetzen in meine Seele. – Ich bin diesen so oft schon erlebten Eindruck seitdem nicht wieder los geworden. – Es ist scheusslich, auf welchem bodenlosen Abgrund des grausamsten Elendes unser, im Ganzen genommen, doch immer genusssüchtiges Dasein sich stützt! Es ist dies meiner Anschauung von je her so deutlich gewesen, und ist ihr, bei zunehmender Sensibilität, immer gegenwärtiger geworden, dass ich den gerechten Grund aller meiner Leiden eigentlich darin erkenne, dass ich Leben und Streben immer noch nicht mit Bestimmtheit aufgeben kann. Die Folge davon muss sich in Allem zeigen, und mein oft unbegreiflich wechselvolles, nicht selten dem Liebsten bitter begegnendes Benehmen, ist nur aus diesem Zwiespalte erklärlich. Wo ich entschiedenes Behagen, oder die Tendenz, sich ein solches zu bereiten, wahrnehme, wende ich mich mit einem gewissen inneren Grauen ab. Sobald mir ein Dasein leidlos, und sorgsam auf Fernhaltung des Leidens bedacht erscheint, kann ich es mit unersticklicher Bitterkeit verfolgen, weil es mir so fern der eigentlichen Lösung der Aufgabe des Menschen steht. So habe ich, ohne Neid zu empfinden, einen instinktiven Hass gegen Reiche empfunden: ich gebe zu, dass auch sie trotz ihres Besitzes nicht glücklich zu nennen sind; aber sie haben die recht ersichtliche Tendenz, es sein zu wollen; und das entfernt mich so von ihnen. Sie halten sich mit raffinirter Absicht vom Leibe, was ihrer möglichen Mitempfindung das Elend zeigen könnte, auf dem all ihr gewünschtes Behagen beruht, und dies Einzige trennt mich um eine ganze Welt von ihnen. Ich habe mich darin beobachtet, dass ich mit sympathisch drängender Gewalt zu jener andren Seite hingezogen werde, und alles mich ernst nur in so fern berührt, als es mir Mitgefühl, das ist: Mit-Leiden, erweckt. Dieses Mitleiden erkenne ich in mir als stärksten Zug meines moralischen Wesens, und vermuthlich ist dieser auch der Quell meiner Kunst.

Was nun aber das Mitleiden charakterisirt, ist, dass es in seinen Affectionen durchaus nicht von den individuellen Beschaffenheiten des leidenden Gegenstandes bestimmt wird, sondern eben nur durch das wahrgenommene Leiden selbst. In der Liebe ist es anders: in ihr steigern wir uns bis zur Mit-Freude, und die Freude eines Individuum's können wir nur theilen, wenn dessen besondre Eigenschaften uns im höchsten Grade angenehm und homogen sind. Unter gemeinen Persönlichkeiten ist diess eher und leicht möglich, weil hier die rein geschlechtlichen Beziehungen fast ausschliesslich thätig sind. Je edler die Natur, desto schwieriger diese Ergänzung zur Mit-Freude: dann, gelingt sie, aber auch das Höchste! – Dagegen kann das Mitleiden sich dem gemeinsten und geringsten Wesen zuwenden, einem Wesen, welches ausser seinem Leiden durchaus nichts Sympathisches, ja in dem, woran es sich zu freuen im Stande ist, sogar nur Antipathisches für uns hat. Der Grund hiervon ist jedenfalls ein unendlich tiefer, und, erkennen wir ihn, so sehen wir uns hierdurch über die eigentlichen Schranken der Persönlichkeit erhoben. Denn wir begegnen in unsrem so ausgeübten Mitleiden dem Leiden überhaupt, abgesehen von jeder Persönlichkeit.

Um sich gegen die Gewalt des Mitleidens abzustumpfen, bringt man gemeinhin vor, dass niedrere Naturen ja erwiesener Maassen das Leiden selbst bei weitem schwächer, als eben bei der höheren Organisation es der Fall ist, empfinden; ganz mit dem Grade der erhöhten Sensibilität, die ja erst zum Mitleiden befähigt, nehme auch erst das Leiden an Realität zu: unser an niedrere Naturen verwendetes Mitleiden sei daher Verschwendung, Uebertreibung, ja Verzärtelung der Empfindung. – Diese Meinung beruht aber auf dem Grundirrthume, aus dem alle realistische Weltanschauung hervorgeht; und hier gerade zeigt sich der Idealismus in seiner wahrhaft moralischen Bedeutung, indem er uns jene als egoistische Bornirtheit aufdeckt. Es handelt sich hier nicht darum, was der Andere leidet, sondern was ich leide, wenn ich ihn leidend weiss. Wir kennen ja alles ausser uns Existirende nur in so weit, als wir es uns vorstellen, und wie ich es mir vorstelle, so ist es für mich. Veredle ich es, so ist es, weil ich edel bin, fühle ich sein Leiden als ein tiefes, so ist es, weil ich tief fühle, indem ich sein Leiden mir vorstelle, und wer dagegen es sich gering vorstellen mag, zeigt dadurch eben nur, dass er selbst gering ist. Somit macht mein Mitleiden das Leiden des andren zu einer Wahrheit, und je geringer das Wesen ist, mit dem ich leiden kann, desto ausgedehnter und umfassender ist der Kreis, der überhaupt meiner Empfindung nahe liegt. – Hierin liegt aber auch der Zug meines Wesens, der Andren als Schwäche erscheinen kann. Ich gebe zu, dass einseitiges Handeln dadurch sehr aufgehalten wird; aber ich bin mir gewiss, dass, wenn ich handle, ich dann meinem Wesen angemessen handle, und jedenfalls nie absichtlich Jemand Leid zufüge. Für alle meine Handlungen kann mich aber einzig nur noch diese Rücksicht bestimmen: Andren so wenig wie möglich Leiden zu verursachen. Hierin finde ich mich ganz mit mir einig, und nur so kann ich hoffen, Andren auch Freude zu machen: denn es giebt keine wahre, ächte Freude, als die Uebereinstimmung im Mitleiden. Diese kann ich aber nicht erzwingen: das muss mir aus der befreundeten eigenen Natur von selbst gewährt werden, und deshalb – konnte ich dieser Erscheinung nur einmal ganz und voll begegnen! –

