Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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71.

[30. April 1859]

Samstag Mittag.

Die bange Sonne will mir nicht Muth zum Rigi machen; bleiche Dünste bedecken den Himmel, und ich will mir die Hexenfahrt zum 1. Mai noch sparen.

Wesendonk's telegraphisches Kopfweh beklage ich sehr; da es ihm so übel geht, ist's nicht mehr als billig, dass mir auch der Rigi für diesmal in Dunst aufgeht.

An seiner Zusage für nächste Woche halte ich fest, und bitte mich Tags zuvor ein wenig davon zu benachrichtigen.

Schönsten Dank für den Tasso. Er soll mich für den Rigi entschädigen, – Auch für die amerikanischen BriefeEs handelt sich um einen auch bei Glasenapp II, 2, 205 erwähnten Antrag nach New-York für den Winter 1859/60. Vgl. den Brief an Otto Wesendonk vom 26. Mai 1859 und den Brief an Dr. Hartenfels vom 24. Dezember 1858 in der Allgem. Musik-Zeitung 1904, S. 627. habe ich zu danken, und bitte für jetzt mich Herrn Luckemaier mit herzlichster Anerkennung seiner Bemühungen zu empfehlen. Mir ist übrigens dabei wieder etwas Londonerisch zu Muth geworden. Entschlossen bin ich zu nichts, und hätte im Grunde fast gewünscht, Herrn Ullmanns Gegen-Anerbieten hätte mich aus allem Zweifel gesetzt. Ich soll diesen Mann ja zu sehen bekommen, und will mir also bis dahin den Kopf nicht zerbrechen.

Der Krieg macht mir Noth. Aus Venedig fehlt mir immer noch die bewusste Kiste. Sonderbarer Weise konnte ich auch von Ritter noch keine Nachricht erlangen. In hypochondrischer Laune ist's mir manchmal, als ob ich früher nach Paris gehen sollte, um den Krieg nicht zwischen mich und meinen Zukunftsaufenthalt zu bekommen. Es ist im Ganzen interessant, dass ich mich beim Ausbruch zwischen Deutschland und Frankreich in die Hauptstadt des Feindes flüchte. Denken Sie sich, dass ich allen Patriotismus zu verlieren fürchte, und mich heimlich freuen könnte, wenn die Deutschen wieder tüchtige Schläge bekämen. Der Bonapartismus ist ein accutes, vorübergehendes Leiden für die Welt, – die deutsch-österreichische Reaction aber ein chronisches, dauerndes. Nochmehr! letzthin spürte ich Lust, für eine Zeitung eine »unpolitische Ansicht« über Italien abzugeben, das von unsren Politikern mit einer Dummheit beurtheilt wird, die an Unverschämtheit gränzt. – So wie das Wetter ein wenig besser wurde, verloren sich aber diese Einfälle wieder. Stäcke ich nur erst wieder recht in meiner Arbeit: dieses »drin stecken« fürchte ich kommt aber nie wieder; es sind Jugenderinnerungen!

Lassen Sie mich übrigens noch lange im Stich, so lasse ich mir KirchnernKirchner, Musikdirektor in Winterthur. kommen. –

Dass Sie mir die Schiller'schen BriefeSchillers Briefe an Lotte, Stuttgart, Cotta 1856. noch schickten, war ein sehr guter Gedanke von Ihnen. Unterhaltung mit solchen Leuten ist mir doch das Liebste, und geht mir selbst über die Politik. Ich lese auch die kleinsten Billets mit Interesse; sie erst machen mich mit dem lieben Menschen leben. Und darauf kommt's einem immer an; man will ganz intim mit solchen Leuten werden. –

Neues habe ich Ihnen gar nichts zu sagen; nirgends her habe ich die Woche Briefe bekommen. –

Leben Sie wohl! Der Mai wird helfen, und auch Sie erfrischen!

Ihr
R. W.


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