Ich bin mir aber auch darüber klar geworden, warum ich mit niedreren Naturen sogar mehr Mitleiden haben kann, als mit höheren. Die höhere Natur ist, was sie ist, eben dadurch, dass sie durch das eigene Leiden zur Höhe der Resignation erhoben wird, oder zu dieser Erhebung die Anlagen in sich hat, und sie pflegt. Sie steht mir unmittelbar nah, ist mir gleich, und mit ihr gelange ich zur Mitfreude. Desshalb habe ich, im Grunde genommen, mit Menschen weniger Mitleiden, als mit Thieren. Diesen sehe ich die Anlage zur Erhebung über das Leiden, zur Resignation und ihrer tiefen, göttlichen Beruhigung, gänzlich versagt. Kommen sie daher, wie diess durch Gequältwerden geschieht, in den Fall des Leidens, so sehe ich mit eigener, qualvoller Verzweiflung eben nur das absolute, Erlösungs-lose Leiden, ohne jeden höheren Zweck, mit der einzigen Befreiung durch den Tod, somit durch die Bekräftigung dessen, es sei besser gewesen, wenn es gar nicht erst zum Dasein gelangt wäre. Wenn daher dieses Leiden einen Zweck haben kann, so ist dies einzig durch Erweckung des Mitleidens im Menschen, der dadurch das verfehlte Dasein des Thieres in sich aufnimmt, und zum Erlöser der Welt wird, indem er überhaupt den Irrthum alles Daseins erkennt. (Diese Bedeutung wird Dir einmal aus dem dritten Akte des Parzival, am Charfreitagsmorgen, klar werden.) Diese Anlage zur Welterlösung durch das Mitleiden im Menschen, aber unentwickelt, und recht geflissentlich unausgebildet verkommen zu sehen, macht mir nun eben den Menschen so widerwärtig, und schwächt mein Mitleiden mit ihm bis zur gänzlichen Empfindungslosigkeit gegen seine Noth. Er hat in seiner Noth den Weg zur Erlösung, der eben dem Thiere verschlossen ist; erkennt er diesen nicht, sondern will er sich ihn durchaus versperrt halten, so drängt es mich dagegen, ihm diese Thüre gerade recht weit aufzuschlagen, und ich kann bis zur Grausamkeit gehen, ihm die Noth des Leidens zum Bewusstsein zu bringen. Nichts lässt mich kälter, als die Klage des Philisters über sein gestörtes Behagen: hier wäre jedes Mitleid Mitschuld. Wie es meine ganze Natur mit sich bringt, aus dem gemeinen Zustande aufzuregen, so drängt es mich auch hier nur zu stacheln, um das grosse Leid des Lebens zu fühlen zu geben! –

Mit Dir, Kind, habe ich nun auch kein Mitleiden mehr. Dein Tagebuch, das Du mir zuletzt noch gabst, Deine neuesten Briefe, zeigen Dich mir so hoch, so ächt, so durch das Leiden verklärt und geläutert, Deiner und der Welt so mächtig, dass ich nur noch Mit-Freude, Verehrung, Anbetung empfinden kann. Du siehst Dein Leid nicht mehr, sondern das Leid der Welt; Du kannst es Dir sogar in keiner andren Form mehr vorstellen, als in der des Leidens der Welt überhaupt. Du bist im edelsten Sinne Dichterin geworden. –

Aber schreckliches Mitleiden hatte ich mit Dir damals, als Du mich von Dir gestossen, als Du nicht mehr dem Leiden, sondern der Leidenschaft preisgegeben, Dich verrathen wähntest, das Edelste in Dir verkannt glaubtest. Da warst Du mir ein von Gott verlassener Engel. Und wie mich dieser Dein Zustand schnell aus meiner eigenen Verwirrung befreite, machte er mich erfinderisch, Dir Labung und Heilung zuzuführen. Ich fand die Freundin, die Dir Trost und Erhebung, Milderung und Versöhnung, bringen durfte. Sieh, das wirkte das Mitleiden! Wahrlich, ich konnte mich selbst darüber vergessen, für immer der Wonne Deines Anblickes, Deiner Nähe entsagen wollen, wusste ich nur Dich beruhigt, aufgeklärt, Dir wiedergegeben. So schmähe mein Mitleiden nicht, wo Du mich es ausüben siehst, da ich Dir nun nur noch Mitfreude schenken darf! O, diese ist das Erhabenste; sie kann nur bei vollster Sympathie erscheinen. Dem gemeineren Wesen, dem ich Mitleid schenkte, muss ich mich schnell abwenden, so bald es von mir Mitfreude fordert. Diess war der Grund der letzten Zerwürfnisse mit meiner Frau. Die Unglückliche hatte meinen Entschluss, Euer Haus nicht mehr zu betreten, auf ihre Weise verstanden, und ihn als einen Bruch mit Dir aufgefasst. Nun glaubte sie, bei ihrer Rückkehr, müsste sich Behagen und Vertraulichkeit zwischen uns einfinden. Wie furchtbar musste ich sie enttäuschen! – Nun – Ruhe! Ruhe! – Eine andre Welt wird uns erstehen! Sei mir in ihr gesegnet, und zur ewigen Mitfreude hochwillkommen! –

3. October.

Ein recht schweres Leben habe ich doch! Wenn ich denke, welchen ungeheuren Aufwand von Sorge, Aerger und Qual ich brauche, um mir von Zeit zu Zeit nur etwas freie Müsse zu verschaffen, möchte ich mich eigentlich schämen, auf diese Weise mich dem Dasein immer noch aufzudrängen, da mich die Welt, genau genommen, doch eigentlich nicht will. So immer und ewig im Kampf für die Herbeischaffung des Nöthigen zu sein, oft ganze lange Zeitperioden gar nichts andres bedenken zu dürfen, als wie ich es anzufangen habe, um für eine kurze nächste Zeit mir Ruhe nach aussen und das Erforderliche für das Bestehen zu erschwingen, und hierzu so ganz aus meiner eigentlichen Gesinnung treten zu müssen, Denjenigen, durch die ich mich versorgen will, ein ganz andrer erscheinen zu müssen als ich bin, – das ist doch eigentlich empörend; und dazu muss gerade ich gemacht sein, wie kein Anderer, um das so recht einzusehen. Alle diese Sorgen stehen demjenigen so gut und natürlich an, dem eben das Leben Selbstzweck ist, und der in der Sorge für die Herbeischaffung des Nöthigen gerade die Würze für den imaginären Genuss des endlich Beschafften findet: deshalb kann auch im Grunde Niemand recht begreifen, warum unser Einem das so absolut widerwärtig ist, da es doch das Loos und die Bedingung für Alle ist. Dass Jemand einmal das Leben eben nicht als Selbstzweck ansieht, sondern als unerlässliches Mittel für einen höheren Zweck, wer begreift das so recht innig und klar? – Es muss mit mir doch eine eigene Bewandtniss haben, dass ich das Alles nun so lange schon, und namentlich jetzt immer noch aushalte. – Das Grässliche dabei ist, immer mehr inne werden zu müssen, dass sich eigentlich doch kein Mensch – namentlich kein Mann – so recht innig und ernst für mich interessirt, und, mit Schopenhauer, beginne ich die Möglichkeit jeder wirklichen Freundschaft zu bezweifeln, und das, was man so nennt, durchaus in die Fabel zu setzen. Man hat keinen Begriff davon, wie wenig so ein Freund sich eigentlich in die Lage, geschweige denn in die Gesinnung des Andren zu versetzen vermag. Aber diess ist auch ganz erklärlich: diese höchste Freundschaft kann der Natur der Dinge nach nur Ideal sein, die Natur selbst aber, diese urgrausame Schöpferin und Egoistin, kann mit dem besten Willen, wenn sie ihn haben könnte, nicht anders, als in jedem Individuum sich für die ganze alleinige Welt zu halten, und das andre Individuum nur so weit anzuerkennen, als es diesem Selbst-Wahne schmeichelt. – So ist's! Und doch hält man aus! Gott, was muss das werth sein, um deswillen man bei solcher Erkenntniss aushält! –

5. October.

Vor einiger Zeit kündigte mir die Gräfin A. eine »kleine Figur« an, die sich bald bei mir einfinden werde. Ich verstand's nicht, und las währenddem Köppen's Geschichte der Religion des Buddha zu Ende. Ein unerquickliches Buch. Statt ächter Züge der ältesten Legende, die ich suchte, hauptsächlich nur die Darstellung der Entwicklung in die Breite, die natürlich immer widerlicher ausfällt, je reiner und erhabener der Kern ist. Nachdem ich so recht angeekelt war durch die detaillirte Beschreibung des endlich festgestellten Cultus, mit seinen Reliquien und abgeschmackten bildlichen Darstellungen des Buddha, kommt die »kleine Figur« an, und zeigt sich als chinesisches Exemplar solch eines heiligen Bildnisses. Mein Grauen war gross, und ich konnte es der Dame, die das Rechte getroffen zu haben glaubte, nicht verheimlichen.

Man hat viel Mühe, in dieser entstellungssüchtigen Welt sich gegen derartige Eindrücke zu behaupten, und sich das rein angeschaute Ideal unverkümmert zu erhalten. Alles sucht so gern das Edelste, sobald es nicht zu ihm hinan kann, sich verwandt, d. h. als Fratze darzustellen. Den Çakya-Sohn, den Buddha, mir rein zu erhalten, ist mir, trotz der chinesischen Karikatur, aber doch gelungen.

Einen einzigen mir neuen, oder früher unbeachteten Zug fand ich aber doch in jener Geschichte, der mir höchst willkommen war, und der wahrscheinlich zu einem bedeutenden Momente führen wird. Es ist dieser: – Çakyamuni war anfänglich durchaus gegen die Aufnahme der Frauen in die Gemeinde der Heiligen. Er spricht von ihnen wiederholt die Ansicht aus, die Frauen seien von der Natur viel zu sehr der Geschlechtsbestimmung, und somit der Laune, dem Eigensinn und dem Hange an der persönlichen Existenz unterworfen, als dass sie zu der Sammlung und weiten Beschaulichkeit gelangen könnten, durch die der Einzelne von der Naturtendenz sich lossage, um zur Erlösung zu gelangen. Sein Lieblingsschüler, Ananda, – derselbe, dem ich bereits in meinen »Siegern«Vgl. die Skizze zu den Siegern vom 16. Mai 1856 in den »Entwürfen, Gedanken, Fragmenten« S. 97/8. seine Rolle zugetheilt habe –, war es nun, der endlich den Meister vermochte, von seiner Strenge abzugehen, und auch den Frauen die Aufnahme in die Gemeinde zu eröffnen. – Hiermit gewann ich etwas ungemein Wichtiges. Ohne allen Zwang erhält mein Plan eine grosse mächtige Erweiterung. Das Schwierige war hier, diesen vollkommen befreiten, aller Leidenschaft enthobenen Menschen, den Buddha selbst, für die dramatische und namentlich musikalische Darstellung geeignet zu machen. Es löst sich nun dadurch, dass er selbst noch eine letzte Entwickelungsstufe erreicht, durch Aufnahme einer neuen Erkenntniss, die ihm hier – wie alle Erkenntniss – eben nicht durch abstracte Begriffsverbindungen, sondern durch anschauliche Gefühlserfahrung, somit auf dem Wege der Erschütterung und Bewegung des eigenen Inneren, zugeführt wird, und die ihn daher in einem letzten Fortschreiten zur höchsten Vollendung zeigt. Der dem Leben noch näher stehende, durch die heftige Liebe des jungen Tschandala-Mädchens unmittelbar berührte Ananda, wird zum Vermittler dieser letzten Vollendung. – Ananda, tief erschüttert und gerührt, kann diese Liebe nur in seinem, dem höchsten Sinne erwidern, als Verlangen, die Geliebte zu sich heran zu ziehen, auch ihr das letzte Heil theilhaft werden zu lassen. Hierin begegnet ihm, nicht schroff, sondern einen Irrthum, eine Unmöglichkeit beklagend, der Meister. Endlich aber, als Ananda schon in tiefster Trauer die Hoffnung aufgeben zu müssen glaubt, fühlt Çakya, durch $ein Mitleiden, und wie durch ein letztes, neuestes Problem, dessen Lösung noch sein Verweilen im Dasein aufgehalten hat, angezogen, sich bestimmt, das Mädchen zu prüfen. Dieses kommt nun, in seinem tiefsten Jammer den Meister selbst anzurufen, sie dem Ananda zu vermählen. Nun legt er die Bedingungen vor, der Entsagung der Welt, der Ausscheidung aus allen Banden der Natur: bei dem Hauptgebote ist sie endlich aufrichtig genug, machtlos zusammen zu brechen; worauf sich denn (vielleicht entsinnst Du Dich?) die reiche Scene mit den Brahmanen entspinnt, die ihm den Verkehr mit solchem Mädchen, als Beweis für das Irrige seiner Lehre, vorwerfen. In der Zurückweisung jedes menschlichen Hochmuthes gelangt endlich sein wachsender Antheil an dem Mädchen, deren frühere Existenzen er sich und den Gegnern enthüllt, zu solcher Stärke, dass, als sie – die nun den ganzen ungeheuren Zusammenhang des Welt-Leidens an ihrem eigenen Leiden erkannt hat – zu jedem Gelübde sich bereit erklärt, er, wie zu letzter eigener Verklärung, sie unter die Heiligen aufnimmt, und somit seinen erlösenden, allen Wesen zugewendeten Weltlauf als vollendet ansieht, da er auch dem Weibe – unmittelbar – die Erlösung zusprechen konnte. –

Glückliche Sawitri! Du darfst nun dem Geliebten überall hin folgen, stets um ihn, mit ihm sein. Glücklicher Ananda! sie ist Dir nun nah, gewonnen, um nie sie zu verlieren! –

Mein Kind, wohl hatte der herrliche Buddha Recht, als er streng die Kunst ausschloss. Wer fühlt es deutlicher als ich, dass diese unselige Kunst es ist, die mich ewig der Qual des Lebens und allen Widersprüchen des Daseins zurückgiebt? Wäre diese wunderbare Gabe, dieses so starke Vorherrschen der bildnerischen Phantasie nicht in mir, so könnte ich der hellen Erkenntniss nach, dem Drange des Herzens folgend – Heiliger werden; und als Heiliger dürfte ich Dir sagen: komm, verlass Alles, was Dich hält, zertrümmere die Banden der Natur: um diesen Preis zeige ich Dir den offenen Weg zum Heile! – Dann wären wir frei: Ananda und Sawitri!

– Aber so ist's nicht. Denn sieh! auch diess, dieses Wissen, diese deutliche Einsicht –, sie macht mich nur immer wieder zum Dichter, zum Künstler. Sie steht, im Augenblicke da ich sie gewinne, als Bild vor mir, mit der lebhaftesten, seelenvollsten Anschaulichkeit, aber – als Bild, das mich entzückt. Ich muss es immer näher, immer inniger betrachten, um es immer bestimmter und tiefer zu sehen, es aufzeichnen, es ausführen, als eine eigene Schöpfung es beleben. Dazu brauche ich Stimmung, schwungvolle Laune, Musse, behagliches Ueberwundenwissen des gemeinen, ablenkenden Lebensbedürfnisses, und dieses Alles muss ich eben diesem störrigen, widerhakigen, überall feindseligen Leben abgewinnen, dem ich endlich nur in seiner, ihm einzig verständlichen Weise beikommen kann; so muss ich denn, mit Selbstvorwurf im Herzen, Missverständniss – das ich selbst nähre – Kummer, Aerger, Noth unablässig zu besiegen trachten, – nur um zu sagen, was ich sehe, und nicht sein kann! Um nicht unterzugehen, blicke ich auf Dich; und je mehr ich: hilf mir! sei mir nahe! rufe, desto ferner entschwindest Du; und mir antwortet es: »in dieser Welt, wo Du diese Noth Dir aufläd'st, um Deine Bilder zu verwirklichen, in dieser Welt – gehört sie Dir nicht! Sondern das, was dich verhöhnt, was dich peinigt, was dich ewig missversteht, das umschliesst auch sie, dem gehört sie, und das hat ein Recht auf sie. Warum freut sie sich auch über Deine Kunst? Deine Kunst gehört der Welt, und sie – gehört ebenfalls der Welt.« –

O verstündet ihr albernen Gelehrten den grossen, liebevollen Buddha, ihr würdet die Tiefe der Erkenntniss anstaunen, die ihm die Ausübung der Kunst als allerbestimmtesten Abweg vom Heil bezeichnete! Glaubet mir! Ich kann es euch sagen!

Glücklicher Ananda! Glückliche Sawitri! –

6. October.

Soeben ist der Flügel angekommen, ausgepackt und aufgestellt worden. Während er gestimmt wird, las ich Dein Frühlings-Tagebuch wieder durch. Auch da kommt der Erard vor. – Ich bin seit seiner Ankunft sehr ergriffen. Eine recht bedeutungsvolle Bewandniss hat es mit diesem Instrumente. Du weisst, wie lange ich es mir vergebens wünschte. Als ich nun im letzten Januar nach ParisGlasenapp II, 2, 173, 179. ging – Du weisst warum? – sonderbar, wie mir einfiel, mich gerade so lebhaft um einen solchen Flügel zu bewerben! Mit keinem Vorhaben war mir's Ernst; Alles war mir gleichgültig; nichts besorgte ich mit auch nur einigem Eifer. Doch mit meinem Besuche bei Frau Erard war es anders; ich war diesen ganz dürftigen, unbedeutenden Menschen gegenüber völlig begeistert, und riss sie – wie ich nachher erfuhr – zu völligem Enthusiasmus hin. Ganz im Fluge gewann ich das Instrument, wie im Scherz. Wunderbarer Instinkt der Natur, wie er sich in jedem Individuum, seinem Charakter angemessen, eigentlich doch immer nur als Lebenserhaltungstrieb äussert! – Die Bedeutung dieses Gewinnes sollte mir bald immer klarer werden. Am 2. Mai, kurz bevor Du nun auch noch die »Zerstreuungsreise« antreten solltest, und ich so recht verlassen sein musste, – da kam der lang Erwartete an. Als er bei mir aufgestellt wurde, war draussen schlechtes Wetter, rauh und kalt: ich musste es aufgeben, Dich an diesem Tage auf der Terrasse zu sehen. Noch war der Flügel nicht ganz hergerichtet, da – plötzlich – trittst Du aus dem Billardzimmer auf die vordere Zinne, setzest Dich auf den Stuhl und schau'st herüber. Nun war alles fertig; ich öffnete das Fenster, und schlug die ersten Akkorde an. Du wusstest es noch gar nicht, dass diess der Erard war. – Nun sah ich Dich einen Monat nicht mehr, und mir wurde in dieser Zeit es immer klarer und gewisser, dass wir nun getrennt bleiben müssten! Jetzt wäre ich eigentlich doch mit meinem Leben fertig gewesen. – Aber dieses wundervoll weiche, melancholisch süsse Instrument schmeichelte mich völlig wieder zur Musik zurück. Ich nannte es den Schwan, der nun gekommen, den armen Lohengrin wieder heim zu führen! – So begann ich die Composition des zweiten Aktes des Tristan. Das Leben webte sich wieder traumartig um mich zum Dasein. – Du kehrtest wieder. Wir sprachen uns nicht, aber mein Schwan sang zu Dir hinüber. –

Nun bin ich denn ganz fort von Dir: himmelhoch liegen die Alpen zwischen uns gewälzt. Mir wird es Immer klarer, wie Alles werden muss, wie Alles sein wird; und dass ich nun kein Leben mehr leben werde. – Ach! Kommt nur der Erard erst, – dachte ich oft: – er muss helfen, denn – es muss ja sein! Lange musste ich warten. Nun ist er endlich da, dieses kunstvolle Werkzeug mit seinem holden Klange, das ich mir damals gewann, als ich wusste, dass ich Deine Nähe verlieren würde. Wie symbolisch deutlich spricht hier mein Genius, – mein Dämon, zu mir! Wie bewusstlos verfiel ich damals auf den Flügel: aber mein tückischer Lebenstrieb wusste, was er wollte! – Der Flügel! – – Ja, ein Flügel –: wäre es der Flügel des Todesengels! –

9. October.

Nun habe ich begonnen. – Womit?

Ich hatte von unsren Liedern nur die ganz flüchtigen Bleistiftskizzen, oft noch ganz unausgeführt, und so undeutlich, dass ich fürchten musste, sie einmal ganz zu vergessen. Da habe ich mich denn zuerst darüber hergemacht, sie mir wieder vorzuspielen, und alles daran mir recht wieder in's Gedächtniss zu rufen; dann habe ich sie sorgfältig aufgeschrieben. Nun brauchst Du mir die Deinigen nicht wieder zu schicken: ich hab' sie selbst. –

Das war denn meine erste Arbeit. Somit sind die Schwingen geprüft. – Besseres, als diese Lieder, habe ich nie gemacht, und nur sehr weniges von meinen Werken wird ihnen zur Seite gestellt werden können.

»und löst dein Räthsel –
heil'ge Natur« –

die »heil'ge Natur« hatte ich grosse Lust umzutaufen: der Gedanke ist richtig, aber nicht der Ausdruck: Heilig ist die Natur nirgends, ausser da, wo sie sich aufhebt und verläugnet. Aber – ich hab's Dir zu lieb doch stehen gelassen ............. In der Handschrift fehlen 6 Seiten (S. 23–28).

12. October.

Mein Freund Schopenhauer sagt einmal: »Es ist viel leichter in dem Werke eines grossen Geistes die Fehler und Irrthümer nachzuweisen, als von dem Werthe desselben eine deutliche und vollständige Entwickelung zu geben. Denn die Fehler sind ein Einzelnes und Endliches, das sich daher vollkommen überblicken lässt; hingegen ist aber das der Stempel, welchen der Genius seinen Werken aufdrückt, dass diese ihre Trefflichkeit unergründlich und unerschöpflich ist.« –

Diesen Ausspruch wende ich mit tief inniger Ueberzeugung auf Deinen letzten Brief an. Was mir darin irrthümlich schien, war mir so leicht zu übersehen, und deshalb konnte ich einzig zunächst nur darüber mich auslassen: das Tiefe, Schöne und Göttliche desselben ist aber so unendlich und unerschöpflich, dass ich es nur geniessen, nicht aber darüber selbst mit Dir sprechen kann. Welchen einzig möglichen, tief beseligenden Trost es mir gewährt, Dich so hoch und erhaben zu wissen, kann ich Dir nur durch die ganze fernere und schliessliche Tendenz meines Lebens bezeugen. Wie sich der äussere Verlauf desselben gestalten wird, kann ich allerdings nicht angeben: denn diess gehört dem Schicksale an. Aber der innere Kern, aus dem ich die Fügungen meines äusseren Schicksales gestalten werde, verdichtet sich in mir zu einem klaren, festen Bewusstsein, über dessen Inhalt ich Dir hier, so gut wie möglich, eine Andeutung geben will. –

Mein Lebensgang bis dahin, wo ich Dich fand, und Du endlich mein wardst, liegt deutlich vor Dir. Aus meinen Beziehungen zur Welt, deren Wesen sich meinem Wesen gegenüber mir immer schmerzlicher und trostloser fühlbar machte, trat ich immer bewusster und bestimmter zurück, ohne, als Künstler und hilfsbedürftiger Mensch, doch je ganz alle Bande zerreissen zu können, die mich an sie fesselten. Vor den Menschen wich ich, weil ihre Berührungen mich schmerzten: ich suchte mit strebsamer Absicht Vereinsamung und Zurückgezogenheit, und nährte dagegen immer brünstiger die Sehnsucht, in einem Herzen, in einer bestimmten Individualität, den bergenden, erlösenden Hafen zu finden, in welchem ich ganz und voll aufgenommen würde. Diess konnte der Natur der Welt nach nur ein liebendes Weib sein: auch ohne es zu finden, musste diess meinem dichterisch-hellsehenden Geiste klar sein; und die deutlich erkannte Unmöglichkeit, in der Freundschaft eines Mannes das Ersehnte zu finden, mussten mir die edelsten Versuche dazu zeigen. Doch nie hatte ich eine Ahnung davon, dass ich, was ich suchte, so bestimmt, so alles Sehnen erfüllend, alles Verlangen befriedigend finden sollte, wie ich es in Dir fand. Noch einmal: – dass Du es vermochtest, in alles erdenkliche Leid der Welt Dich zu stürzen, um mir sagen zu können: »ich liebe Dich!« – das hat mich erlös't, und mir jenen heiligen Stillestand gewonnen, von dem aus nun mein Leben eine andre Bedeutung erhalten hat. – Aber diess Göttliche war eben nur mit allen Leiden und Schmerzen der Liebe zu gewinnen: wir haben sie bis auf die Hefe genossen! – Und jetzt, nachdem wir alle Leiden gelitten, kein Schmerz uns gespart blieb, jetzt muss sich klar der Kern des höheren Lebens zeigen, den wir durch die Leiden dieser schmerzlichen Geburtswehen gewonnen. In Dir lebt er schon so rein und sicher, dass ich Dir jetzt zu Deiner Freude, zu Deiner Mitfreude, nur zeigen darf, wie auch in mir er sich gestaltet.

Die Welt ist überwunden: in unsrer Liebe, in unsren Leiden hat sie sich selbst überwunden. Sie ist mir nun keine Feindin mehr, vor der ich fliehe, sondern ein meinem Willen gleichgültiges, wesenloses Object, zu dem ich mich jetzt ohne Scheu, ohne Schmerz, daher ohne wirklichen Widerwillen verhalte. Ich fühle dies immer deutlicher daran, dass ich den Drang zur absoluten Zurückgezogenheit theoretisch nicht mehr stark in mir wahrnehme. Dieser Drang hatte bisher eben die Bedeutung des Sehnens, Suchens und Verlangens: dieses aber ist – das fühle ich gerade! – vollkommen gestillt. Die letzten Entscheidungen zwischen uns haben mich zu dem klaren Bewusstsein gebracht, dass ich eben nichts mehr zu suchen, nichts mehr zu ersehnen habe. Nach der Fülle, in der Du Dich mir gegeben hast, kann ich das nun nicht Resignation nennen, am allerwenigsten Verzweiflung. Diese verwegene Stimmung stand mir früher als Ausgang meines Suchens und Sehnens gegenüber: von ihrer Nothwendigkeit bin ich aber, durch Dich tief beglückt, erlös't. Mir ist das Gefühl einer heiligen Sättigung zu eigen. Der Drang ist ertödtet, weil er vollkommen befriedigt ist. – Von diesem Bewusstsein beseelt blicke ich nun von Neuem in die Welt, die mir somit in einem ganz neuen Lichte aufgeht. Denn ich habe in ihr nichts mehr zu suchen, nicht mehr die Stelle aufzufinden, worin ich vor ihr geborgen sein sollte. Sie ist mir ein ganz objectives Schauspiel geworden, wie die Natur, in der ich den Tag kommen und gehen, Keime des Lebens treiben und ersterben sehe, ohne mein Inneres selbst von diesem Kommen und Gehen, Treiben und Ersterben abhängig zu fühlen. Ich verhalte mich zu ihr ganz fast nur als auffassender und darstellender Künstler, als fühlender und mitempfindender Mensch, ohne jedoch selbst zu wollen, zu suchen, zu streben. Ganz äusserlich erkenne ich dieses neue Verhältniss namentlich auch darin, dass die Dir so bekannt gewordene Sucht nach abgelegenem, einsamem Wohnort mich eigentlich verlassen hat; und ich gebe zu, dass hierbei die schmerzlich gewonnene Erfahrung mitwirkt. Denn das Liebste und Erwünschteste, was ich in diesem Sinne gewinnen konnte, liess mich doch eigentlich unbefriedigt, weil ich gerade da an unsrer Trennung, und an der Nothwendigkeit dieser Trennung, erfahren musste, dass das erstrebte Asyl mir nicht bereitet sein kann und soll.

Wo in der Welt sollte ich mir nun aber jetzt ein neues Asyl bereiten wollen? Ich bin, als ich das unheilvolle letzte verliess, gänzlich unempfindlich für solchen Wunsch geworden. – Dagegen fühle ich mich nun im tiefsten Innern so gestärkt und beruhigt; durch das ewige, unentweihbare und unzerstörbare Asyl, das ich in Deinem Herzen gewonnen, mich so gegen alle Welt geborgen und behütet, dass ich von ihm aus, das mich ja in alle Welt begleitet, mit ruhig freundlichem, mitleidvollem Lächeln in diese Welt blicken kann, der ich nun ohne Grauen angehören darf, weil ich ihr eben nicht mehr angehöre, nicht mehr als leidendes, sondern nur noch als mitleidendes Subject angehöre. – Ich überlasse mich daher jetzt, vollkommen wunschlos, der Gestaltung meines äusseren Schicksales, um es dereinst hinzunehmen, wie es sich mir eben fügt. Nichts erstrebe ich; was sich mir von selbst bieten, und meinem tiefaufgeklärten Bewusstsein nicht zuwider sein wird, werde ich ruhig, ohne Hoffnung, aber auch ohne Verzweiflung, erfassen, um immer das Beste, was ich leisten kann, so gut als die Welt es gestattet, ihr darzureichen, unbekümmert um Lohn, ja selbst um Verständniss. – Dieser ruhigen Tendenz (der Frucht unendlicher Kämpfe gegen die Welt, und endlich meiner Erlösung durch Deine Liebe!) folgend, werde ich vermutlich einmal meinen Wohnort dort bestimmen, wo mir reiche Kunstmittel zu Gebote stehen, um deren Beschaffung ich mich nicht erst bemühen muss (denn dafür ist mir das Spiel nicht mehr ernst genug!), sodass ich nach Lust und Laune periodisch meine Arbeiten in erträglichen Aufführungen mir vorführen kann. Natürlich wäre dabei an irgend eine »Stellung« oder »Anstellung« gar nicht im Entferntesten auch nur zu denken. Auch habe ich überhaupt nicht den mindesten Wunsch für etwa diesen oder jenen bestimmten Ort, denn – nirgends suche ich mehr etwas Bestimmtes, Individuelles, oder gar Intimes. Von diesem Drange bin ich eben vollkommen befreit! Sondern ich werde eben nur ergreifen, was im Gegentheil mir die allgemeinsten, vielleicht sogar oberflächlichsten Beziehungen zu meiner Umgebung gestattet, und diess gestaltet sich wohl um so leichter, je grösser der Ort ist. An ein Zurückziehen zu irgend welcher Intimität, z. B. nach Weimar, denke ich nicht im Entferntesten; ein solcher Gedanke widert mich sogar sehr bestimmt an. Meiner tief sichren Stimmung gegen die Welt kann ich eben nur gerecht werden, wenn ich die Menschen ganz allgemein fasse, ohne irgend welche nähere individuelle Beziehung. Ein Streben, wie in Zürich, wo ich jeden Einzelnen zu mir heranzuziehen suchte, kann mich nie wieder einnehmen. –

Hier hast Du die Grundzüge meiner Stimmung. Was sich daraus nach aussen gestaltet, kann ich – wie gesagt – nicht mit Bestimmtheit angeben, wie es mir auch in tiefster Seele gleichgültig ist. An etwas Dauerndes für meine Zukunft denke ich gar nicht: ich bin, während ich nach Dauerhaftigkeit strebte, des Wechsels so gewohnt worden, dass ich ihm jetzt um so williger Spiel lasse, je – wunschloser ich bin.

Wie unsre, Dein' und meine persönlichen Berührungen sich gestalten werden, diess – einzig schmerzlich mich noch Erregende – müssen wir, Du Liebe, wohl auch dem Schicksal überlassen.

Hier liegt ja eigentlich der wehe Punkt, der Stachel des Leides und der Bitterkeit gegen Andre, die uns die himmlische Labung der Nähe unmöglich machen, ohne dadurch im mindesten sich einen Gewinn zu sichern! Hier sind wir nicht frei, und hängen von denen ab, denen wir uns opfern, und zu denen wir uns nun, mit dem grossen Opfer im Herzen, zurückwenden, um an ihnen das nächste Mitleid auszuüben. Du wirst Deine Kinder erziehen: – nimm meinen vollen Segen dazu! Mögest Du an ihnen Freude und edles Gedeihen erleben! Ich werde Dir immer nur mit tiefer Befriedigung zuschauen. – Wohl werden auch wir uns wieder sehen: aber, mich dünkt, zunächst nur wie – im Traum, wie zwei abgeschiedene Geister, die sich auf der Stätte ihrer Leiden treffen, um noch einmal an dem Blicke, an dem Händedruck sich zu laben, der sie dieser Welt enthob, um ihnen den Himmel zu erwerben. Sollte mir – vielleicht auf dem Grunde meiner tiefen Beruhigung – ein schönes, klares Alter vergönnt sein, so stünde mir für dereinst wohl noch bevor, ganz wieder in Deine Nähe zurückzukehren, wenn alles Leiden, alle Eifersucht überwunden ist. Das »Asyl« könnte dann doch noch eine Wahrheit werden. Vielleicht bedürfte ich dann sogar der Pflege. Sie würde mir wohl nicht versagt sein. Vielleicht – trätest Du dann eines Morgens doch noch durch das grüne Arbeitszimmer an mein Bett, um in Deinen Armen, mit einem letzten Scheidekuss meine Seele zu empfangen. – Und mein Tagebuch wäre somit geschlossen, womit es begann. – Ja, mein Kind! Sei denn hiermit diess Tagebuch geschlossen! Es bietet Dir meine Leiden, meine Erhebung, meine Kämpfe, meine Blicke in die Welt, und überall – meine ewige Liebe zu Dir! Nimm es gütig auf, und verzeihe mir, wenn es Dir irgendwo eine Wunde weckt. –

Ich kehre nun zum »Tristan« zurück, um an ihm die tiefe Kunst des tönenden Schweigens für mich zu Dir sprechen zu lassen. Für jetzt erquickt mich die grosse Einsamkeit und Zurückgezogenheit, in der ich lebe: in ihr sammle ich meine schmerzlich zerstückten Lebenskräfte. Bereits geniesse ich seit einiger Zeit die fast nie so gekannte Wohlthat eines ruhigen, tiefen Schlafes in der Nacht: könnte ich ihn Allen geben! Ich werde diess geniessen, bis mein wunderbares Werk gediehen und vollendet ist. Erst dann will ich mich einmal umsehen, welch Gesicht mir die Welt zeigt. Der Grossherzog von Baden hat soviel ausgewirkt, dass ich zur persönlichen Aufführung eines neuen Werkes für einige Zeit Deutschland besuchen darf. Vielleicht benutze ich diess dann für den Tristan. Bis dahin bleibe ich mit ihm in meiner hiesigen, lebendig gewordenen Traumwelt allein.

Fällt mir etwas Mittheilenswerthes ein, so zeichne ich es auf, sammle es, und Du erhältst es, sobald Du es wünschest. Nachrichten von uns geben wir uns wohl so oft wie möglich? Sie können uns jetzt nur noch erfreuen, denn zwischen uns ist Alles licht und rein, und kein Missverständniss, kein Irrthum kann uns mehr beschweren. So leb' denn wohl, Du mein Himmel, meine Erlöserin, mein seliges, reines, liebes Weib! Leb' wohl! Sei gesegnet aus tiefster Andacht meiner Seele!Hier endigt das erste Tagebuch und wurde alsbald abgesandt.


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